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Das Ehedrama nahm unerbittlich seinen Lauf: Mick Jagger, der jugendliche Liebhaber, hatte der Familie hochnäsig den Rücken gekehrt - Keith Richards, die verlassene Schlampe, warf ihm Schmutz und Schlamm hinterher. Daß die endgültige Scheidung noch einmal abgewendet werden könnte, schien noch vor Monaten höchst unwahrscheinlich. Im Vorfeld der anstehenden Stones-LP ging ME/Sounds der Frage nach, was die beiden Lebensgefährten nun doch noch an einen Tisch brachte.

Wir sind schon ein seltsames Paar“, grinst Keith Richards spöttisch und rollt die Augen. “ Wir können uns prügeln, aber für eine Scheidung ist es nach 25 Jahren wohl zu spät.“ Die Rede ist von den „Glimmer Twins“, Mick Jagger und Keith Richards, dem Böse-Buben-Doppel der Rockgeschichte. Seit mehr als einem Vierteljahrhundert sind sie die Chefs der „greatest rock’n‘ roll band on earth“ – eine chaotische Kreativ-Ehe mit Höhen und Tiefen, die in den letzten Jahren allerdings zunehmend den Eindruck machte, als ginge sie endgültig den Bach runter.

Spätestens seit Jaggers erstem Solo-Album SHE’S THE BOSS (’85), allerspätestens seit der letzten Stones-Scheibe DIRTY WORK (86) machte man sich ernsthaft Sorgen: Damals verkündete Jagger aus heiterem Himmel seinen einsamen Entschluß, nicht mit den alten Kumpels auf Tournee zu gehen, sondern lieber noch ein Solo-Ding aufzunehmen und sich dann seine eigene Tour-Band zu suchen.

Als ob das noch nicht genug war, setzte Mick verbal noch einen drauf, indem er die Stones als „Haufen alter Männer“ abkanzelte und sogar den biblischen Vergleich mit den „Mühlsteinen um seinen Hals“ bemühte. Als dann im letzten Jahr auch Keith ein Solo-Album ankündigte und Mick in Interviews mit seinem „Peter Pan-Komplex“ aufzog, gaben selbst notorische Optimisten den Rolling Stones kaum noch Chancen.

Die Streitigkeiten in der Chef-Etage waren natürlich nicht so mir nichts dir nichts aufgetreten: Schuld ist im Grunde die britische Steuer-Gesetzgebung, vor der die Rolling Stones 1971 von der Insel fliehen mußten. Bis dahin waren Mick und Keith unzertrennlich, ständig zusammen auf der Rolle und ein Herz und eine Seele, was Gruppen-Entscheidungen anging. „Aber kaum lebten wir getrennt, ging jeder seinen eigenen Weg“, erinnert sich Keith heute. „Ich trudelte nach unten in den Drogen-Sumpf – Mick düste nach oben in den Jet Set. Für mich war die Musik irgendwann zweitrangig – ich habe mich hauptsächlich damit beschäftigt, Frauen langzumachen und Drogen einzupfeifen. Ich war völlig drüber, und Mick mußte mich decken. Er hat damals die Geschäftsführung übernommen.“

Nicht, daß Mick das keinen Spaß gemacht hätte – ganz im Gegenteil – drum tauchten ernsthafte Probleme auch erst in dem Moment auf, als Richards seine Drogenabhängigkeit hinter sich hatte und wieder richtig mitmischen wollte.

„1978 war ich wieder soweit, Verantwortung tragen zu können“, erzählt ein geläuterter Keith. „Ich dachte, ich tue Mick einen Gefallen, wenn ich ihm ein paar Belastungen wieder abnehme, aber er sah das eher als Griff nach der Macht. Seiner Ansicht nach hatte ich ihn aufgegeben – wie konnte es mir da einfallen, einfach so reinzumarschieren und genau da weitermachen zu wollen, wo ich das Handtuch geschmissen hatte?

Er lehnte ab, denn er hatte sich längst daran gewöhnt, das Zepter allein zu schwingen. Ich glaube auch nicht, daß uns beiden klar war, was es bedeutete, daß ich wieder da war. „

Die drei Rest-Stones hatten sowas dagegen schon kommen sehen: „Keith war auf einmal stark und extrem sensibel“, nickt Charlie Watts. “ Und Mick war schon vorher so. Der Konflikt war also geradezu vorprogrammiert.“

Jaggers Solo-Aktivitäten und das Mühlstein-Zitat verschärften die Spannungen noch, trotzdem war Richards wild entschlossen, die Stones zu retten: „Ich dachte, jetzt schmeißt er 25 Jahre weg, einfach so. Und ich wollte doch erst richtig loslegen …“

Keith hätte sicher schlechte Karten gehabt, wenn Micks Solo-Ambitionen von Erfolg gekrönt gewesen wären, aber beide Alben entpuppten sich als kommerzielle Katastrophen; die Tournee in den USA wurde abgeblasen, bevor sie überhaupt begonnen hatte; und Jaggers Autobiographie, für die er angeblich satte 100.000 Dollar Vorschuß kassiert hat, ist laut Verlag „unmöglich zu veröffentlichen“ und wanderte sang- und klanglos in den Reißwolf.

