U2
"Zoo-TV" die Zweite: U2 bringen ihr Multimedia-Spektakel in europaische Stadien und werfen kurz zuvor sogar noch eine neue Platte in die Läden. ME/Sounds-Mitarbeiter Martin Scholz hielt die Band in Dublin einen Tag lang von der Arbeit ab und muß nun ernsthaft sein U2-Bild überdenken. Von Predigern keine Spur — selten wurde bei einem Interview so viel gelacht.
ME/SOUNDS: Die Technologie der „Zoo-TV“-Tour macht’s möglich — die Fans können sich via Telefon live in eure Konzerte wählen. Doch wie fühlt man sich, wenn eine Verehrerin den heißen Draht mißbraucht und den 40.000 Fans im Stadion erzählt: „Bono, du hast zu dicke Beine“?
BONO: (lacht) Ich glaube eher, sie hai meinem „Willie“ gemeint.
ME/SOUNDS: Hattet ihr noch mehr sinnliche Höhepunkte im „Zoo“?
EDGE: Was die Leute im Stadion gemacht haben, war oft viel abgedrehter als die Video-Spiele auf der Bühne oder die Telefon-Aktionen. Ich erinnere mich noch, wie zwei riesige kalifornische Blondinen auf Bono und mich sprangen als wir gerade auf der zweiten Bühne in der Mitte des Stadions standen. Es ist schon peinlich, von zwei Mädchen zu Boden gerissen zu werden.
ADAM: Ihr beiden habt euch auch nicht allzu sehr dagegen gewehrt (grinst).
EDGE: Es war ein unfairer Kampf, sie waren viel größer als wir.
ME/SOUNDS: Stellt doch eure „Doppelgangers“ auf die Bühne, dann passiert euch sowas nicht mehr.
EDGE: Interessante Idee, ich weiß, daß Kraftwerk mal etwas ähnliches gemacht haben — sie haben Roboter auf die Bühne gestellt. Nur haben wir den Gag mit den „Doppelgangers“ bereits letztes Jahr in einem TV-Special ausgereizt.
ME/SOUNDS: Derzeit sitzt ihr erstmal hier im Studio: Was für ein „Baby“ soll es denn diesmal werden? Eine EP, eine Mini-CD und sogar ein komplettes neues Album.
EDGE: Wir wissen es im Moment noch nicht. ADAM: Das kommt ganz darauf an, wie lange uns dieses Interview von der Arbeit abhält.
EDGE: Wir haben genug Songs für ein komplettes Album, mindestens 16. Das Problem ist, daß uns wegen der Tour-Vorbereitungen nur noch zwei Wochen bleiben. Wir werden sehen. Irgendwie ist es auch egal, es ist ja nicht so, daß wir unbedingt ein Album veröffentlichen müßten, nur haben wir große Lust dazu. Im Moment läuft es wirklich großartig im Studio, es steckt viel Potential und Energie in den Songs.
ME/SOUNDS: Ihr habt mehrfach laut von einer interaktiven audiovisuellen CD geträumt, an der ihr angeblich mit dem Computerspiel-Hersleller Sega arbeitet. Was ist daraus geworden?
EDGE: Wir sind immer noch am experimentieren, studieren die unterschiedlichen Systeme. Aber es gibt derzeit noch keine konkreten Pläne. Das ist ein Bereich mit endlosen Möglichkeiten. Die Bilder sollen in dem Sound verankert sein, der Käufer könnte eigene Videos zu unseren Songs mischen. Die Frage ist nur: Wie gehst du mit der Technologie sinnvoll um? Wir können auf der Tour mit diesen Effekten spielen, und sehen, was man wirklich damit machen kann. Ich bin sicher, am Ende ergeben sich Möglichkeiten, an die die Hersteller nicht im Traum gedacht haben.
