Tori Amos ist nach ihrer Babypause wieder zurück auf der Bühne. Und schlägt dabei die Brücke zwischen Judy Garland und Eminem.
Et ist dunkel. Stockdunkel. Plötzlich blitzen ein paar Strahlen durch die Löcher des schwarzen Vorhangs, der die Bühne verhüllt, irrlichtern durch den Saal des „Beacon Theaters“ in New York. Die Musik setzt ein. Diffuses Synthiegewaber. Darüber, gehaucht, die Stimme von Tori Arnos: „Baby your da-da loves you“. Die erste Zeile aus „’97 Bonnie & Clyde“, Eminems kontroverser Gewaltphantasie aus seiner „Slim Shady LP“ über einen durchgeknallten Typen, der seine Frau umbringt, deren Leiche in den Kofferraum seines Autos packt, um sie dann in einen See zu werfen. Vor den Augen der gemeinsamen Tochter. Doch es gibt kein Gerappe, keine Beats. Tori Amos, die praktizierende Psychoanalytikerin des Pop, wispert den Text zu langgezogenen E-Piano- und fahrigen, manchmal fast hysterischen Geigenklängen. Sie nimmt einen völlig anderen Standpunkt als Marshall Mathers ein, schildert das Geschehen nicht aus der Sicht des Täters, sondern aus der des Opfers. Aus der Sicht der Frau.
Ein Konzept, das Tori Arnos auf ihrem jüngsten Album „Strange Little Girls“ von Anfang bis Ende konsequent durchzieht. Ein Dutzend Songs hat sie sich dafür vorgeknöpft. Alle im Original von Männern gesungen. Tori Arnos dreht den Spieß um. Gibt den Mädchen und Frauen in diesen Stücken eine Stimme, versucht deren Fühlen und Denken zu artikulieren. Das funktioniert nicht immer. Etwa wenn sie aus „I Don’t Like Mondays“, im Original von den Boomtown Rats ein aufwühlendes hierzulande leider vom Radio totgenudeltes – Stück Popgeschichte, eine niedlich vor sich hin klimpernde Ballade macht. Bei „’97 Bonnie & Clyde“ hingegen geht die Rechnung auf. Tori Arnos skelettiert Eminems Gangster-Gedöns, stellt den Text in einen nicht nur musikalisch völlig neuen Zusammenhang. Aus der grotesk überzeichneten, im Grunde völlig lächerlichen, Hasstirade wird – so man sich darauf einlässt – ein aufwühlendes Mini-Theaterstück. Die optische Umsetzung tut da natürlich ein Übriges. Nach sechs langen, unheimlichen, fast beklemmenden Minuten fällt der Vorhang. Tori Arnos betritt die Bühne, setzt sich ans Klavier und findet über ein langatmiges Intro zu „Icicle“ aus ihrem Album „Under The Pink“. Einer ihrer bekanntesten und zugleich für sie so typischen Songs.
Mit Sex und Religion werden hier gleich zwei der großen Themenkomplexe behandelt, die im Werk der seit geraumer Zeit in England lebenden Amerikanerin immer wieder auftauchen. Darüber hinaus bietet „leide“ ihrer eindringlichen Stimme viel Platz, lässt sie in schwindelnde Höhen steigen und kurz darauf in trockenen Sprechpassagen aufprallen. Stehende Ovationen. Mit „Enjoy The Silence“ folgt der zweite Song aus „Strange Little Girls“. Der stramm marschierende Synthie-Pop von Depeche Mode gerät zum intimen Spiel zwischen Klavier und Stimme. Ähnlich intensiv: „Rattlesnakes“ aus dem gleichnamigen Lloyd Cole-Album mit der bezeichnenden Zeile „she says a girl needs a gun these days“. Danach geht es in die Vergangenheit: „Cooling“ und „Pandora’s Aquarium“ leiten über zu „Beauty Queen„, „Horses“
und „Spring Haze‘. Ihr Hang zurTheatralik ist immer noch unverkennbar, allerdings nicht mehr ganz so deutlich ausgeprägt wie früher. Nicht dass wir uns falsch verstehen: Das ist hier alles immer noch wahnsinnig intensiv, du. Aber wo sich Tori Arnos früherauf der Bühne völlig gehen ließ, den ganzen Körper am Klavier rieb, lässt sie heute die Songs für sich sprechen. Und die geben mit ihren mythengespickten, mit Bildern überfrachteten Texten sowieso mehr als genug her.
Für Erstaunen sorgt „Cool On Your Island“, ursprünglich auf „Y Kant Tori Read“ zu finden. Jenem ersten Amos-Album, das gerne mal unter den Tisch fallen gelassen wird. Und zwar nicht ganz zu Unrecht, präsentierte sich die Künstlerin 1988 auf dem Cover doch als säbelschwingender, auftoupierter Jennifer-Rush-Klon. Auch musikalisch hatte das alles mit der Tori Arnos, wie man sie heute kennt, nur wenig zu tun. Kaum zu glauben, dass seinerzeit von der Plattenfirma Leute wie Matt Sorum (erst bei The Cult, später bei Guns N’Roses am Schlagzeug) ins Studio geholt wurden. Zurück in die Gegenwart: „Doughnut Song“ und „Sweet Dreams“ stehen in der Folge auf dem Programm – welches übrigens an den drei aufeinander folgenden Abenden im jeweils ausverkauften „Beacon Theater“ stark differierte. So spielte Tori Arnos bei der zweiten und dritten Show zum Beispiel „Past The Mission“, „Mr. Zebra“, „Little Earthquakes“, „Talula“ und“Flying Dutchman“. Das Finale des ersten New York-Auftritts der „Strange Little Girls“-Tournee läutet „Crucify“ ein, der Hit ihres Quasi-Debütalbums „Little Earthquakes“. Diesmal fährt sie das Tempo weit herunter, nimmt dem Song damit allerdings auch etwas von seiner Energie. „Me And A Gun“, jenes Lied, mit dem Tori Arnos das Trauma einer Vergewaltigung zu verarbeiten versuchte, rezitiert sie mehr, als dass sie es singt. Das Publikum wagt kaum zu atmen. Erst nach der letzten Silbe bricht tosender Applaus los.“Baker Baker“ bildet nach knapp eineinhalb Stunden den vorläufigen Abschluss. Zur ersten Zugabe präsentiert Tori Arnos „China“ sowie den Judy Garland-Klassiker „Somewhere Over The Rainbow“. Doch man will sie partout nicht gehen lassen. Noch einmal kommt sie auf die Bühne, verabschiedet sich endgültig mit „Purple People“ und „Hey Jupiter“. Und wieder erntet sie minutenlange Standing ovations.
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