Top Guns – Das Texas Blues Rock Massaker
Nicht nur ihre Bärte sind länger. ZZ TOP, "die kleine Band aus Texas", demonstriert auch musikalisch, wie man aus einem minimalen Konzept den maximalen Effekt erreichen kann. Arlett Vereecke besuchte Dusty, Frank und Billy vor dem Start ihrer Deutschland-Tournee.
Dusty steckt als erster die Nase durch die Tür. Für die geplante Fotosession hat er sich schwer in Schale geworfen. Leider vergebens: Die Fotosession mußte aus ungeklärten, aber offensichtlich schwerwiegenden Gründen vertagt werden.
Als Billy Gibbons erscheint, ahnen wir den schwerwiegenden Grund: Billy kommt im sportlichen Weiß geradewegs vom Tennisplatz.
Er ist allerbester Laune —- nicht nur, weil er das Match gewonnen hat. Voller Stolz zeigt er Dusty und Frank seine neueste Errungenschaft: einen Beutel künstlicher Fliegen (gegenwärtig ein gefragter Novelty- und Party-Gag in den USA — Red,).
Wer ZZ TOP trifft, hat spontan das Gefühl, Teil jener großen Familie zu sein, die man seit Jahren kennt. Das Herz trägt man hier grundsätzlich auf der Zunge; es wird geflachst und gestichelt, daß die Balken sich biegen.
Interviews sind natürlich auch ein Teil dieses Spiels. Vielleicht deshalb, weil sie nichts zu befürchten haben: ZZ TOP befinden sich jenseits von Gut und Böse. Kaum ein Kritiker hat je seine Krallen an ihnen gewetzt — und die Zahlen ihrer letzten LP AFTERBURNER verraten, daß „die kleine Band aus Texas“ gegenwärtig größer ist denn je.
Ihre laufende Tournee bricht denn auch alle Rekorde. Die Laser sind — Queen zum Trotz — die spektakulärsten; jeder Schritt, jeder Handgriff auf der Bühne sitzt perfekt; die Bühne selbst ist eine beeindruckende Kopie ihres feuerroten ZZTOP-Mobils.
Ihr seid — bevor es noch nach Europa und Fern-Ost gehl — bereits acht Monate unterwegs. Sind Tourneen dieser Größenordnung für eine Band wie ZZ TOP eigentlich noch notwendig — oder geben euch Konzerte selbst nach acht Monaten immer noch einen Kick?
Frank: „Wenn wir einmal anfangen, ist es schwer, wieder aufzuhören. Und wenn wir einmal aufgehört haben, ist es schwer, wieder anzufangen. Also machen wir lieber eine einjährige Tournee, um dann zwei Jahre blau zu machen — anstatt jedes Jahr drei Monate zu touren. Wenn man erst einmal auf der Rolle ist, rollt es sich leichter. Macht man eine Pause, kommt man gleich aus dem Tritt.“
Dusty. „Solange ich auf der Bühne stehe, habe ich keine Probleme. Die fangen erst an, wenn ich zu Hause sitze und nicht weiß, was ich mit mir anfangen soll. Dann gibt’s die berühmten ‚familiären Probleme‘.
Ich liebe die Freizeit, aber nach ein paar Wochen werde ich einfach kribbelig. Ich muß einfach auf einer Bühne stehen! Selbst wenn ich den Entschluß fassen würde, von heute auf morgen aufzuhören, wüßte ich nicht, ob mir das wirklich gelingen würde. Ich würde wahrscheinlich heimlich bei ’ner anderen Band mitspielen. Wenn ich dann wirklich mal abgeschaltet habe, ist alles okay. Dann ist es ein Gefühl, als hätte man ständig nur Wochenende.“
Billy: „Auf Tournee ist halt alles so einfach: Jeden Abend kommt jemand und sagt dir: .Hier entlang!'“
Denkt ihr denn trotzdem manchmal heimlich ans Aufhören ?