BONO: Zur Zeit stecken wir allerdings noch mit den neuen Songs in einem schwarzen Loch. Letzte Woche war es ein Album, heute ist es eine Stngle-B-Seite. So läuft es im Augenblick. Manchmal denkst du, es sei deine beste Arbeit, dann wieder, du würdest nur deine Zeit verschwenden.
ME/SOUNDS: Warum macht ihr euch so viel Streß mit einem Schnellschuß kurz vor der Europa-Tour?
BONO: Als die „Zoo-TV“ Tour in den Staaten beendet war, dachten wir, wir könnten in eine Druckausgleichkammer gehen und am anderen Ende normal wieder rauskommen. Wir wollten einfach eine Zeitlang ein normales Leben haben und im Sommer in Europa wieder auf Tour gehen. Aber wir waren physisch wie psychisch voll auf den Wahnsinn von „Zoo-TV“ eingestellt. Wir sind nicht auf den Boden zurückgekommen, nachdem wir wieder in Dublin waren. Ich hab‘ Edge angerufen: “ Geht ’s dir besser?“ — „Nein“. Den anderen ging’s genauso. Also entschlossen wir uns, diese Verrücktheit auf Platte zu bringen, statt uns auf Restaurant-Tische zu stellen und mit Früchten um uns zu werfen.
ME/SOUNDS: Wen hast du mit den Birnen getroffen?
BONO: Nein, das war bildlich gemeint. Ich meine dieses Gefühl, wenn du am liebsten den Kellner aus dem Fenster werfen würdest oder was auch immer. Es ist ein sehr bizarres Gefühl — jeden Abend war alles vorbereitet für eine Art Explosion, die um 21 Uhr losging — aber dann sitzt du zu Hause, und sie bleibt auf einmal aus.
ME/SOUNDS: Aber es war doch nicht eure erste Welt-Tournee, warum denn auf einmal der Katzenjammer? ¿
EDGE: Es war eine längere Tournee, wir hatten uns allmählich an diesen Zustand gewöhnt. Es hatte auch damit zu tun, daß wir auf dieser Tour Dinge probieren, die wir noch nie vorher gewagt haben. Es ist viel verrückter als alles bisherige, daran besteht kein Zweifel.
ME/SOUNDS: „I have a vision — Televison“ war einer eurer Slogans. Aber wer nur in die Röhre guckt und ständig an der Fembedienung herumfingert, steht abends senkrecht im Bett.
BONO: Ja, du drehst durch.
EDGE: So ungefähr haben wir uns gefühlt. Ich glaube, daß letzte, was du nach so einer Tour brauchst, ist Ruhe.
ME/SOUNDS: Oder ein gemütlicher Abend vorm Fernseher…
EDGE: (lacht) Genau. Ich hab‘ versucht, für ein paar Wochen normal zu sein, es hat nicht geklappt.
ME/SOUNDS: LedZepplin und Deep Purple haben vorgemacht, wie schön Dekadenz sein kann — Privat-Jets, Luxus-Limousinen und immer ein paar “ Chicks “ griffbereit…
ADAM: Bei uns gibt’s keine „Chicks“ … EDGE: Stimmt, wir haben „Babes“ (grinst).
ME/SOUNDS: David Coverdale und Jimmy Page, mittlerweile ein Duo, meinen, ihr solltet endlich aufhören, euren Pomp als Satire zu verkaufen und einfach Spaß am Jet Set haben…
ADAM: Die haben wahrscheinlich nur JOSHUA TREE gehört.
EDGE: So, so, wir sollen die Achterbahnfahrt einfach genießen? Aber wie kannst du den ganzen Zirkus ernst nehmen?! Du kannst doch die komische Seite und die Ironie an dem Rummel gar nicht übersehen — vier Typen aus Dublin fliegen in einer 727 durch Amerika. Das ist einfach lächerlich.
ME/SOUNDS: Viele können mit diesem Humor-Verständnis nicht anfangen. Manche Kritiker meinen, der eitle Lackaffe Bono sei noch schlimmer als der ehrbare Prediger.