Während Jagger sich vergeblich abstrampelte, blieb auch Richards nicht untätig. „Früher bin ich immer gleich auf die schiefe Bahn geraten, wenn ich zuviel Zeit hatte“ – diesmal arbeitete Keith auch in seiner unfreiwilligen Freizeit. Er nahm mit Aretha Franklin das Remake von „Jumping Jack Flash“ auf, organisierte ein Konzert-Spektakel zu Ehren seines Jugend-Idols Chuck Berry (aus dem dann der Film „Hail! Hail Rock’n’Roll“ wurde), bewies sich und allen anderen, daß er wieder voll da war, und schließlich war er es sogar, der die Stones-Wiedervereinigung blockierte: mit seinem eigenen Solo-Album TALK IS CHEAP. Nachdem er entsprechende Pläne kundgetan hatte, fürchteten zwar selbst Keiths beste Freunde, daß dieser Schuß für den schonmal „gestrauchelten Stone“ ganz grausam nach hinten losgehen könnte – aber weit gefehlt. Richards erinnert sich immer wieder gern an die entsetzten Gesichter der Plattenfirmen-Strategen, als das Gerücht die Runde machte, bei TALK IS CHEAP handele es sich vielleicht um „die beste Rolling Stones-Platte, die die Rolling Stones nicht gemacht haben“. Bis heute ist das Album weltweit etwa eine Million Mal über die Ladentische gegangen, und Richards hat geschafft, was Jagger nur ansatzweise in Japan gelang: mit dem eigenen Material auf Tour zu gehen. Doch schon die Tournee-Proben der Richards-Band wurden mit nervtötender Regelmäßigkeit von Telefonanrufen unterbrochen – meist war Jaggers Londoner Manager an der Strippe. Keith: „Seine Majestät hatten beschlossen, daß es an der Zeit sei, daß die Rolling Stones wieder zusammenkommen und ein neues Album aufnehmen. Ich dachte: .Gutes Timing, Mick. Kaum komme ich allein zurecht, tauchst du prompt wieder auf“

Nachdem sich die beiden monatelang aus dem Weg gegangen waren, wurde schließlich ein Vermittlungsgespräch auf Barbados arrangiert – auf neutralem Boden zwischen Richards‘ Haus auf Jamaika und Jaggers Anwesen auf der Insel Mustique. Keith war sich inzwischen nicht mehr sicher, ob er die Rolling Stones überhaupt noch wollte, erinnert sich seine Managerin Jane Rose: „Ich habe ihm damals geraten: „Flieg nach Barbados, schau Mick in die Augen und sag ihm, daß es vorbei ist.'“ Das Schicksal wußte es besser: Keith verpaßte das Flugzeug.

Als er schließlich doch noch hinflog, wußte er nicht, ob er für zwei Tage oder zwei Wochen packen sollte. „Ich hatte keine Ahnung, ob irgendwas von dem, was zwischen Mick und mir in den letzten zwei Jahren vorgefallen war, irreparabel war, und hatte fest vor, gleich wieder abzuhauen, falls es nicht klappen sollte.“

Aber es klappte: „Erst haben wir uns eine Weile angebrüllt – wir mußten reinen Tisch machen, und als alte Kumpel haben wir das gut drauf. Als wir uns dann in ein anderes Zimmer setzten und die Gitarren griffen, ging plötzlich was ganz anderes ab. Ich kann das nicht genau erklären, es war dasselbe, was bisher immer passiert ist: Ich haue einfach ein kleines Riff runter, Mick gefällt’s, er kommt mit einer Titelzeile, und plötzlich knallt’s. Eh wir uns versehen, haben wir ein Band voll Rolling Stones-Songs. 15 Stück in zwei Wochen – nicht schlecht für ein paar alte Säcke…“

Kurze Zeit später trafen sich sämtliche Stones in Eddy Grants Palast auf Barbados zu ersten Proben, von da aus ging’s in die Air Studios auf Montserrat zum Aufnehmen. An Schaltern und Knöpfen saß ein alter Bekannter: Chris Kimsey, der schon UNDER COVER und TATTOO YOU reproduziert hat. Gemischt wurde schließlich in historischer Umgebung, in den Londoner Olympic Studios, wo die Rolling Stones vor 25 Jahren ihre ersten beiden Alben aufnahmen. Titel hat das neue Werk zur Zeit noch keinen – von den Stones-üblichen Arbeitstiteln wie FUCKING GIRLS oder BLOWJOB BLUES wird es mit Sicherheit keiner aufs Cover schaffen.

