Tüchtige Träumer


Den Traum vom kultivierten Sozialismus träumt Paul Weller schon seit Jahren. Doch aus dem zornigen jungen Mann, der mit The Jam noch klassenkämpferische Töne anschlug, ist ein stilbewußter Ästhet geworden. Mit seinem Partner Mick Talbot versucht er als Style Council nun, das Unmögliche möglich zu machen: Eleganz und revolutionären Elan unter einen Hut zu bekommen. Sylvie Simmons blieb skeptisch.

Pi uristen haben es schwer in dieser Zeit komplexer Widersprüche. Man braucht bloß eine Zeitung aufzuschlagen, selbst eine Zeitung mitgroßbusigen Mädchen drin, um festzustellen, daß die Dinge längst nicht mehr so einfach liegen, wie sie damals in den 60ern wirkten, als es nur Uns und Die Anderen gab, und die Musik noch das pure, reinigende Feuer einer Inquisition der Töne hatte.

In den 70em galten Puristen als zynisch. In den 80ern gelten sie als naiv. Das letzte Mal, als ich Paul Weller in LA sprach (er spielte noch bei den Jam), kam ihm der Zynismus aus jeder Pore. Diesmal – in Sheffield im Sommer ’85 – spricht aus jedem zweiten Wort Naivität. Im britischen Pop dieser Tage entspricht Paul Weller wohl am ehesten dem Bild eines Puristen. Man hat ihn entweder als „Heiligen“ oder als „elenden Bastard“ bezeichnet. Wenn Bob Geldof heute allgemein als Jesus gilt, ist Paul Weller der heilige Karl Marx.

Oder vielleicht Marx and Spencer ? Zumindest wenn man nach dem chicen aber lässig sportlichen Hemd geht, das er zu seinem frisch gerichteten Haarschnitt trägt. Barfuß ist er auch. Genau das Richtige, um auf dem Wasser zu wandeln…

Wie so oft, liegt die Wahrheit irgendwo zwischen den beiden Extremen. Paul Weller ist ein elender Bastard, wie Ihr wahrscheinlich selbst bemerkt habt, als er neulich in ME/Sounds als Gastkritiker bei allem und jedem

das Gesicht verzog. Und was den Heiligen angeht, äußert er sich öfter zu politischen und sozialen Themen als irgendeiner seiner Pop-Kollegen. Und er läßt seinen Worten auch Taten folgen: Er beteiligt sich an Benefiz-Konzerten, Protestkundgebungen, Märschen, Petitionen und stiftet die Tantiemen aus Singles. B-Seiten und Alben für Zwecke wie die Aktion gegen Gewalt bei Sportveranstaltungen, die Kampagne für nukleare Abrüstung, die Unterstützung von Arbeitslosen oder den Opfern des Bergarbeiterstreiks und ihren Familien. Und er hatim reifen Alter von 27 – das Amt des Co-Präsidenten des Internationalen Jahrs der Jugend übernommen.

Manchmal hat man den Eindruck, daß er über den Popper in sich stolpert; ein andermal scheint er über sein Ego zu stolpern. Aber er bemüht sich zumindest – und hat zwischen diesen Bemühungen noch die Zeit gefunden, ein neues Album mit der Gruppe aufzunehmen, die er mit Mick Talbot im Frühjahr ’83 gegründet hat: Style Council.

Our Favourite Shop ist das Endresultat von mehr als einem Jahr Arbeit. Paul Weller hält es für eins der besten Alben, die je gemacht wurden. Das ist es nicht – es klingt zwar selbstsicherer, abgerundeter und deutlicher auf den Punkt gebracht als frühere Versuche, vermengt seine Stil-Zutaten allerdings immer noch zu unbedacht und nicht immer mit den besten Resultaten: flaue Latin-Klänge. Funk, R&B, 20er-Jahre-Jazz. satte Streicher und purer Pop. Obwohl weniger schmalbrüstig und planlos als das Cafe Bleu Album im letzten Jahr, wirkt Our Favourite Shop an manchen Stellen nach wie vor aalglatt und blasiert; sozialer Wandel durch Muzak.

