Tom Petty – Doch nicht pleite!
Es war einmal ein blonder schöner Jüngling, der konnte recht annehmbar Gitarre spielen, packende Stücke schreiben und diese auch ganz passabel singen. Mit anderen Worten, er war einfach prädestiniert für eine Bilder-Buch-Rock’n’Roll-Karriere. So zog also unser Jüngling aus dem warmen Florida ins nicht minder warme Kalifornien, ergatterte auch fast auf Anhieb einen Plattenvertrag, unterschrieb ihn, ließ dann seine alten Mitstreiter aus Florida nachkommen, lieferte zusammen mit ihnen zwei gelungene Langspielplatten ab, wurde mit Lob nur so überhäuft und war kurz darauf pleite… Ein Märchen mehr oder weniger schad‘ ja nix, gell? Wo man doch schon so viele Fabeln über des armen Tom Petty Bankrott lesen konnte. Aber vielleicht sind ein paar von euch tatsächlich noch auf ein paar Tatsachen erpicht. Gut, sollt ihr haben. Pettys Probleme begannen, als sein Label, ABC Records, von MCA gekauft wurde. Der gute Tom war daraufhin der Meinung, er sei jetzt frei und könne sich folglich nach einer anderen Firma umsehen. Doch die Rechnung hatte er leider ohne MCA-Wirt gemacht, denn dieser Konzern hatte — und das ist längst kein Branchengeheimnis mehr — das ABC-Label ja hauptsächlich erstanden, um Tom Pettys habhaft zu werden. Daß sie auf Steely Dan und Jimmy Büffet ebenfalls scharf waren, sei hier nur der Ordnung halber erwähnt. Jedenfalls, kaum war die Kunde von Pettys angeblich freier Verfügbarkeit publik, da rannten ihm die A & R-Leute aller namhaften Plattenfirmen auch schon die Tür ein. „Ich kriegte Angebote“, so Petty, „da wurd‘ ich fast blaß. Soviel Geld sollte ich plötzlich wert sein?“ Doch all die verlockenden Offerten nützten ihm ziemlich wenig, denn MCA hatte inzwischen einen Gerichtsbeschluß erwirkt, der besagte, daß er, Tom Petty, bei keiner anderen Firma unterschreiben dürfe, solange nicht seine vertragliche Situation völlig geklärt sei. Kurzum, Petty und seine Heartbreakers hingen völlig in der Luft. Sie durften keine Aufnahmen machen – seiner Produktionsfirma, Shelter Records, hatte er inzwischen auch ade gesagt – sie durften nicht mehr auftreten und mußten sich nun monatelang die Zeit damit vertreiben, abzuwarten, wie das Hickhack zwischen all den Anwälten ausgehen würde. Wen wundert’s, daß nun viele Schreiberlinge tief in die Bankrott-Kiste griffen. (Die „letzten 12 Dollar“, die allerdings ein Blatt in seinen Taschen gesichtet haben wollten, sind reine Phantasie. Wirklich pleite, arm, war Petty nie!) Zum Herbstanfang hörte man’s auf einmal munkeln, Petty & The Heartbreakers würden „definitiv“ beiCBS unterschreiben, doch während das Gerücht noch die Runde machte, kam schon die vertragliche Einigung mit MCA. Die Winkeladvokaten dieses Konzerns hatten sich was ganz Cleveres einfallen lassen: sie gründetenPetty zuliebe einfach noch ’ne Firma. Auf eine mehr oder weniger sollte es dem Multi MCA schon nicht ankommen. Backstreet Records, so hieß das neue Kind, würde sich zunächst ausschließlich Tom Pettys annehmen, und damit’s auch so richtig nach eigener Firma aussah, eröffnete das Backstreet-Büro nicht etwa seine Pforten im MCA-Tower, sondern wurde ein paar Blocks weiter in Universal City angesiedelt. Und da ja die Amis bekanntlich Weltmeister der Schönheitschirurgie sind, tauchten die bösen drei Buchstaben „MCA“ auch nur ganz winzig auf dem eleganten neuen Backstreet-Briefpapier etc. auf. (Auf dem Cover von Pettys neuer LP, DAMN THE TORPEDOES, braucht man schon fast’ne Lupe, um sie zu entdecken.) Wen wundert’s, daß sich alle wunderten; erst langes Prozessieren und dann auf einmal Friede, Freude, Eierkuchen. Doch ein enger Freund Pettys brachte diese Farce auf den richtigen Nenner: „Tom ist ein alter Kumpel von Bruce Springsteen und hat gesehen, wie weit weg vom Fenster man ist, wenn man zwei Jahre überhaupt nichts machen kann und darf. Ich glaube, daß Bruce Tom zu diesem Kompromiß überredet hat.“ Und Petty, der noch nicht so recht wußte, ob er lachen oder weinen sollte, meinte: „Es war eine schwere Geburt, doch jetzt sind wir alle ziemlich zufrieden mit der Entwicklung. Meine größte Sorge war die, ob uns die Kids da draußen über eine so lange Zeit die Stange halten würden. Aber ich hab‘ immer gewußt, daß sie meine Lage verstehen würden.“ Nicht nur, daß „die Kids“ seine Lage vollkommen verstanden, nein, sie hielten Petty und den Heartbreakers gar so sehr die Stange, daß sich selbst alte Branchenhasen wunderten. Ende letzten Sommers gingen Tom und die Band quasi auf eigene Faust auf Tournee. Diese Tournee, die „Lawsuit Tour“ getauft, wurde für Petty und die Hearbreakers ein Triumph. Alle Gigs in Kalifornien waren restlos ausverkauft. Für die Fans waren diese Konzerte ein trotziges „Wir leben noch!