Traumer


Am liebsten verschanzt er sich auf seiner kalifornischen Ranch und pflegt seine Träume. Doch irgendwann müssen auch Legenden mal wieder auf Tour. Wie Weltflucht und Wirklichkeit zusammenprallen, konnte Gitti Gülden beobachten, als sie Young zum Tourneestart in Rom traf.

Es wäre interessant, mal in Hiroshima zu spielen“, meint die hochgewachsene Legende neben mir in Gedanken versunken. Seine langen, dünnen Haare flattern im Frühlingswind. Er trägt Jeans, Turnschuhe, kariertes Baumwollhemd und Jeansweste — so als habe er vor 20 Jahren eben diese Kleidung im Dutzend billiger bekommen, um sich nie mehr Gedanken um die Garderobe machen zu müssen. Hat ja auch irgendwie Stil.

Bewundernd betrachtet Neil Young die Kulisse Roms, die sich zu unseren Füßen erstreckt. Wir stehen auf der Hoteldach-Terrasse des Monte Mario, rechts die gewaltige Kuppel des Petersdoms. „Das atmet Geschichte, nicht wie bei uns.“ Neue Welt sieht Alte Welt. „Es ist schön, eine Europa-Tournee hier im Süden zu beginnen. Da bekommt man das richtige für diesen Kontinent. „

Dem Kanadier aus Kalifornien entgeht ganz offensichtlich, welche Problematik eine Veranstaltung wie ein Neil Young-Konzert gerade in Italien in sich birgt. Hier in Rom befindet sich die Halle, ein bombastischer Sportsaal, eine Stunde von der City entfernt, im gruseligen, von Mussolini machtprotzend gebauten Stadtteil E.U.R. Der Gig beginnt um 22 Uhr. die Stimmung schwankt zwischen bekiffter Hippie-,.Seligkeit“ und aggressiver Anmache. Kein Wunder: Von 20 Eingängen sind nur zwei geöffnet, und in jedem der Eingangsschleusen stehen neben Ordnern nicht nur Polizisten, sondern auch noch Militär mit Handschellen. Jeder Konzertbesucher wird einzeln piepsend abgetastet. Das dauert und läßt nicht gerade Friede und Feude aufkommen.

Neil Young weiß von all dem nichts und phantasiert derweil optimistisch weiter, daß gerade an solch widersprüchlichen Orten seine Konzerte zwecks Demonstration eines entschlossenen Friedenswillens bestens aufgehoben seien, deswegen habe er auch so gerne auf Nürnbergs Zeppelinfeld gespielt, allein die Symbolik …

Die Atmosphäre im Saal ist leicht hysterisch, das Konzert hernach wird frenetisch bejubelt, und Neil Young ist samt seinen Crazy Horse so mitgerissen, daß er zeitweise seine Gitarre anstarrt, als würde sie jeden Moment in seiner Hand explodieren. Seine Soli sind offensichtlich so erschöpfend, daß er auf die Bühnenbretter sinkt, wie ein Maikäfer daliegt, um kurz darauf voll neuer Energie wieder hochzuspringen. Kaum faßbar, wie das römische Publikum selbst bei neueren Songs lauthals und mehrstimmig Meister Young und seine Gitarre begleitet.

Auf anfangs erwähnter Dachterrasse war mir ein kleines silbernes Surfbrett an Youngs Halskette aufgefallen. Er sei sportlich geworden, sagt er, weil er früher körperlich einfach zu schwach gewesen sei. „Mein Sohn war behindert, und als er wuchs, konnte ich ihn eines Tages nicht mehr tragen. Ich ging zum Arzt, und der arbeitete ein Fitneß-Programm für mich aus. “ Für einen Diabetiker, der vorher in seinem Leben nie Sport getrieben hat, sicher kein leichter Entschluß.

Früher saß er pausenlos in seinem Studio und arbeitete unermüdlich an Songs, experimentierte mit allen möglichen Spiel- und Stilarten.

„Meine Musik hat sich schon immer in sehr verschiedenen Zyklen bewegt, und ich musiziere ununterbrochen. Ich könnte mühelos pro Jahr drei Alben produzieren. Allerdings spielt meine Plattenfirma da nicht mit.“

Aut meine Frage, warum Neil Young denn bereits jetzt auf Konzertreise gehe, wo sein neues Album LIFE doch erst Wochen später veröffentlicht wird, kommt von Seiten besagter Firma die lakonische Antwort: „Solche Fragen lassen ihn kalt. So dicht an einem Album hat er noch nie eine Tournee gemacht.“

Der Firma zuliebe, so meint der passionierte Künstler, habe er wieder ein Rock-Album gemacht: „Solange ich Rock’n’Roll spiele, ist offenbar jeder glücklich. Und nenn ich das mit Crazx Horse mache, bin auch ich dabei glücklich, denn sie sind meine besten freunde und die beste Rockband, die ich kenne.“

Für seine Zukunft sieht sich der Inbegriff musikalischer Veränderungen allerdings eher bei seiner heimlichen Liebe, der Country-Musik, zu Hause. „Mein Coumry-Album war nur die Spitze des Eisbergs. Denn Country-Musik ist die richtige Musik für Rock-Musiker, die älter werden und trotzdem noch spielen wollen. Rockmusik kann außerdem auf die Dauer langweilig werden. Bei der Country-Musik kann man richtige Geschichten eizählen, Geschichten von richtigen Menschen, von echtem Leben, nicht von Kunstfiguren.“

Und das richtige, echte Leben beschäftigt ihn mehr und mehr. Seine aufwachsenden Kinder spielen da eine gewichtige Rolle, und Youngs erklärtes Ziel ist es, den Kindern nie einen Stein in ihren Weg zu legen. Das sei ihm erheblich wichtiger als über den Sinn oder Unsinn seiner eicenen Existenz nachzugrübeln:

„Sie sollen nie das Gefühl haben, in meinem Schatten stehen zu müssen. Kinder bekannter Leute haben ja das vermeintliche Problem, genauso erfolgreich sein zu müssen wie ihre Eltern; sonst erscheint manchen Aujknstehenden und dann ihnen selbst ihr eigenes Leben sinnlos. Mein größtes Ziel ist heute, meine Kinder in ein Leben zu begleiten, das sie auf ihre Weise ausfüllen und sinnvoll gestalten können.“

Er schaut wieder zum Petersdom rüber, und als ich ihn frage, ob er etwa mit dem Gedanken spiele, auch auf diesem Platz einmal auftreten zu wollen, da lächelt er nur vielsagend in den Wind.