Kopfschütteln erntet Weller auch beim Style Council-Konzert in der Stadthalle von Sheffield, als er das Publikum zwar lautlos zum Aufstehen und Tanzen auffordert, dann aber weiter beschwingte Bar-Musik spielt, die man sich allenfalls im Sitzen anhört…

Am Tag nach der ausverkauften Show mampfen Paul Weller und „Merton Mick“ Talbot (Tastenmann und zweite Hälfte einer Band, die, wann immer ihr danach ist, die Mitglieder wechselt) Käse-Toasts, rauchen wie die Schlote und klopfen Sprüche, die man eher von Wham! erwarten würde als von Style Council. Wellers Gesicht, das aussieht, als ob es zu oft in die Waschmaschine gesteckt worden sei, produziert ein schwaches Lächeln; Mick wirkt vergleichsweise strahlend. Meine erste Frage richtet sich an Paul: Was ist das größte Mißverständnis seiner Person?

„Das ich ein elender Bastard bin.“

Kommt „heilig“ der Wahrheit näher?

„Das ist ein Mißverständnis!“ lacht Mick. „Nein, das kommt der Sache schon näher“, lacht Paul noch lauter.

Es gibt Stimmen, die behaupten, er sei seit der Gründung von Style Council ein anderer geworden. Mit Sicherheit ist er nicht mehr so finster drauf wie bei The Jam.

„Ich weiß nicht.“ Paul zuckt die Achseln. „Bei sich selbst kann man das nicht so richtig beurteilen, aber es gab Leute, die das gesagt haben. Ich ändere mich- ständig – ich weiß nicht in weicher Richtung. Hab‘ ich mich geändert. Mick?“

„Nein!“ Jetzt macht Mick den Kasper. „Seit heute früh hat er sich nicht geändert. Als wir aufstanden, haben wir uns gesagt: Wir gehen so runter, wie wir sind.“

Sie bezeichnen ihre Zusammenarbeit als „familiär“, und ihr Umgang mit der Crew und den diversen Leuten hinter den Kulissen wirkt tatsächlich ungewohnt vertraut. Zumal Paul Wellers Mutter den Fanclub schmeißt, Pauls Freundin bei der Buchführung hilft, und sein Vater John Weller, der frühere Jam-Manager, jetzt Style Council managt – zumindest noch die nächsten Monate. Mrs. Weller will, daß er öfter zu Hause ist …

„Der ganze Prozeß“, meint Paul, „verläuft einfach viel erfreulicher. Auf Tour gehen zum Beispiel – das macht inzwischen wirklich Spaß! Früher war das echte Maloche, das ist mir echt auf den Sack gegangen.“

Seit wann haben ihm denn Jam keinen Spaß mehr gemacht?

„Ungefähr 1980. Es war nur noch Maloche, zuviel Zoff, in finsteren Löchern spielen …“ Er bricht ab: kein Thema, auf das er näher eingehen will. Aber eins, das ihn verfolgt. Obwohl er mit Style Councils geglättetem Sound eine neue Anhängerschaft gewonnen hat, sind ihm zahlreiche Jam-Fans treu geblieben. Eine Handvoll steht in Sheffield vorn an der Bühne, ein oder zwei hüpfen nostalgisch auf die Bühne, andere warten auf die härteren, schnelleren Nummern, die noch immer im Repertoire sind.

The Jam waren eine feine Band – eine ernsthafte Gruppe, die wußte, was sie wollte, und deren Musik ebenso kompromißlos war wie ihre Standpunkte. Die Style Council-Musik mag zwar leichter zugänglich sein, wirkt dadurch aber auch irgendwie kurzlebiger.

