Treibhouse: In der Italo-Disco wuchert der Klang-Klau


Im vergangenen Jahr hießen die Tanzflächen-Trends Acid, Balearic Beat und New Beat. In diesem Winter blüht Italo-House. In London sind die billigen Dancefloor-Imitate bereits ein Party-Phänomen - nun klettern sie auch in den deutschen Charts unaufhaltsam nach oben. ME/Sounds-Mitarbeiter Michael Reinboth zog sich die housegemachten Spaghettis rein.

Im Supermarkt der synthetischen Dancefloor-Grütze herrscht mal wieder „Italienische Woche“. Die Großraumdiscos zwischen Bad Oldesloe und Sindelfingen flackern in den grün-weiß-roten italienischen Nationalfarben.

Italo-Disco gibt es zwar schon seit Jahren, und Labels wie Zyx oder Streetheat bombardierten mit flotten Billigprodukten nicht ohne Erfolg den deutschen Markt. Aber erst neuerdings verkaufen sich italienische Dancefloor-Produktionen wie die bunten Nudeln. Vielleicht liegt das daran, daß man normalerweise mit Mortadella. Pinot Grigio und Cannelloni einen gewissen südländischen Lebensstil, mitunter sogar guten Geschmack, in Verbindung bringt. Der DJ aber, der Gino Latinos „No Sorry“ auflegt, unterscheidet sich nicht wesentlich vom dumpfen Macho im röhrenden Ferrari.

Ausgelöst haben den Trend wieder einmal die Engländer, die sich keiner Erniedrigung zu schade sind – Hauptsache, der nimmermüde Partygänger dankt es ihnen.

Wie seinerzeit Marco Polo die Spaghetti-Nudel aus China mitbrachte, so kehrten namhafte Londoner DJs wie Dave Dorrell (MARRS) und Mark Moore (S-Express). Danny Rampling, Greame Park und Kid Bachelor mit zahlreichen Italo-Scheiben, darunter Bootlegs. Medleys und allerlei House-Mixe, von ihren Gastspielen an der Acid-Küste der Adria zurück. „Home ist in Italien total populär“, erzählt Kid Bachelor auf einer steifen House-Party in München, „vielleicht liegt’s um Wetter oder am Wein. Die Italiener spielen zwar viel kommerzielles Zeug, und damit meine ich nicht einmal Sabrina oder Spagna, aber sie sind auf jeden Fall lockerer als die Deutschen.“

In der Tat: Wer frühmorgens in Italien das Radio aufdreht, kann sicher sein, daß ihm von irgendeinem der vielen Privatsender der Bums des Housebeat entgegendröhnt und die Oberfläche des Cappuccino kräuselt. Seit Jahren sitzen in diesen Sendern gewiefte DJs. die 24 Stunden am Stück House und Hi-NRG. Disco und Hip Hop, Eurobeat und Electronic Body Music mixen. „Wenn du nicht mixen kannst, kriegst du keinen Job hier“, schwört Cutmaster G., Italiens Finalist bei der DJ-Weltmeisterschaft.

Cutmaster G. alias Andrea Gemolotto bildet zusammen mit Riki Persi und Claudino Collino das D. F. C. Team (Dance Floor Corporation) aus Bologna, eine der erfolgreichsten Italo-House-Schmieden. Englische und deutsche Plattenfirmen machen dem Trio zur Zeit ungeheuer attraktive Angebote. Dabei ist die „IC Love Affair“ des D. F. C. Teams lediglich die House-Version eines Hits der italienischen New-Wave-Band Gaz Nevada aus dem Jahr 1982. Und für „Deep Love“ und „Relax Your Body“ kupferten die Drei von „What Time Is Love“ von der britischen Formation KLF ab, die gerade überlegt, ob sie dagegen klagen soll.

„Das Stück ,Helyom Halib‘ von Capeila war eigentlich der erste House-Truck, durch den die Briten auf uns aufmerksam wurden“, erzählt Andrea Gemolotto. Doch intensiver von der Sonne Italiens gekitzelt und deshalb besser für jede Veranda-Party geeignet ist der Titei „Sueno Latino“ von der gleichnamigen Formation mit Carolin Damas. Das spärlich instrumentierte Stück New-Age-House basiert auf dem deutschen Sequencer-Klassiker „E2-E4“ von Manuel Göttsching (Ashra Temple) und ist bisher der größte Renner des D.F.C. Teams.

Die italienische Interpretation von US-House ist simpel: Hauptsache, der Beat stimmt; der Baß sorgt für ein bißchen Vibration, und hier und da wird ein bekanntes Sample untergemixt. Wenn’s hoch kommt, schreit jemand ganz sakrisch – ansonsten bestimmen süffige Melodien wie „Vamos A La Playa“ und geklaute Soundspielereien alle Maxis.

