Tom Petty


Da sitzen wir nun alle – sprachlos. Kommt da doch ein Niemand mit Namen Tom Petty aus Amerika, im Vorprogramm von Nils Lofgren, und entpuppt sich über Nacht als Rockband, als musikalischer Hexenmeister und ausgekochter Herzensbrecher. Petty und seine Band wußten, warum sie sich "Heartbreakers" nannten. Das deutsche Publikum, das auf Neulinge eher gelangweilt oder mißtrauisch reagiert, überschüttet ihn mit Beifall. Die Engländer dachten gleich as geschäft und engagierten ihn für eine komplette neue Tournee – aber nicht mehr als Vorprogramm, sondern top oft he bill. Warum auch nicht: die Musik, die die Heartbreakers auf der Bühne und auf ihrer ersten Platte bringen, ist die Synthese von zwei Jahrzehnten Rockmusik, gespielt mit der Frische und dem hypnotischen Flair, die für die New Wave-Bands der späten siebziger Jahre typisch sind. Wenn Petty die Gitarre hochreißt und seine blonde Mähne weht, bekommen die Zuhörer die berühmte Gänsehaut: It’s only rock’n’Roll, aber es haut dich um.

Ich spreche mit Petty vor seinem Konzert in der Hamburger Musikhalle. Wir sitzen in einem winzigen, abgedunkelten Hintertreppenraum. Um uns herum die Herzensbrecher, die fleißig ihre Instrumente stimmen, und ein nervöser Tourmanager, der zu oft auf die Uhr blickt. Irgendwann geht einer der Jungs aus der Band ans Fenster und lüftet für einen Augenblick den Vorhang. Auf Tom Pettys bleiches, schmales Gesicht fällt ein Sonnenstrahl. Er macht eine entsetzte, abwehrende Geste, zuckt zusammen, und alles sieht plötzlich aus wie eine klassische Szene aus einem Dracula-Film. Tom Petty, das Nachtschattengewächs. Ob man ihm glauben soll, daß er aus Gainsville im Sonnenland Florida stammt?

Die Vergangenheit: viel, meint Tom, gäb’s da nicht zu erzählen. „Ich fing an, wie jeder andere auch. Gainsville ist eine ziemlich kleine Universitätsstadt. Don Felder von den jetztigen Eagles wohnte gleich um die Ecke. Ich spielte dort in einer Menge lokaler Gruppen, und eine davon war Mudcrutch.“ Mit dieser Truppe machte sich Petty vor vier Jahren auf nach Los Angeles, blieb aber in Tulsa hängen. Hier spielte die Gruppe Probeaufnahmen für eine LP ein – unter Aufsicht des heutigen Heartbreakers-Produzenten Denny Cordell und von Leon Russell. Doch das Ergebnis war unbefriedigend, ebenso ein neuer versuch in Los Angeles, wo die Gruppe dann ganz auseinanderbrach.

„Bis ich die richtigen Typen für eine Band gefunden hatte“, erzählt Petty, „vergingen drei Jahre. Ich hing in den Studios herum, meist mit Leon Russel, der mir sein Haus überließ, als er auf Tour war, probierte ich eine Menge Dinge aus.

Er hatte damals schon einen Vertrag mit Shelter-Records und die Firma bestnd auf eine Vertragserfüllung. Al Kooper und andere Session-Musiker wurden eingeladen, aber nichts klappte – bis Petty die Heartbreakers traf.

Benmont Tench (Keyboards), Mike Campell (Leadgitarre), Stan Lynch (Drums) und Ron Blair (Baß) zählen neben Petty zu den Herzensbrechern. „Sie alle“, erklärt Tom, „stammen aus Florida, und wir kannten uns damals schon lange. Und wir fingen eigentlich von einem Tag auf den anderen mit der LP an. Die Songs entstanden alle im Studio, obwohl ich davor schon eine Menge geschrieben hatte. Aber ich wollte mit dieser Band ganz neue Stücke aufnehmen. Deshalb ging ich nachmittags ins Studio, schrieb, die Band kam später, mußte manchmal ein paar Stunden rumsitzen, bis ich fertig war. Wir machten 15 Songs in 15 Tagen, und nahmen dann die besten davon. Eine sehr schnelle Produktion.“

So unverdorben und unverbraucht wie die Musik der Heartbreakers ist auch noch ihr Auftreten. Auf die Frage, ob sie sich als New Wave-Band bezeichnen würden, meinte Tom: „Auf jeden Fall sind wir nicht Old Wave, oder? Ich hab‘ ja keine andere Wahl. Zuerst dachte ich, der Name „New Wave“ hätte was mit Surfing zu tun. Wir sind halt ’ne neue Band, eine Rock ’n‘ Roll-Band. Was sonst passiert, weiß ich nicht. Ich steh‘ ja fast jeden Abend auf der Bühne. Als wir nach Europa kamen, hatten wir keine Ahnung, was uns erwarten würde. Wir dachten, wir müssen erst mal arbeiten, um uns zu etablieren. Und das machen wir auch noch. England mit diesen ganzen Tumulten ist eine Ausnahme. Hier in Deutschland saßen die Leute bis zum Schluß ruhiger auf den Stühlen, dann klatschten sie. In England ist das alles ‚wow!‘ Aber wir sind ehe glücklich.“