Weller ist anderer Ansicht. Er hält Our Favourite Shop für DAS Album des Jahrzehnts und nicht bloß irgendein neues Ex- und Hopp-Produkt für die jugendliche Konsum-Gesellschaft. „Für Popmusik im allgemeinen mag das ja stimmen“, grinst er vorsichtig, „aber ich glaube nicht, daß das auf unsere Musik zutrifft. Ich behaupte nicht, daß wir einmalig sind aber wir haben etwas zu sagen, was die Musik dauerhaft macht. Wenn man hingegen Whaml-Songs oder Ähnliches singt, mag das vielleicht zutreffen.“ Er grinst schon breiter. „Aber das tun wir nicht.“

Sie singen vielleicht keine Whaml-Songs, wage ich einzuwenden, aber sie bringen doch inzwischen auch ganz schön glatte und weiche Sachen, viel plätschernde Bar-Musik. Paul will darauf nicht eingehen.

„Niemand denkt ständig und immer mit der gleichen Intensität, oder?“, protestiert Mick. „Man macht sich ganz unterschiedliche Gedanken. An manchen Tagen wachst du auf, schaust in den Spiegel und denkst: .Seh ich nicht toll aus?‘ und manchmal haßt du dich selbst: und das sind wohl die Momente, in denen du ehrlicher bist. “ Was wohl heißen soll, daß langsame, gefühlvolle Songs dieselbe Existenzberechtigung haben wie schnelle und druckvolle. Trotzdem wirken ihre Liebeslieder unbeholfener als die politischen Songs, als ob es ihnen peinlich wäre, sie öffentlich zu singen. Eine Berufskrankheit politischer Wortführer?

“ Liebe ist nun mal ein heikles Thema, wenn man Songs schreiben will“, erklärt Paul. „Weil’s nicht automatisch im Sonnenuntergang endet, mit dem gemeinsamen Weg in eine goldene Zukunft und all dem Mist. Aber dieser Mist gehört wohl auch dazu.“ Der alte Zynismus kommt wieder durch.

Vieles von dem, was Weller sagt, bewegt sich auf einer beinah autoritären Linie. Seine Interviews aus jüngerer Zeit waren eher Vorlesungen und erklärten seine Perspektive zur einzig wahren; was andere Gruppen denken, ist falsch, falsch und nochmals falsch. In einer „Vorlesung“, die er neulich für den „Melody Maker“ schrieb (die waren so schlau, ihn gleich sich selbst interviewen zu lassen), stauchte er Duran Duran, Culture Club, die Thompson Twins und Wham! dafür zusammen, daß sie die Popmusik mißbrauchen würden, um ihr Bankkorto und Ego aufzublähen.

„Auf eine Menge Pop-Gruppen reagiere ich reichlich zynisch, das stimmt“, erklärt Paul. „Das liegt daran, daß das so ein

zynisches Business ist. Ein paar gute Leute gibt es schon „, meint er auf die Kritik, daß er außer Style Council nichts und niemanden mag. „Billy Bragg kann ich wirklich gut leiden. Er ist glaubwürdig. Und was mir noch an ihm gefällt, ist die Tatsache, daß 80 Prozent seines Materials Liebeslieder sind – überhaupt nicht politisch! Aber durch das, was er tut, geht er mit gutem Beispiel voran, und das ist wahrscheinlich noch besser und effektiver, als über politische Themen zu schreiben.“

Glaubt er wirklich, daß Popmusik die Weit verändern kann?

„Ich bin mir nicht sicher, wie viel Popmusik tatsächlich ändern kann, aber ich halte sie immer noch für wichtig, egal was sie erreicht. Man kann damit keine ganze Nation ändern, aber sie verstärkt Entwicklungen, die ohnehin vor sich gehen.“

Glaubt er denn, daß die Leute wirklich wollen, daß die Dinge sich ändern?