Sound-Diebstahl und Bootlegging beherrschen diesen Treib-House-Markt. Inzwischen gab es sogar schon etliche Hausdurchsuchungen bei verschiedenen Vertriebsfirmen. Manche inoffiziellen House-Mixe werden so populär, daß sich ihre Macher im Nachhinein um die Rechte bemühen. So tat das Frankie Knuckles bei Martin Fry mit „Tears Of ABC“. Auch die Rap-Version von Soul 11 Souls „Keep On Moving“ von The Mad DJs Band gehört in diese Kategorie, außerdem „Desidero Latino“, ein Crossover aus „French Kiss“ und „Sueno Latino“, und Richie Havens‘ „Going Back To My Roots“, das sich als nicht erkennbare Schwarzpressung in England so sensationell verkaufte, daß es prompt den Einstieg in die Dance-Charts schaffte. Daraufhin erst wachte der zuständige Musikverlag auf und ließ umgehend zwei Mafioso-DJs aus Milano verhaften.

Die italienische Hi-NRG-Popmusik funktioniert wie der italienische Fußball: Ausländische Größen werden ins Land geholt, das mediterrane Flair hüllt alles ein, und die guten Patrioten verteidigen das Resultat genauso eisern wie die grün-weiß-rote Fahne. Und weil die DJ-Kultur in Italien wesentlich ausgereifter und professioneller als in Deutschland arbeitet, schafften es die Italiener, ihr billiges Imitat in ganz Europa und bis in den Nahen Osten und nach Japan populär zu machen. Die lockere Atmosphäre der riesigen Touristendiscos wie „Movida“ in Jesolo oder „Ethos Mama“ und „Diabolika“ in Rimini tat ein übriges. In Deutschland hingegen mußte das Dancefloor-Projekt „Teutonic Beats“ scheitern, weil germanische Gefühlsschwere solch kommerzieller Tanzmusik anscheinend entgegenwirkt. ltalo-House spricht eben in erster Linie den feurigen Latin Lover an. Daniele Davoli alias DJ Lelewel liebt Kraftwerk und findet, West Bams „And Partv“ ist eine gute Sample-Platte. Zielstrebig saust er in einem seiner schnittigen Ferraris durch die Provinz Emilia Romagna und legt in den In-Discos zwischen Modena, Bologna, Rimini und Riccione Platten auf, vorrangig seine eigenen Produktionen. In seinem Stammladen, Reggios „Neil‘ Emilio’s Starlight Club“, war DJ Lelewel der Eisbrecher für Italo-House. Mittlerweile hat er seinen eigenen Laden, den Marabu Starlight Club.

Zusammen mit Velerio Semplici, einem Musiker im Sinfonie-Orchester der Mailänder Scala, sowie mit Mirko Limoni (der war Sound-Tüftler für Spagna) sampelte Davoli schon vor drei Jahren mit „House Machine“ die heißen Chicago-Beats. Inzwischen strickte dieses Produktions-Team mit dem dumpfen Namen „Groove Groove Melody“ rund zehn Maxis, davon zwei äußerst erfolgreiche: „Numero Uno“ von der Starlight Invention Group und „Ride On Time“ von Black Box.

Die Schreie des Black-Box-Models Katerine gellen längst vom Nordkap bis zur italienischen Stiefelspitze und eroberten auch die deutschen Top Ten. Typisch für die DJ-Mafia sind jetzt allerdings die massiven Probleme, die mit dem Euro-Hit auftauchen. Denn die gewaltige Stimme von Black Box ist blanker Diebstahl: Der Originalton stammt von der Souldisco-Diva Loleatta Holloway, die um 1980 Erfolge auf dem Salsoul-Label verbuchte und von den derzeitigen House-Prinzessinen Adeva oder Kym Mazelle immer wieder als einflußreichste Sängerin genannt wird.

Und die Klauerei geht weiter: Weil Katerine von Black Box die gesampelten Schreie auf „Ride On Time“ nur wie eine Statistin imitiert und damit jeder Live-Auftritt zur Peinlichkeit geraten würde, holte sich ein obskurer Signor namens Raphalo Rodolpho die junge schwarze Sängerin Michou Pascal aus München ins Studio und ließ sie „Ride On Time“ echt singen. Unter dem Namen Pink Slip versuchen die beiden nun, einen Happen von der fetten Pizza zu erwischen und zumindest live in den Diskotheken abzusahnen.

Derartige Indizien, daß die Club-Musik immer mehr zum Plagiat des Plagiats verkommt, häufen sich. Dabei ist die Basis-Idee von ltalo-House – alte Hits zu sampeln und ins Disco-Recycling zu schleusen – im Grunde wahrlich nicht übel. Aber leider hinterläßt der main-stream-orientierte Allenvelts-Approach der Italiener dann doch nur einen faden Nachgeschmack. Wir bevorzugen daher aus italienischen Regionen weiterhin das hausgemachte Eis anstatt den zu House gemachten Scheiß.