BONO: (lacht) Wenn das so ist, haben wir Erfolg gehabt.
ADAM: Wir haben uns wohl verkalkuliert. Man sagt ja, die Kunst reflektiere das Leben. Wenn das so ist, hat unsere Musik auch uns reflektiert — wir waren eine Zeitlang sehr ernst. Aber als wir dann nicht mehr so ernst sein wollten, staunten wir nicht schlecht, wie ernst der Rest der Welt nun geworden war. Es geht nun mal sehr ernst zu da draußen. Und wir lachen jetzt drüber.
BONO: Mit dem Bild eines Rock-Stars verbinden wir gewöhnlich etwas Unbehagliches. Du fragst dich: Was steckt eigentlich dahinter? Hat es mit Glamour oder mit Musik zu tun? Du kannst die richtigen politischen Ideen haben, aber entsetzlich langweilige Musik machen. Und dann gibt es ein Arschloch, das seine Frau schlägt — aber seine Musik ist grandios. Das ist das verwirrende am Rock’n’Roll. Du solltest nicht den Musiker mit der Musik verwechseln. Die Leute haben zu viel von U2 erwartet. Wir sind nur für eines verantwortlich — die Musik. Wir dachten einmal, daß der Glitter drumherum auch wichtig war — und wir haben in den 80er Jahren versucht, mit Geld, Starkult und dem anderen Scheiß fertig zu werden. Und in den 90ern fanden wir heraus, daß das alles überhaupt nicht wichtig ist.
ME/SOUNDS: Und deshalb könnt ihr jetzt beruhigt an der Bar eurer Privat-Boing von Gig zu Gig Jetten?
BONO: Wenn eine 727 die beste Möglichkeit ist, herumzufliegen und dir und deiner Crew noch ein bißchen Lebensqualität gibt, mußt du nur darauf achten, daß du es zumindest nicht zu wichtig nimmst — und es genießen. Das sind legitime Laster. Aber sie sind unwichtig. Wichtig ist, daß, wenn dein Publikum dich gerne in den Kleidern des Moralapostel sieht, du sie ihnen vor die Füße wirfst. Die Leute mögen uns als Helden oder Prediger gesehen haben, aber wir wollten diesen Job nie. Wenn wir gepredigt hätten, hätten sie Steine nach uns geworfen, und uns als Prediger beschimpft. Aber wenn wir nicht predigen, werfen sie auch Steine nach uns. Das ist seltsam. Darüber nachzudenken, ist reine Zeitverschwendung.
ME/SOUNDS: Euch bleibt die Flucht ins Groteske. Bei der Protest-A ktion gegen das Atomkraftwerk in Sellafield seid ihr als pummelige Aliens mit Sonnebrillen und aufgeblasenen Schutzanzügen angetreten.
ADAM: Ich denke, die Leute haben kapiert, daß, wenn man nichts gegen den Atom-Wahnsinn unternimmt, eines Tages alle so aussehen werden wie wir an dem Tag — und ich kann dir sagen: Das sind nicht gerade Klamotten, in denen du ausgehen möchtest.
EDGE: Ich denke, du kannst beides machen, Witz haben, aber auch ernste Themen mit anreißen. Es gab schon früher einige wenige humorvolle Songs auf unseren Platten. Aber wir hatten immer Probleme, diese Seite an uns anzuerkennen. Aber Ironie ist nicht automatisch der Erzfeind von Soul. Heute, nachdem wir schon ein paar Jahre in dieser Band sind, fällt es uns leichter.
auch mal die andere Seite in uns durchscheinen zu lassen.
ME/SOUNDS: Vor dem Start eurer US-Tour im vergangenen Jahr habt ihr noch betont, ihr wolltet auf keinen Fall in den Präsidentschafts-Wahlkampf hineingezogen werden.
EDGE: Stimmt, wir haben gelogen. BONO: Aber wir wußten zu der Zeit noch nicht, daß wir lügen.