Billy: „Ich hab noch nie dran gedacht. Und hoffe es auch nie zu tun. Muddy Waters hat’s auch nicht getan.“
Geht ihr euch denn nicht manchmal selbst auf die Nerven ?
Frank: „Laß mich das mit einer kleinen Geschichte erklären: Billy verabschiedete sich neulich für zwei Tage, um sich ein paar Motorboote anzuschauen. Als er zurückkam, rief er als erstes bei uns an und saute:
,Gee Boys, ich kann’s nicht glauben, aber ich habe euch wirklich vermißt‘.“
Wie lange habt ihr denn für diese Tournee geprobt? Eine solch ausgeklügelte Choreographie hatte man von Leuten wie euch ja nie und nimmer erwartet.
Dusty: „wenn wir proben, proben wir keine Schrittfolgen oder derartigen Schnickschnack. Das passiert von ganz alleine. Wenn Billy vor mir steht, mache ich einfach seine Schritte nach — und andersrum läuft’s genauso. Das ist das ganze Geheimnis.“
Bleiben wir bei Geheimnissen. Was ist eigentlich das Geheimnis hinter euren Rauschebärten ?
Billy: „1976 war Dusty auf einmal verschwunden; und als er wieder auftauchte, hatte er einen langen Bart. Also mußte ich meinen auch wachsen lassen. Es passierte einfach so, es wurde nie darüber gesprochen. Bis mich ein Freund, der natürlich Therapeut ist, eines Tages fragte: ,Was steckt eigentlich hinter den Birnen?‘ ‚Wovon redest du überhaupt?‘, fragte ich ihn. ‚Nun ja, es ist wie ein Brustpanzer. Im Mittelalter trugen die Leute solche Schilde, um sich zu schützen. Gib doch zu: Bei dir ist es auch ein Schutzmechanismus. Du versteckst dich dahinter und schirmst dich von der Welt ab!‘ .Klar, Alter‘, hab ich gesagt, ,das muß es sein!‘ Vielleicht steckt ja
wirklich ein Körnchen Wahrheit drin, aber man kann’s mit den Erklärungen auch übertreiben.“
Trotzdem, wo wir schon mal beim Analysieren sind: Was steckt denn hinter den Sonnenbrillen, hinter den „cheap sunglasses“, die neben den Bärten ja auch eins eurer Trademarks geworden sind ?
Dusty: „Wir schrieben den Song, als wir noch vorwiegend in unseren eigenen Autos auf Tournee gingen. An jeder Tankstelle in den USA gibt’s einen Stand mit den billigsten und scheußlichsten Sonnenbrillen. Ich hab mir im Laufe der Jahre wahrscheinlich tausend von diesen Dingern zugelegt.“
Billy. „Zeitweilig haben wir bei den Zugaben Sonnenbrillen ins Publikum geworfen. Und bekamen prompt Ärger mit der Vereinigung der Augenärzte: , Tragt keine billigen ZZ TOP-Sonnenbrillen‘, ließen sie verlauten. ,Sie sind schlecht ßr die Augen!‘ Und wo sie recht haben, haben sie recht: Von einem gewissen Punkt an muß man die medizinischen Gesichtspunkte wohl tatsächlich in Betracht ziehen. Aber wenn wir singen: , When you wake up in the morning/And the light is hurting your head/The first thing you do/When you get up out of bed’is put on cheap sunglasses‘, dann heißt das ja nicht, daß man die Dinger den ganzen Tag tragen muß.
Ich hab sie früher Tag und Nacht getragen. Bis ich eines Tages mal aus nem Taxi steigen wollte und nicht merkte, daß vor der Autotür gerade ein tiefes Loch in der Straße war. Seitdem hab ich mir’s abgewöhnt. Es birgt gewisse Gefahren.“
Neben „Cheap Sunglasses“ gibt es von euch auch einen Song mit dem Titel „Sharp-dressed Man“. Solltet ihr euch damit etwa selbst meinen ?
