Tom Waits


Berlin, Tempodrom

Endlich haben wir wieder einen Helden! Nachdem sich Bukowski den breiten Schädel leergeschrieben hat und Captain Beefheart nur noch den Älteren ein Begriff ist, setzt sich ein neues Markenzeichen der Underdogs durch. Tom Waits, für Liebhaber der schmutzigen Wäsche selbstverständlich schon lange ein Begriff, schart im beheizten Zelt der Konzertoase im Tiergarten eine neue und breitgefächerte Fangemeinde vor die Bühne, um sich dann aufzuführen, als wäre es das letzte Konzert des Jahres.

Tom Waits muß als Kind eine grobe Feile verschluckt haben, die im Laufe der Jahre seinen Kehlkopf in eine rostige Reibe verwandelt hat. Das, was da an Lauten aus dem Mund quillt, erinnert an einen versoffenen, nach Schnaps bellenden Bullterrier. Mit diesem animalischen Gekrächze und einer hinreißend dreckigen Musik, mit fiesen Blues-Interpretationen, schlampiger Barmusik und fettigen Balladen sorgt er schnellstens für die rechte Stimmung. Begleitet von zwei Klöpplern, einem muffigen Kontrabaß, einer schrammigen, knappgehaltenen Gitarre, die vom Spieler so gehalten wird, als wäre es die schmerzende Leber, wankt Tom Waits in epileptischen Zuckungen zwischen Mikro und billigem Klavier, um den Grölenden seine Geschichten aus den Gullis von Los Angeles in die Gesichter zu spucken. Überkommt ihn der melancholische Kater, verschanzt er sich hinter die Tasten, nuschelt und brüllt, als ob ihn sowieso keiner verstehen würde.

Das Programm besteht hauptsächlich aus Songs seiner wichtigsten Alben Swordfishtrom-Bones und Rain Dog. Ein Gassenhauer jagt den anderen, die Leute juchzen und trinken, kriegen beim Klatschen dreckige Fingernägel. Der dumpfe Rhythmus, die Bebop-Klänge, das Louis-Armstrongmeets-John-Cale-Feeling machen besoffen, die Meute schunkelt, es entsteht eine Bierzelt-Atmosphäre, die Tanzkapelle für hungrige Straßenköter verausgabt sich. Tom Waits zieht den Hut und kratzt sich hinter den Ohren.

Eine Zugabe reicht nicht. Eine zweite auch nicht. Nach einer viertel Stunde, die eher einer Pinkelpause gleicht, schlürft Waits noch einmal auf die Bühne, um den letzten Rest Dreck loszuwerden. Als endgültig alles und alle am Ende sind, bemerke ich beim Rausgehen, daß mir die Bartstoppeln gewachsen sind.