TINA TURNER
Fast 50 - und noch kein bißchen leise. Ihrer letztjährigen Ankündigung zum Trotz, die Bühne mit der Leinwand zu vertauschen, begibt sich das Stehaufweibchen doch noch einmal in die Arena. Selbst eine Tournee, bis vor kurzem völlig indiskutabel, möchte sie nun nicht mehr ausschließen. Was treibt eine erfolgreiche Frau dazu, den Eintritt ins Rock-Rentenalter abermals hinauszuschieben? Peter Jebsen stellte ihr diese und andere Fragen beim ME/Sounds-Interview in Los Angeles.
ME/SOUNDS: Nach dem Abschluß der letztjährigen Welt-Tournee hieß es, Tina Turner würde von der Bühne abtreten und ins Filmgeschäft wechseln. Warum jetzt doch noch eine LP und welches Konzept steckt dahinter?
TURNER: „Für ein Konzept hatten wir überhaupt keine Zeit, da wir das Album ein Jahr früher als geplant aufgenommen haben. Als mir nämlich bei Business-Meetings über meine Filmkarriere klar wurde, daß dies eine etwas langwierigere Angelegenheit ist, schoben wir deshalb vorher die Platte ein.“
ME/SOUNDS: Wie stark bist du im Studio überhaupt involviert?
TURNER: „Normalerweise bin ich bei der Aufnahme der basic tracks nicht dabei; ich höre sie mir nur hinterher an und sage, was mir gefällt – oder nicht gefallt. Diesmal entschieden wir uns jedoch dafür, mit einer Live-Band und Live-Gesang zu arbeiten. Insofern war ich stärker an den Aufnahmen beteiligt.“
ME/SOUNDS: Dein Produzent Dan Hartman ist nicht unbedingt für Rhythm & Blues bekannt – selbst James Brown hat er auf LIVING IN THE USA ziemlich glattgebügelt.
TURNER: „Weder mein Manager Roger Davies noch ich haben Dan wegen seiner bisherigen Arbeit ausgewählt, sondern weil er einfach ein erstklassiger Produzent ist. Wir waren sicher, daß wir mit unserem Wissen und den vorhandenen Musikern das erreichen könnten, worum es uns ging. Dans Stärke liegt darin, den optimalen Sound herauszuholen. Ich wußte in unserem Fall mehr über den musikalischen Aspekt als er, deshalb hatte ich diesmal einen größeren Einfluß als sonst.
Ich war außerdem auch heilfroh, einmal nicht mit den Produzenten zu arbeiten, mit denen ich in den vergangenen Jahren im Studio war. Die Arbeit mit Dan war zu Anfang nur ein Experiment, das nur für fünf Songs geplant war – am Ende produzierte er fast das ganze Album.“
ME/SOUNDS: Macht es für dich eigentlich einen Unterschied, ob ein Song von einem Mann oder einer Frau geschrieben wird? Man sagt ja, daß beide Geschlechter das Thema „Liebe“, über das du vorwiegend singst, unterschiedlich empfinden…
TURNER: „Wer der Songwriter ist, spielt für mich keine Rolle: wichtig ist, was der Text sagt. Ich bin dafür bekannt. Songs von den Rolling Stones und Rod Stewart zu covern, und ganz früher habe ich auch Sam Cooke und Ray Charles gesungen.
Ich neige generell dazu, Titel von Männern zu übernehmen – wenn Songs nämlich speziell für Frauen geschrieben werden, dann sind die immer sehr feminin und sehr soft, und das ist einfach nicht mein Stil. I prefer it when it’s nice and rough!“
ME/SOUNDS: Hast du jemals erwogen, mit deiner Musik eine Message zu verbinden?
TURNER: „Nein. Weißt du, wie ich über Entertainment denke? Man kann es zwar mit Aussagen verbinden, wenn das deine Mission ist; was jedoch mir daran gefällt, ist Unterhaltung. Und eine Message ist nicht unterhaltend – um eine Tagung abzuhalten, in der du dich mit den Problemen der Welt auseinandersetzt, brauchst du kein Entertainment. Unterhaltung bedeutet für mich, den Alltag zu vergessen, Lachen, Spaß, die Performance genießen. Sich mit Botschaften abzugeben, liegt mir ein bißchen zu nah an der Politik. Ich bin in erster Linie Entertainerin!“
ME/SOUNDS: Wenn du über dich selbst sprichst, beklagst du dich meistens – du hältst dich nicht für besonders schön, du siehst dich eher als Tänzerin denn als gute Sängerin, und auch mit deinem Bühnen-Image bist du nicht zufrieden. Gibt es irgendetwas an dir, mit dem du überhaupt keine Probleme hast?
TURNER: „Nein, weil ich glaube, daß das Leben nicht perfekt sein kann. Vor Leuten, die mit sich selbst zufrieden sind, kann ich nur meinen Hut ziehen. Ich finde in allem, was ich tue, kritische Punkte und Raum für Verbesserungen. Das ist eben meine Einstellung gegenüber mir selbst. Ich glaube ganz einfach, daß es überhaupt keinen Vergleich gibt zwischen meiner Stimme und der einer richtigen Sängerin, weil ich keine schöne Stimme habe. Meine Stimme und meine Live-Performance drücken eher eine Einstellung aus. Ebenso mein Aussehen als Frau: Ich bin nicht schön im Sinn von Illustrierten-Beauties, aber ich verfüge über gewisse Attribute, die für mich arbeiten. Diese ganzen kleinen Dinge zusammengenommen machen meine Wirkung aus.“
ME/SOUNDS: Hat deine Selbstkritik jemals dazu geführt, daß du dick selbst irgendwann mal abstoßend fandest?