Billy: „Um Gottes willen! In dem Punkt sind wir die denkbar ungeeignetsten Kandidaten. Wie sollte man einen bärtigen Hinterwäldler in die Kategorie ,Sharp-dressed Man‘ hineinzwängen wollen?! Obwohl uns ja unser Schneider mächtig auf Vordermann gebracht hat: Inzwischen tragen wir italienische Anzüge — knitterfrei!“
Ohne nun allzu tiefschürfend werden zu wollen: Eure Bodenständigkeit, im Auftreten wie in der Musik, ist ja vermutlich der Grundstein eures Erfolges?
Dusty: „Ich liebe ,Working Man’s Songs‘. Neulich mußte ich mal von Houston nach Austin und dachte:
,Hey, warum nimmst du nicht mal den Bus?‘ Im Bus oder Zug triffst du die schillerndsten Charaktere.
Mir macht’s einfach Spaß, diese Leute zu beobachten — und vielleicht drüber Songs zu schreiben.“
„La Grange“, so weiß man ja mittlerweile, ist eine Hymne auf ein kleines Bordell, das in Texas große Popularität genoß …
Dusty: „Hast du je den Film ,The Best Little Whorehouse In Texas‘ gesehen? Genauso war’s! Ich ging dort zum erstenmal hin, als ich 13 war. Viele der Jungs in Texas, denen der erste Bartflaum wächst, gehen dorthin, um sich entjungfern zu lassen. Manchmal nehmen auch die Väter ihre Söhne mit.
Es ging dort zu wie auf der Behörde: Trinken war verboten, und man durfte sich um Gottes willen nicht danebenbenehmen! Miss Edna ließ nicht mit sich spaßen. Sie warf den Laden —- und sie sah nicht so aus wie Dolly Parton in dem Film. Sie hatte die Haare büschelweise auf den Zähnen.
Nichtsdestotrotz gingen dort Senatoren und einfache Arbeiter ein und aus. Der Laden existierte schon über hundert Jahre. Bis irgendein Arschloch es für notwendig hielt, viel Staub aufzuwirbeln und den Laden schließen zu lassen.
Es gab zwar einen Sturm der Entrüstung, um die Schließung zu verhindern. Wir trugen unser Scherflein dazu bei, indem wir den Song machten. Die Platte war keine drei Monate raus, da wurde der Laden trotzdem und endgültig dichtgemacht. Schweinerei! Sicher, es war ein Bordell, aber wenn etwas hundert Jahre überlebt, dann muß doch auch was Positives dran sein.“
Habt ihr eigentlich auch schon mal wegen eurer Texte Ärger mit diesem Senatsausschuß bekommen, der über die Tugendhaftigkeit der Rockmusik wacht?
Billy: „Bis zu uns sind sie noch nicht gekommen. Das ist der Vorteil, wenn man im Alphabet an letzter Stelle steht. Wahrscheinlich haben sie spätestens bei Zappa ihr ganzes Pulver verschossen.“
Von eurer letzten Single „Velcro Fly“ gibt’s gleich fünf verschiedene Versionen, u.a. auch einen DanceMix, für ZZ TOP doch wohl ein ungewöhnlicher Schritt?
Billy: „Die Album-Version wurde zunächst von drei auf fünf Minuten ausgedehnt. Dann kam eine achtminütige Fassung —- und schließlich sogar eine zehnminütige. Das Ding wurde einfach länger und länger. Die Leute sagten uns: ‚Die Nummer geht ja gut ab, aber kann sie nicht ’ne Ecke länger sein?‘ Wenn jemand gern tanzt, möchte er halt lieber länger tanzen. Also schoben wir ein paar Takte nach — und die Leute sagten: .Prima, jetzt müßt ihr am Ende nur noch mal singen.‘ Also haben wir auch noch ein paar Takte gesungen.“
Daß gerade der Dance-Mixer Jellybean diesen Song neu abgemischt hat, ist aber trotzdem ein wenig unorthodox …
Billy: „Wir wollten Jellybean, weil er so abgefahrene Ideen hat. Wer aus ZZ TOP eine Dance-Band machen will, muß schon verdammt abgefahren sein. ZZ TOP hat keine großartige Message; wir machen auch keine Kunst. Alles, was wir wollen, ist Spaß. Und jetzt kann man zu dem Spaß auch tanzen.“
Ihr seid in Texas geboren, aufgewachsen und nach wie vor hier zu Hause. Habt ihr je mit dem Gedanken gespielt, eure Karriere von LA oder New York aus fortzusetzen ?
