Tina Turner: Alter Wein in neuen Schläuchen: Tina Turner kehrt, wieder mal, zurück
CHICAGO. Die beiden Mittvierziger neben mir sind hellauf begeistert. Ruckartig reißt es sie von ihren Sitzen, als Frau Turner von einer monumentalen Treppe zum Bühnenrand hinabstelzt. Und ebenso ruckartig sitzen sie auch wieder — wie alle anderen um sie herum. Die Euphorie entlädt sich im „Poplar Creek-Theatre“ eben nur sporadisch. Der Großteil der etwas angegrauten Zuschauer genießt das Konzert lieber aus der bandscheibenfreundlichen Sitz-Perspektive.
Ständig in Bewegung ist an diesem Abend nur eine – das 54jährige Stehauf-Frauchen im knappen Mini-Rock. In Europa hat sie bereits zwei Abschieds-Tourneen hinter sich, doch davon haben die amerikanischen Konzengänger nichts mitbekommen: In den USA hat Madame seit sechs Jahren nicht mehr getourt. Der Kinofilm über ihr Leben und der Soundtrack mit neuen Songs und aufgefrischten Klassikern haben die nimmermüde Turnerin bei den Landsleuten wieder ins Gespräch gebracht.
Anders als auf der neuen CD hält sie sich im Konzert mit Material aus den 60ern und 7üern zurück. Abgesehen von“.Nutbush City Limits“ und „Proud Mary“ -zwei Standards, die sie seit Jahren im Set hat – spart sie die musikalische Vergangenheit mit Ex-Ehemann Ike großräumig aus. Statt dessen gibt’s reichlich Stoff vom letzten Studio-Album „Foreign Affair“ – darunter „Steamy Windows“ und „Under Cover-Agent For The Blues“ (die gelungenen Adaptionen von Swamp-Blues-Veteran Tony Joe White), aber auch viel glatter Mainstream wie „The Best“. Und der ist nur erträglich, weil die Grande Dame mit ihrem kratzigen Charme den Songs zumindest ein wenig Seele einhaucht.
Bei ihrer Band hingegen gelingt das partout nicht: Die Truppe gesichtsloser Sessions-Cracks, von Gitarrist John Miles mal abgesehen, spielt perfekt, sauber – und absolut emotionslos. Aber es darf zumindest gelacht werden: Bei „We Don’t Need Another Hero“ haut der muskelbepackte Saxophonist immer dann auf die Pauke, wenn der Paukenschlag längst verhallt ist.
Die einzige, die sich wirklich abrackert, ist Tina Turner. Sie steppt, schwitzt, röhrt und schreit und zeigt nach gut zweistündigem Konzert immer noch keine Konditionsschwächen. Wenn ihre Stimmbänder richtig vibrieren, sie ein ums andere Mal klagend fragt: „What’s Love Got To Do, Got To Do With It?“ weiß man, warum sie ihren Vorruhestand immer wieder hinausschiebt: Mit soviel Power ist trau noch nicht reif fürs Rentenalter. Ob ihre lahmarschigen Begleitmusiker so lange durchhalten werden, darf bezweifelt werden.
Ihre US-Fans sahen eine neue Show; der deutschen Gemeinde wird allerdings wenig Neues geboten: Tina Turner geht mit fast der gleichen Song-Auslese auf Tour, mit der sie sich vor drei Jahren verabschiedete.