ME/SOUNDS: Tatsache ist, daß sich nicht mal amerikanische Bands so einmischten wie ihr: Ihr habt die „Rock The Vote“-Kampagne unterstützt und George Bush in einem Video zum Affen gemacht.
ADAM: Er hat sich selbst dazu gemacht.
ME/SOUNDS. Clinton dagegen habt ihr auf eurem Hotel-Zimmer empfangen — eine Audienz, die weltweit durch die Medien ging. Seid ihr nicht selbst überrascht, daß eine irische Band solch einen Einfluß auf die US-Politik hat?
BONO: Nur bis zu einem gewissen Punkt. Man sollte sich einmal klarmachen, wie selbstverstämdlich es mittlerweile ist, daß der amerikanische Präsident Einfluß auf unser aller Leben hat — in Irland. Nicaragua, in der ganzen Welt.
EDGE: Aber wir haben nicht geplant, die Wahlen zu kommentieren. Das George Bush-Video oder unsere Anrufe von der Bühne ins Weiße Haus — all das passierte einfach, als die Zoo-TV-Tour losging. Unsere Ansichten kamen irgendwie an die Oberfläche, obwohl wir das eigentlich gar nicht wollten.
ME/SOUNDS: Dieses ständige „sowohl, als auch“ — bringt das nicht Probleme mit sich ?
BONO: Es wurde mitunter sehr surreal. Zwar haben wir Clinton gesagt, wir würden ihn nicht unterstützen. Und er hat das verstanden. Doch als unser Premierminister später mit ihm zusammentraf, meinte Clinton, wir hätten wirklich viel für seine Wahl getan. Das muß man sich mal vorstellen! Wir packten uns alle an den Kopf, das durfte doch nicht wahr sein. Musik kann so etwas nicht leisten, sie hat nicht soviel Gewicht.
EDGE: Ich glaube, Clinton bezog sich damit lediglich auf die „Rock The Vote“-Aktion. Wenn wir wirklich einen Einfluß hatten, dann vielleicht den, daß wir die Menschen unserer Generation zum Wählen animiert haben. Aber ich bin sicher, ein Großteil von ihnen hätte ohnehin für Clinton gestimmt. ME/SOUNDS: Clinton war der erste US-Präsident, der bei seiner Amtseinführung mit Rock-Größen dieser Welt feiert. Ist ein Präsident, der Rock mag, automatisch ein guter Präsident?
ADAM: Davon sollte man sich nicht täuschen lassen. Diese Leute sind zu allererst Politiker.
EDGE: Aber mir gefiel, daß er damit Rock’n’Roll als wichtigen Teil der amerikanischen Kultur anerkannte. Oft genug wird dieser Musik ja kaum eine Bedeutung zuerkannt.
ME/SOUNDS: Larry und Adam sind bei der Party vorm Weißen Haus fremdgegangen. Ihr seid mit Michael Stipe und Mike Mills von R.E.M. unter dem Namen „Automatic Baby“ aufgetreten gegründet habt ¿
und auch noch „One“ gesungen. Was steckt hinter der irisch-amerikanischen Freundschaft?
LARRY: Das war nur eine spontane Kurzschlußreaktion von Adam und mir. Wir dachten: „Laß uns mal /überfliegen und sehen, was in den Staaten pussiert.“ Auf einer Party haben wir dann Mike Mills und Michael …ah EDGE: Slipe heißt er. Du wirst dich doch wohl noch an Michael erinnern, Larry?
LARRY: (errötet) Ja, also wir trafen Mills und, äh, Michael Stipe — oh je, ich hab‘ heute eine schlechten Tag. Sie wußten erst gar nicht, daß wir da waren. Dann sagten sie, sie wollten eine akustische Version von „One“ spielen, ob wir nicht Lust hätten, mit ihnen auf die Bühne zu gehen. Aber wir waren uns nicht ganz sicher, ob …
BONO: Ob ihr euch noch an die Akkorde erinnern würdet (lacht).