Dusty: „Nie. Wir würden woanders eingehen wie die Primeln.“
Billy: .Jemand fragte mich mal. wo ich eigentlich lebe. Ich sagte: ,1m Hotel. Aber unsere Herzen werden immer in Texas sein‘.“
Ist Texas denn eigentlich auch musikalisch immer noch von Bedeutung‘.‘ Billy: „Klar. Dort laden wir unsere Akkus wieder auf. Immer, wenn die Leute glauben, wir würden zu einer Synthi-Band degenerieren, fahren wir nach Texas, saugen einen Tag lang die Luft auf. um dann wieder für sechs Monate den Blues zu spielen.“
Ich habe gehört, daß sich Billy gerade wieder mal eine besonders ausgefallene Gitarre zugelegt hat…
Frank: „Eine? Er hat ungefähr 5000“
Aber beim letztenmal sagtest du mir, daß du im Prinzip immer nur eine benutzt, eine Les Paul.
Billy: „Laß es mich anders formulieren: Dusty und ich experimentieren ständig…“
Dusty: „Laß mich gefälligst aus dem Spiel!“
Billy: „Wir experimentieren ständig mit neuen Gitarren. Aber irgendwie haben wir einen großen Bogen geschlagen und bevorzugen heute wieder die klassischen Modelle, mit denen wir früher mal angefangen haben.“
Eure berühmten Spezialanfertigungen sind also Schnee von gestern ?
Dusty: „Man kann auch ohne leben. Viele der billigen Gitarren haben heutzutage einen verdammt guten Sound. Und letztlich kommt man immer zu denen zurück, die man früher schon bevorzugt hat — ob sie nun billig sind oder teuer.“
H’a.v viele Leute nicht wissen: Ihr sammelt nicht nur Gitarren und Autos, sondern mich Kunst…
Billy: „Ich habe gerade noch mit einem Typen in Amsterdam gesprochen, der uns durch das Rijksmuseum und andere Museen führen wird, wenn wir wieder drüben sind. Das ist überhaupt der besten Nebeneffekt einer Europa-Tournee: So viele angehäufte Kunstschätze findet man sonst nirgendwo.“
Bleibt denn angesichts dieser Nebenbeschäftigungen überhaupt noch Zeit, um auf Tournee auch Songs zu schreiben ?
Billy: „Die interessantesten 30 Minuten eines jeden Tages sind die vor dem Konzert. Dann läuft im Umkleideraum unsere ganz private Show. Und da purzeln dann auch die Ideen.“
Du selbst, Billy, wirst ja von vielen Gitarren-Kollegen als leuchtendes Vorbild gefeiert. Hast du selbst noch Idole ?
Billy: „Nun ja, im Moment sprießen allerorten vor allem die Eddie Van Halen-Epigonen aus dem Boden; dann gibt’s noch einige junge Burschen wie Yngwie Mahnsteen oder der Y&T-Gitarrist. Wer mir aber wirklich imponiert, ist der neue Mann von David Lee Roth, Steve Vai. Mein Gott, wie der die Gitarre schwingen kann! Hast du gesehen, wie der im ,Yankee Rose‘-Video die Gitarre schwingt?! Das möchte ich auch mal so können.“
Nehmt ihr euch auf einer Tournee noch die Zeit, in Konzerte anderer Gruppen zu gehen ?
Frank: „Gelegentlich. Ich hab mir The Band und Crosby, Stills & Nash angeschaut…“
Dusty: „Mensch, das ist doch schon über zehn Jahre her!“
Doch was sind hier schon zehn Jahre? ZZ TOP haben ohnehin die Ewigkeit auf ihrer Seite …