“-Signal seitens der Gruppe, und für die Band war es eine Art interner Treueschwur – „Wir bleiben zusammen!“ — denn kurz vor der Tournee war die Stimmung unter den fünf Musikern immerhin schon so gereizt, daß Drummer Stan Lynch aussteigen wollte. Dieses Zusammengehörigkeitsgefühl kommt auch auf DAMN THE TORPEDOES, der dritten und letzten LP der Gruppe, deutlich rüber. Nicht nur, daß die Platte viel dichter und volumiger als die beiden Vorgänger klingt, man hat jetzt auch viel eher das Gefühl, daß hier eine Einheit musiziert. Nicht mehr nur Tom Petty plus Begleitung. Kein Wunder, daß DAMN THE TORPEDOES dann auch ein Bestseller für die Pand wurde (und z.Zt. mit bereits 1 2 Millionen Exemplaren immer noch ist). Und mit „Don’t Do Me Like That“ kam überdies auch noch der lange erhoffte Single-Hit, der erste seit „Breakdown“ von vor über zwei Jahren. Eine gehörige Portion dieses Erfolges verdanken Petty und die Heartbreakers auch ihrem neuen Studio-Gespann, Produzent Jimmy lovine und Tontechniker Shelly Yakus. lovine produzierte u.a. John Lennon, Patti Smith und Bruce Springsteen. Laut Petty brachte ihm lovine erst richtig singen bei, denn vorher habe er immer so lovine – „geklungen, als habe er noch den Mund mit Essen voll.“ So viel zur Theorie, kommen wir nun zum praktischen Teil. Das L.A. Forum mit seinen rund 15.000 Sitzen, Austragungsort des wohl wichtigsten Konzerts für Petty und seine Herzbrecher, war bereits Wochen im voraus ausverkauft. Selbst mit Betteln und Flehen war nirgendwo mehr eine Karte zu bekommen, doch die Fans, die zuhause bleiben mußten, durften sich wenigstens damit trösten, daß die Show live über den lokalen Sender K-MET ausgestrahlt wurde. Und für ein beachtliches Fan-Kontingent wurde die Nacht im Forum zum krönenden Abschluß eines Tages, an dem es für sie zweimal Weihnachten geworden war. Die Pittsburgh Steelers hatten nämlich wenige Stunden vorher zum vierten Male die Meisterschaft im amerikanischen Pro-Football an sich gerissen und die Los Angeles Rams auf eigenem Platz vor über 100.000 Zuschauern mit 34 zu 17 besiegt. Einige Tausend Steelers-Fans müssen wohl im Forum gewesen sein, denn man sah jede Menge Leute in Pittsburgh-T-Shirts und hörte hin und wieder lautstarke Siegeschöre. Doch als Petty und die Hearbreakers die Bühne betraten, war derFootball-Zwist zwischen Steelers- und Rams-Fans spontan vergessen, jetzt galt es Amerikas neues Rock-Idol zu bejubeln. In der Tat, Tom Petty ist einer der wenigen Musiker, oder der einzige, dessen Publikum sich nicht kategorisieren läßt, er hat Zulauf aus allen Ecken – Punker, Hardrocker, Pop-Fans etc. Eine Grateful Dead-Fan würde sich noch nicht mal mausetot in einem Kiss-Konzert antreffen lassen, und ein Kiss-Fan würde lieber zehn Stunden in die Glotze gucken, als Stunden Dead-Musik über sich ergehen zu lassen. Nicht so bei Tom Petty. Seine Musik, aufgebaut auf ein Fundament klassischer Rock-Elemente, berührt viele Bereiche. Da hat’s mal puren Pop, dann knallharten Rock’n’Roll, mal klingt’s nach New Wave, mal schimmert ein bißchen West-Coast durch. Und die vier Heartbreakers hinter ihm – Gitarrist Mike Campbell, Pianist Benmont Tench, Bassist Ron Blair und Drummer Stan Lynch – dürfen heute ohne Übertreibung wohl eins der besten Rock-Gespanne sein, die man auf irgendeiner Bühne bewundern kann. Würde man nur einen Musiker austauschen‘, wären die Heartbreakers nicht mehr die Heartbreakers. Der langen Worte kurzer Sinn, es war der Triumph für Tom Petty & The Heartbreakers. Jeder Song, ob neu oder alt, wurde minutenlang bejubelt, und als die Band schließlich für vier lange Zugaben noch einmal auf die Bühne kam. wurden die Musiker mit Blumen nahezu bombardiert. Zwei fast zu kurze Stunden Rock-Nirvana waren um, und die, die da waren, hatten etwas erlebt, von denen sie noch ihren Kindern und Kindeskindern erzählen können. Doch da das für viele von Pettys Fans noch ziemlich lange hin ist, sollten sie lieber auf noch viele hoffentlich weiterhin so tolle Platten und Konzerte warten. Und den Tag, an dem der schöne blonde Jüngling mit seiner Truppe endlich wieder nach Deutschland kommt, sollte man sich schon jetzt rot im Kalender anstreichen! Die für den Monat März geplante Tournee durch die Bundesrepublik wurde ja leider wieder abgesagt, da Petty seine angegriffenen Stimmbänder lieber für die England-Tour aufsparen will. Jörg Gülden