U2 – London, Wembley Arena


Dies ist eine riesige Halle, aber mit unserer Musik und auch als Publikum werden wir noch größer sein.“ Bono, der kleine Mann mit dem schwarzen Barett, Meister schwergewichtiger Worte und simpler, gleichermaßen großartiger Gesten, kann sich seines Publikums sicher sein. Um mich herum nur Jungs in Jeans und Parkas; die wenigen Mädchen lassen sich an einer Hand abzählen. Rockmusik auf der Bühne und im Saal ist hier immer noch eine Domäne der Männer.

Nach dieser schlichten Ansprache folgt „Sunday, Bloody Sunday“. In der Größe der Wembley Arena wird daraus ein Popchoral, der Herzen und Hände gleichermaßen bewegt. Mit Werten wie Aufrichtigkeit und Glaubwürdigkeit allerdings sollte man behutsam umgehen. In einem so monströsen Rahmen wie diesem müssen sie zu bloßen Gesten erstarren. U2 sind Helden, aber nicht als individuelle Personen, sondern als Symbol einer Geisteshaltung: Männer mit Glauben und Moral. Private Ideale aber kommen in den Mechanismen des Rocktheaters schnell unter die Räder.

Und doch, trotz allem berührt mich U2’s Auftritt. Bono besitzt dieses undefinierbare Etwas, eine Ausstrahlung, wie man sie bei Rednern und Predigern findet, die ihr Publikum mitzureißen verstehen. Er macht die Leute glauben, daß es nicht nur Show ist. Und die Musik? Ja, auch die Musik spielt bei diesem Konzert eine Rolle: simpler, klarer Rock ohne modischen Firlefanz wie Synthesizer oder Bläsersätze. Edge allein am Piano; die anderen haben nach 45 Minuten die Bühne verlassen. Unsicherheit im Publikum: Ist dies schon das Ende? Pfiffe, Rufe der Unzufriedenheit.

Bono sprintet zurück auf die Bühne in der ihm eigenen Art, Zehenspitzen zuerst aufsetztend, wie ein Ballettänzer in schwarzen Stiefeln, greift das Mikro, intoniert „A New Year’s Day“, gefolgt von „Pride“ und eine Woge der Begeisterung pflanzt sich durch die Reihen fort. „In The Name Of Love!“ singt die Halle gemeinsam.

Wo liegt der Unterschied zwischen U2 und Mike Scotts „Waterboys“, die heute als Vorgruppe auftraten? Mike vermittelt all das, was in Bonos Karriere zur Routine werden mußte, auch wenn er selbst und seine Fans das kaum wahrhaben wollen. Mike durchlebt jedes einzelne seiner Lieder, er verunsichert und macht betroffen. Bono spielt Rock, und er spielt sehr gut. Aber nicht mehr.