Enge Mitarbeiter der Band beschreiben die Songs als „typisches Stones-Material“, Mick Jagger verspricht „ein paar Rocker, ein paar Blues-Nummern, ein paar Balladen und ein paar seltsame Sachen, die vielleicht nicht sofort als Stones zu identifizieren sind. Aber das meiste klingt wie alte Stones: zwei echte Zack-Bumm-Rocker, einer mehr in Richtung Dancefloor …“

Ego-Probleme scheint es im Studio keine mehr gegeben zu haben: „Nachdem es nur noch um Arbeit ging, sind wir bestens klargekommen“, freut sich Jagger. Diesmal steht auch außer Frage, daß es noch vor der Veröffentlichung Mitte September auf Tournee geht: bis Ende des Jahres durch die Staaten, Europa ist mit großer Wahrscheinlichkeit nächstes Jahr dran.

Vielleicht ist diese Tournee sogar einer der Gründe für die eigentlich doch unerwartete Versöhnung der “ Glimmer Twins“: Nachdem bekannt geworden ist, daß der Kanadier Michael Cohl (siehe nebenstehenden Kasten) den Stones 70 Millionen Dollar geboten hat, wenn sie wieder auf Tour gehen, sind derartige Überlegungen zumindest zulässig.

Auch nach Abzug der Kosten für Reisen, Personal und Provisionen „wird die Band immer noch zwischen 30 und 40 Millionen kassieren“, schätzt Frank Barsalona, Chef der Premier Talent Agency, einer der führenden Rock-Agenturen Nordamerikas, der bei diesen Summen nicht mehr mithalten wollte und konnte. „Das ist kein Pappenstiel, nicht mal für die Rolling Stones.“

Im Gespräch ist außerdem ein Multimillionen-Sponsor-Deal mit der kanadischen Brauerei Labatt’s, die ihrerseits nicht unwesentlich an Cohls Firma Concert Productions International beteiligt ist.

Insgesamt scheint der Zeitpunkt der Wiedervereinigung nicht schlecht gewählt: Altstar-Projekte haben momentan Hochkonjunktur (siehe Traveling Wilburys, Who, Bee Gees, Jefferson Airplane usw.) und versprechen – wenn sie richtig durchgezogen werden – satte Gewinne. Damit ihnen da kein Fehler unterläuft (siehe Jimmy Page, Roger Waters, Mick Fleetwood, Don Henley usw.), haben die Stones als „Berater“ für Album und Tournee das Management-Team Cliff Burnstein und Peter Mensch angeheuert, die zuletzt Metallica und Def Leppard zu Platin-Alben und ausverkauften Häusern verhalfen.

Tour-Start ist am 1. September in Toronto, und gespielt wird hauptsächlich open air in riesigen Sport-Arenen. Darüber hinaus sind einige Club-Gigs im Gespräch, sowie eine Kabelfernseh-Aufzeichnung, für die man mit dem „Taj Mahal“ verhandelt, einem Spielkasino, das der amerikanische Wolkenkratzer-Tycoon Donald Trump in der Entertainment-Hochburg Atlantic City bauen läßt. Selbst ein improvisierter Open Air-Auftritt, entweder in London oder Paris, war Ende Juni im Gespräch.

Damit das Mega-Unternehmen nicht in letzter Minute ausgerechnet an menschlichem Versagen scheitert, mußten sich Jagger, Richards. Wood, Wyman und Watts sogar vertraglich verpflichten, erstmal zum Arzt zu gehen, um sich ihre Gesundheit schriftlich attestieren zu lassen.

„Das war meine erste Untersuchung seit neun Jahren“, grummelt Keith Richards. „Der Kerl hat mir überall Elektroden hingeklebt und mehr Monitore angeschlossen als die Stones auf der Bühne verwenden, bloß um mir dann zu erzählen, ich sei völlig normal. Ich meine, das muß man sich mal vorstellen: Der Typ erzählt Keith Richards, er sei NORMAL!“