„Naja, die Leute haben immer Angst vor Veränderungen, oder? Ich versuche gar nicht, mich da auszunehmen. Man gewöhnt sich an gewisse Sachen, man fühlt sich sicher. Ich glaube, es kommt darauf an, die Veränderung als eine Herausforderung zu begreifen, als etwas Neues und Spannendes.“

Klingt wie der Werbespot einer Partei.

„Die meisten Parteien des linken Flügels wirken reichlich stur und langweilig, sobald sie von Veränderungen reden.“

Manchmal fällt es schwer, aus Weller schlau zu werden. Er selbst würde sich wahrscheinlich als Junger Sozialist bezeichnen, obwohl einige seiner Standpunkte liberal, andere eher utopisch klingen, besonders die Art, wie er über ein Großbritannien redet, das es vermutlich nie gegeben hat: mit kleinen, heimeligen Gemeinwesen, kooperativen Arbeitsgruppen und ehrbaren Handwerkern.

In wieder anderem Zusammenhang, könnte er (obwohl ihm das übel aufstoßen wird) durchaus auch als Junger Konservativer durchgehen. Zum Beispiel, wie er sich aus einer Arbeiterklassen-Vergangenheit zu seinem eigenen Luxus-Apartment im Londoner West End hochgearbeitet hat, alles durch seinen eigenen Einsatz und harte Arbeit.

„Das ist ein harter Brocken“, grübelt Paul. „Keine Ahnung, was ich darauf antworten soll. Es wäre mir viel lieber, wenn das nicht meine private Wohnung wäre. Wenn das Gemeineigentum wäre, wäre mir viel wohler.“

„Die Thatcher hat doch kein Monopol auf sämtliche Bemühungen, sich zu verbessern“, unterbricht Mick. „Für mich ist das noch kein Kapitalismus.“

Eins ihrer Lieblings-Projekte ist die Situation der Arbeitslosen – obwohl sie gleichzeitig die Ansicht vertreten, daß die Arbeit überbewertet werde und „die Leute wieder lernen müssen, mit Freizeit umzugehen“.

Sehen sie Style Council als Job?

„In gewisser Weise ist das auch Arbeit“, erklärt Paul und fügt hinzu, daß sie alle ein Gehalt bezahlt bekommen und das Geld gleich wieder in ihre Firma gesteckt wird. „Wir arbeiten hart, aber mit einem Bergarbeiter läßt sich das sicher nicht vergleichen …“

Apropos Bergarbeiter: Bei so vielen guten Zwecken überall nach welchen Kriterien entscheiden sie, für welche sie sich einsetzen?

„Einige Dinge tun wir einfach, weil wir dran glauben“, meint Paul. „Du kannst dich nicht für zu viele Sachen einsetzen, sonst verzettelst du dich – und die Leute halten dich für ein leichtes Opfer, das sie jederzeit anpumpen können, oder für einen notorischen Weltverbesserer und das sind wir nicht. Wir sind nicht die Wohlfahrt oder sowas.“

Style Council – oder zumindest Paul Weller – haben in letzter Zeit versucht, von dem Image des zornigen, jungen Mannes, des Sprachrohrs einer Generation wieder loszukommen, indem sie leisere, humorvollere Töne angeschlagen haben. Das schlägt sich auch auf dem Album-Cover nieder- und einem Foto, das kürzlich die Titelseite des „New Musical Express“ zierte: Paul Weller, nackt bis auf ein paar Zweige und Kriegsbemalung ä la Adam Ant. Weller, der edle Wilde. Sieht er sich selber so?

„Ich seh mich selbst als edlen Wilden, ja“, lächelt er, halb spöttisch, halb ernst. Und er allein muß für uns alle kämpfen?

Weller schüttelt den Kopf. “ Viel wichtiger ist, daß die Leute ihre eigenen Möglichkeiten erkennen; daß sie merken, daß sie selbst die Dinge beeinflussen können. Es ist besser, wenn die Leute für sich selbst sprechen und ihre Belange selbst in die Hand nehmen.“