LARRY: Es gab ein Problem: Mike Mills ist Bassist und Adam auch. Wer sollte also Gitarre spielen? Es ging alles ein bißchen durcheinander.
ADAM: Mike hat gewonnen.
LARRY: Wir haben also einen Nachmittag geprobt, und das war’s auch schon. Es war großartig. Es tut gut, Leute zu treffen, die die gleiche Einstellung haben wie du. Die beiden sind nette Typen. Wir planen demnächst ein gemeinsames Album — mit U2-Cover-Versionen.
ADAM: Aber nur. wenn ich auch mal Gitarre spielen darf.
ME/SOUNDS: Was hast du von dem flotten Vierergehallen, Bono?
ADAM: Er hat sich gedacht: Es wird Zeit, daß ich mehr auf der Gitarre übe.
BONO: Für mich hörte sich das so an, als würde David Bowie „White Christmas'“ singen.
EDGE: Also ich fand’s einen verdammt guten Versuch, wenn man bedenkt, wie wenig Zeit sie zum Proben hatten.
ADAM: Ja, es war nicht schlecht für zwei Bassisten und einen Drummer. Ich sag‘ euch was: Ihr hättet uns erst mal bei den Proben erleben sollen — da war es wirklich heiß.
ME/SOUNDS: Um der Verkalkung vorzubeugen, herrscht bei R.EM. im Studio munterer Wechselan den Instrumenten. Habt ihr mal darüber nachgedacht, Bono ans Schlagzeug zu setzen?
BONO: Du ahnst nicht, wie greifbar dieser radikale Gedanke eine Zeitlang war… Dann hätten wir den umgepolten Phil Collin.s gehabt.
EDGE: Adam und ich wechseln uns bei „40“ an Baß und Gitarre ab. aber ansonsten sehe ich da für uns weniger Möglichkeiten. Ich glaube nicht, daß so ein Rollenwcchsel für U2 ähnlich fruchtbar wäre wie für R.E.M.
BONO: Du brauchst sowieso eine Elektronik-Ausbildung, um Edges Gitarren bedienen zu können.
LARRY: (sieht Bono an) Und du brauchst ein bißchen Talent fürs Schlagzeug.
ME/SOUNDS: Zumindest Larry hat den Sprung ins kalte Wasser gewagt. Bei den „Zoo-T'“-Gigs hast du „Dirly Old Town“ von den Pogues gesungen. Woher die unverhoffte Courage?
LARRY: Es gab eine kurze Pause zwischen „New Year’s Day“ und dem nächsten Song, und die mußte gefüllt werden. Bono mußte in der Zeit seinen Party-Dreß anziehen. Edge die Gitarren stimmen. Und da dachte ich: Entweder ich erzähle einen Witz, oder ich fange an zu singen. Das war ganz ungezwungen, manchmal hat’s geklappt, manchmal nicht.
EDGE: Larry lernt gerade Cello. Vielleicht hören wirdemnächst…
LARRY: Ein Saxophon-Solo. Wartet’s ab.
ME/SOUNDS: Im vergangenen Sommer gab’s in Deutschland schon mal „Zoo-TV“-Häppchen in den Hallen. Bringt eure „Zooropa“-Tour das gleiche nochmal in grün — nur größer?
BONO: Wir haben wieder mit mehreren Video-Künstlern aus den USA und Europa zusammengearbeitet. Ich weiß auch noch nicht, was letztlich dabei herauskommen wird. Einiges davon paßt zu den gegenwärtigen politischen Entwicklungen, die man nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa beobachten kann — ich meine die neuen Faschismus-Welle. Mit „Zooropa“ versuchen wir die Spuren der Dadaisten aus dem Berlin der 20er Jahre wieder aufzunehmen. Wir wollen Humor benutzen und uns über den Teufel lustig machen. Wir picken uns den Macho-Aspekt des Faschismus heraus und machen ihn lächerlich.
ME SOUNDS: Was hat euch an den Dadaisten gereizt?
