Too Funky: Warum 2022 die Gesichter aller Frauen schön sein dürfen
Von David Bowie bis „Pose“-Star Dominique Jackson: über die Geschlechtergrenzen verneinenden Traditionen des Modehauses Mugler. Die aktuelle Stil-Kolumne von Jan Kedves.
Mode hat stets das Bedürfnis, sich als NEU zu präsentieren – auch wenn das, was sie zeigt, auf den zweiten oder dritten Blick oft gar nicht so neu ist. Das neueste Beispiel: die aktuelle Mugler-Sommerkollektion und das zu ihr gehörige, krass slicke Kampagnenvideo auf YouTube. Knapp zehn Minuten lang führen darin Megan Thee Stallion, Chloë Sevigny, Shalom Harlow, Amber Valletta und viele weitere Superfrauen die ultrafeminin-emanzipativen Amazonen-Looks vor, die Casey Cadwallader, seit vier Jahren Designer der Marke, entworfen hat.
Die Selbstverständlichkeit, mit der in dem Video braune, weiße, Schwarze, voluminösere, dünnere, jüngere, ältere, cis-weibliche und trans-weibliche Körper als sexy inszeniert werden, kann den Atem rauben. Allein der Moment, wenn das aktuelle Supermodel of the World, Bella Hadid, und die aktuell ikonischste Trans Woman of the World, Dominique Jackson (bekannt aus „Pose“), zusammen eine Stretchlimo kapern und mit Stilettos über deren Dach laufen, als wär’s ihr Runway. Wow!
Die Nähe und Wandlung des weiblichen Körpers zur Karosse
Aber natürlich ist das kein ganz neuer, sondern eher ein traditioneller Mugler-Topos: die Nähe und Wandlung des weiblichen Körpers zur Karosse, inklusive Tunings und Modifikationen; ein Werk wie frisch aus dem body shop (dieses tolle englische Wort für Autowerkstatt!). „In loving memory of Manfred Thierry Mugler (1948–2022)“, steht zwischendurch auf einer Tafel geschrieben, und wenn man die Erinnerung daran auffrischen will, dass der Anfang des Jahres verstorbene Gründer des Hauses quasi schon immer Androgynie und trans Identitäten in seine Feier der Weiblichkeit mit einbezog, der sehe sich auf YouTube auch George Michaels „Too Funky“-Supermodel-Video von 1992 an.
Mugler führte Regie. Und ließ mit seiner persönlichen Muse, dem Sänger Joey Arias, zwischen Nadja Auermann und Linda Evangelista auch eine Person auftreten, die sämtliche Gender-Zuschreibungen transzendiert (Arias ist unter anderem bekannt dafür, dass er 1979 zusammen mit Klaus Nomi die background aliens gab, als David Bowie bei Saturday Night Live „The Man Who Sold The World“ sang).
Außerdem sieht man im „Too Funky“-Video Connie Fleming über den Runway stolzieren, eine trans woman of color, die damals oft mit Naomi Campbell verwechselt wurde, weil sie denselben Powerwalk draufhat. Wow! Der Unterschied zwischen 1992 und heute ist, dass im „Too Funky“- Video nur der Körper der trans Frau zu sehen ist, das Gesicht verheimlicht der Schnitt. Das ist heute zum Glück anders. 2022 dürfen die Gesichter aller Frauen schön sein.
Diese Kolumne erschien zuerst in der Musikexpress-Ausgabe 08/2022.