Und dann meint Petty, daß er sich sehr geehrt fühlt, daß Roger McGuinn seinen Song American Girl“ aufgenommen hat, denn schließlich gehören die Byrds neben den Beatles und den Pretty Things zu seinen Lieblingsgruppen. „Ich lese sehr oft, daß wir wie die Byrds singen, vielleicht tun wir’s auch, jedenfalls nicht bewußt. Dieses Lied hat, glaub‘ ich, mein Verlag an Roger McGuinn geschickt, schließlich lud er mich in sein Haus ein. Ich nahm meine Gitarre und ging mit Mike hin, da war die ganze McOuinn-Band versammelt, und wir spielten ihnen ein paar Mal den Song vor. Roger sagte: ‚Das ist ’ne Wucht, riesig!‘ Die nächste Tournee machten wir zum Teil mit McGuinn und seinen Thunderbyrds zusammen. Wir kamen nach New York, da war gerade ihre Platte raus und ich erfuhr, daß er tatsächlich das Lied aufgenommen hatte. Es war wirklich komisch, wir spielten dort in einem riesigen Club, der pro Abend immer zwei Bands hat. Wir fingen also an und spielten ‚American Girl‘, dann kam Roger McGuinn und er spielte ‚American Girl‘, und zum Schluß sang es jeder in der Gaderobe. Roger ist ein wirklich nettter Typ. Am letzten Abend dort kam er zu mir und fragte: ‚Warum spielen wir’s nicht mal zusammen?‘ Und das war dann wirklich toll. Das war viel mehr Ehre als die Aufnahme des Songs. Wenn du einen Musiker wirklich magst und dir passiert sowas…“

Warum wohnt Petty ausgerechnet in Los Angeles? „Ich mag die Stadt ziemlich, aus verschiedenen Gründen. Der erste ist, daß du immer den Ort magst, wo du wohnst, wenn du da Leute kennst. Der andere, weil dort eine gute Atmosphäre für Musik herrscht – die ganze Musikindustrie ist da, Studios, Clubs…“. Aber eine Menge Sachen, die in den letzten Jahren in L.A. entstanden, klingen doch sehr nach Plastik, frage ich. „Meine Musik ändert sich nicht durch den Wohnort. Ich würde in Hongkong dasselbe machen. Außerdem wohne ich nicht in West-, sondern Ost-Hollywood, auf der anderen Seite, bei den Slums. Und dann steh‘ ich auf das Fernsehprogramm in L.A. Die ganze Nacht durch hast du ein paar Kanäle, das gibt’s in wenigen Teilen Amerikas.“

Wir sprechen über Politik und fragen ihn, ob er, wie andere Bands, einen Wahlkampf unterstützen würde, wie den von Jimmy Carter? „Ich glaub nicht, denn ich versteh‘ nichts von Politik“, meint Petty. „Ich lese keine Zeitungen, höre keine Nachrichten, das fand ich schon immer langweilig. Ich möchte nichts gegen Politiker sagen, denn ich versteh nichts davon. Jedenfalls kann Carter nicht schlimmer als Nixon sein. Ich möchte nur leben und meine Musik machen und fühl‘ mich nicht berechtigt, den Kids zu sagen, wen sie wählen sollen. Teil will nicht politisch werden.“

Auch nicht, Wenn es eine Plattenfirma von ihm verlangen würde? „Da würde ich lachen. Ich glaube nicht, daß eine Plattenfirma einen zu so was zwingen kann.“

Hat Tom Petty Angst, daß sein schneller Erfolg die Musik verdirbt? „Ich möchte nie den Kontakt zur Wirklichkeit verlieren. Rock ’n‘ Roll heißt Kids, und nicht Geschäft, Manager, Geld. Die Musik und die Kids sind wichtig. Auch wenn’s dumm klingt: Alles, was uns interessiert, ist Rock’n’Roll zu spielen, Mädchen aufzureißen, Klamotten zu kaufen. Wir waren alle arm und wollen Geld und Spaß haben, das ist wichtig. Und wenn du die Musik als Nebensache betrachtest, machst du einen großen Fehler.“

Könnte Geld ihn verändern? „Ich hoffe nicht, ich habe darüber nachgedacht. Wir sind in einer merkwürdigen Situation. Denn in einem Land sind wir bereits etabliert – England. Aber ich weiß es nicht, ich hatte nie Geld. Ich habe jetzt genug, daß ich mir jede Jacke, die in einem Schaufenster hängt, kaufen könnte – aber ich tu’s nicht. Ich könnte jeden Tag eine neue Gitarre kaufen, tu ich auch nicht. Eigentlich habe ich kein Geld ausgegeben, ich bin ziemlich bescheiden. Klingt verrückt und klischeehaft. Aber wenn ich mir nächste Woche einen Rolls Royce kaufe, bin ich deswegen nicht glücklicher.“

Mädchen und Musik – schön ist es, ein amerikanischer Herzensbrecher zu sein. Die Band hat ihr Publikum während des Konzertes im Griff, spielt kraftvoll und geradlinig ihre Kompositionen, die fast alle den gewissen Kick besitzen, der Spreu und Weizen in der Rockmusik trennt.

Die Gruppe bildet eine kompakte Einheit, auch wenn Petty im Vordergrund steht, weil er die stärkste Ausstrahlung hat. „Mystery Man“, „Breakdown“, „American Girl“ sind verdammt gute Songs – Großstadt-Rock ohne Firlefanz und ohne aufgeblasene Effekte, aber doch so reich an Stimmungen und stilistischen Varianten. Gleichwohl, so schien es zuweilen, zogen die ausgeschlafenen Heartbreakers nicht all ihre Trümpfe. Mag sein, daß sie sich davor hüten, zu früh von der eigenen Kraft und Kreativität überrollt zu werden. Warten wir ab, was sie noch alles in der Hinterhand haben.