Tom Waits – Hamburg, Audimax
Ein Ereignis mit Wallfahrt-Momenten: Von fern und nah waren sie angereist, um ihn zu sehen, der nach jahrelangem Dasein als Geheimtip unter den Songschreibern nun doch noch zu einer Berühmtheit geworden ist, nicht zuletzt durch sein Mitwirken in einem jener sogenannten Kultfilme, die man oft sieht und noch öfter erzählt bekommt.
Tom Waits. für seine letzten Alben mit Lob überschüttet und auch als Schauspieler in „Down By Law“ gefeiert, muß nicht mehr kämpfen, sein (Fan-)Publikum ist ihm sicher, und vom Augenblick an, da er (nach einem Intro seiner Band) als Star (ja!) die Bühne betrat, lief eine Show ab, die diesen Erwartungshaltungen kräftig Zucker gab.
Angetan mit einem so schlampigen Anzug, daß schon der Verdacht aufkam. Tom Waits hätte ihn womöglich aus einem Second Hand-Laden erworben, mit perfekt nicht passenden spitzen, roten Lederschuhen und einer braunen Sonnenbrille, stößt er sofort mitten in seine Performance. Epileptisch verdreht zwirbelt er sich um den Mikrofonständer, stampft x-beinig den Rhythmus, schwenkt tiefsinnig eine Handwerkerlampe, die am Mikro baumelt, und läßt es Daunenfedern aus seinen Hosentaschen regnen.
Im Rahmen einer schlichten, lediglich durch farbig beleuchtete, geometrische Barrieren aufgeteilten Bühne sucht Tom Waits, je nach Stil- und Stimmungslage seiner Songs, die rechten Plätzchen auf: Sein alter ego Frank, das er auf „Rain Dogs“ und „Frank’s Wild Years“ zelebrierte, kommt reichlich zum Zuge – in Stories und natürlich in den Songs, die nicht mehr jenen versöhnlichen Blues/ Folk-Ton haben, der lange Zeit seine Musik kennzeichnete. Marc Ribot (g), der schon bei den Lounge Lizards durch aufregende Gitarrenklänge aufhorchen ließ, erweist sich auch hier als ideale Besetzung, zumal ihm das Hintergrund-Dasein nichts auszumachen scheint und er konzentriert unterschiedlichste Farben und Rhythmen hervorzaubert. Doch auch die ürbigen Musiker müssen sich nicht verstecken, obwohl sie meist wie Kammervirtuosen steif und distinguiert herumsitzen: Ralph Carney. im fliegenden Wechsel von Saxophon zu Baßklarinette, Violine und zurück, prägt den Sound, ebenso Keyboarder William Schwarz, Drummer Michael Blair und Tom Waits‘ langjähriger Kumpane Greg Cohen am Baß.
Ruhe haben alle, als ihr Chef zu einem (sehr langen) Piano-Intermezzo ausholt, gewürzt mit ironisierten Barpianistenund Entertainer-Scherzen, deren bitterer Witz im unintimen Konzertsaal erstaunlich gut rüberkommt, überhaupt versäumt Tom Waits nie die große ironische Geste, wenn es um Entertainer geht, zweifellos ein Lieblingsthema von ihm. Oder aber Selbstschutz, denn weit ist er nicht davon entfernt, als Literatur-Rocker zum Alternativ-Unikum des intellektuellen Mittelstands zu werden, zu Tode gefeiert und besinnungslos in Grund und Boden gelacht.
Konfetti fliegt reichlich, doch kurz bevor zarte Gemüter das Ganze „sensibel atmosphärisch“ gefunden hätten, öffnet Waits den Bühnen-Kühlschrank und genehmigt sich (als „Frank“-Kumpel) ein Bier. Kurve um Kurve kriegt er auf diese Weise und scheint somit vorläufig noch gegen „kulturelle Anfechtungen“ gefeit. Auf jeden Fall – ganz objektiv, versteht sich – eins der Konzerte ’87.