EDGE: Sie haben Satire in die Kunst gebracht. Und obwohl wir nicht direkt in der Tradition ihrer Bewegung stehen, glaube ich doch, daß sie eine Menge Dinge in Bewegung gebracht haben, die sich nun in „Zoo-TV“ wiederfinden. Sie haben, so sehe ich es. auf eine verschrobene, verzerrte Logik reagiert, die damals in Europa vorherrschte. Und wir versuchen nun …
BONO:… alles noch mehr zu verzerren (lacht).
ME/SOUNDS: Welche Dadaisten haben euch denn beeinflußt?
EDGE: Die Leute des Kabarett Voltaires, vor allem John Heartfield (eigentlich Helmut Herzfeld. Illustrator und Mitbegründer der Berliner Dada-Gruppe — die Red.). Seine politischen Photomontagen haben uns sehr beeinflußt. Lind dann hat uns kürzlich jemand ein Buch von diesem deutschen Cartoonisten, ich glaube, er kommt aus Hamburg, in die Hand gedrückt. Ich hab‘ seinen Namen vergessen. Er ist wirklich außergewöhnlich. Er mall diese fiesen Cartoons über das Alltagsleben der Deutschen.
BONO: Ich glaub‘ es liegt oben auf dem Regal. Ja. hier ist es.
ME/ SOUNDS: Sieh an. Man/red Deix, der kommt aber nicht aus Hamburg, sondern aus Österreich.
EDGE: Er ist sehr komisch und bitterböse. Ich glaube nicht, daß wir in der Show so mutig sein werden, wie er. Ihm ist es offensichtlich egal, was die Leute von ihm denken. Sieh‘ dir nur diese Bilder vom fetten Wohlstandsbürger an. er ist wirklich gemein.
ME/SOUNDS: Im Rahmen eurer Deutschland-Tour spielt ihr auch im Berliner Olympiastadion. Dort hat Hitler 19.16 die Olypmischen Spiele eröffnet. Zur Zeit wird in Deutschland heftig diskutiert, oh dort auch die Olympiade im Jahr 2000 stattfinden sollte. Habt ihr keine Bedenken, an solchen Orten aufzutreten?
BONO: Ich denke, es ist wichtig, dort zu spielen. Wir haben „Achtung Baby“ ja auch im Berliner Hansa Studio eingespielt — ein Raum, der sowohl von den Allierten. wie zuvor von der SS als Tanzsaal genutzt worden war. Als wir dort ankamen, fragten wir uns. ob wohl noch die alten Dämonen in dem Raum wären. Aber wenn dem so gewesen wäre, hat sie die Musik verjagt.
Faschismus ernährt sich von Angst. Angst vor dem Teufel führt zur Teufels-Verehrung. Und ich möchte den Faschisten nicht eine solche Macht über mich geben, daß ich Angst hätte in diesem Stadion zu spielen. Was meinst du. Edge?
EDGE: Ich sehe das genauso. Man sollte ihnen nicht zuviel Respekt geben. Dieses Stadion ist nur ein Gebäude. Gut, dahinter mögen sich bestimmte Symbole verbergen. Aber man muß es quasi zurückfordern, oder besser gesagt: zurückstehlen. Wir waren kürzlich in Hamburg und haben im Thalia Theater an einer Anti-Rassismus-Konferenz teilgenommen. Diese und andere Aktionen in Deutschland haben mich sehr optimistisch gestimmt. In anderen europäischen Ländern wie Großbritannien oder Frankreich hast du ähnliche Probleme mit der extremen Rechten, ohne daß die Bevölkerung so massiv dagegen protestiert, wie in den vergangenen Monaten in Deutschland. Sicher hat Deutschland aufgrund seiner Geschichte eine andere Stellung, aber man muß die Dinge auch im richtigen Verhältnis sehen. Ich kann mir beim besten Willen nichl vorstellen, daß Deutschland jemals wieder in die 30er Jahre zurückfallen wird.