TURNER: „In den frühen Tagen war das so. In meiner Jugend war ich spindeldürr und mager, und meine langen Beine paßten nicht zum Rest des Körpers. Damals war ich noch nicht in der Lage, dies soweit zu analysieren, daß mein Aussehen ein Vorteil sein könnte. In der Schule war ich nicht sehr smart, ich war unzufrieden mit meiner Ausbildung, und dann traf ich später bei meiner Heirat noch eine schlechte Wahl. Als ich mein Image entwickelte, war ich etwas zu wild, aber ich wußte keinen anderen Weg zum Erfolg.“
ME/SOUNDS: Hast du bei Live-Shows im Eifer des Gefechts jemals Dinge getan, die du hinterher bereut hast?
TURNER: „Zu Anfang habe ich beim Singen übertrieben, weil es dem Produktionsstil meines Ex-Mannes (gemeint ist natürlich Ike Turner) entsprach. Wenn du dann auf der Bühne singst, tanzst und schwitzst, sieht dein Gesicht fürchterlich aus. Und dann mußte ich mich bewegen, um die hohen Noten zu erreichen – das geht nämlich nicht, wenn du steif dastehst, was schon vor dem Aufkommen der Miniröcke interessante Ausblicke bot. Aus diesem Grund erlauben wir heute keine Fotografen mehr bei den Konzerten. Früher standen die nämlich unten vor der Bühne und knipsten direkt nach oben. Die Bilder sahen dann dementsprechend aus: Du stehst da, Beine gespreizt – das wurde so etwas wie ein Markenzeichen von mir -, und man hat mir dabei immer unter den Rock geschaut! Ich habe mich wohler gefühlt, als ich anfing. Hosen zu tragen, aber selbst dann zielten die Fotografen immer noch aufs magische Dreieck. Mit wachsendem Erfolg konnte ich das stärker beeinflussen – bei den heutigen hohen Bühnen brauchen die Fotografen gute Teleobjektive, um die gewünschten Körperteile einzufangen.“
ME/SOUNDS: Aber gerade deine körperliche Energie auf der Bühne ist es doch, was viele an dir besonders bewundern.
TURNER: „Als mir klar wurde, daß die Leute das gut finden, habe ich mich nur gewundert. Ich selbst mochte diese ganze verschwitzte Körperlichkeit nie, obwohl ich diejenige war, die es tat! Und ich tue es auch heute noch, allerdings etwas zurückhaltender und etwas geschmackvoller. Das ist eben der Tina-Turner-Stil, den viele Leute von mir erwarten. Viele stehen auch immer noch besonders auf ,I’ve Been Loving You Too Long‘. wo ich auf der Bühne besonders eindeutig mit dem Mikrofon herumhantierte – auch so ein Song, den ich gehaßt habe. Ich habe mit diesem Stil viele Zuschauer angezogen, weil er damals dem entgegenlief, was als nett und proper galt. Die Leute, die dagegen rebellierten, kamen zu meinen Konzerten. Einige wollten es sich nur mal ansehen, wobei sie entdeckten, daß ihnen auch die Musik gefiel, und sie blieben loyale Fans.“
ME/SOUNDS: Selbst in Biografien deiner Plattenfirma wirst du als Sex-Symbol bezeichnet. Stört dich das?
TURNER: „Das hat mich immer gestört; schon zu Beginn, als ich mich selbst nicht mal für sexy hielt. Aber ich muß damit leben, obwohl ich es in Wirklichkeit als langweilig empfinde, über Sex auch nur zu reden zu müssen. Ich würde lieber als eine attraktive, talentierte Frau gesehen werden – und nicht als Sex-Objekt. Ich versuche immer, mich zu entschuldigen: Ich bin nun mal eine Performerin und habe diese Art von Songs ausgewählt, weil sie mehr Spaß machen als eine klassische Liebes-Ballade, die ich ohne zu schwitzen in einem schönen Kleid singen kann‘!“
ME/SOUNDS: Ist es dir wichtig, daß Außenstehende deine wahre Persönlichkeit kennenlernen?
TURNER: „Ich lege sogar großen Wert darauf. Im letzten Jahr zum Beispiel habe ich darauf geachtet, nur Schuhe ohne Absätze zu tragen, weil die Leute mich nur mit Stöckelschuhen und Netzstrümpfen in Verbindung brachten. Wenn ich daraufhin einen Raum betrat, war das erste, was die Leute noch vor der Begrüßung sagten: ,Ich dachte, du bist viel größer!‘ Und bei einem Business-Meeting, bei dem ich entsprechend konservativ gekleidet war. fragte mich der betreffende Geschäftspartner: ,Ich habe dich noch nie in einem langen Kleid gesehen,‘ wobei ich natürlich zurückfragen mußte, ob er mich jemals außerhalb der Bühne gesehen habe. Mich ärgert so etwas, aber was kann man von den Leuten erwarten? Es liegt außerhalb ihrer Vorstellungskraft, daß diese Frau in Wirklichkeit anders sein könnte. Sie machen sich von Rock-Sängern sehr viel schneller ein Bild als von Vertretern anderer künstlerischer Bereiche. Selbst Leute, die meine Straßenkleidung kennen, sind so. Deswegen bringe ich bei Videoaufnahmen meine Kleider selbst mit, weil ich weiß, was man mir sonst vorlegt: billigen Plunder! (lacht) Ich mag das nicht, aber so ist eben das Business in dem ich mich befinde.“
ME/SOUNDS: Hattest du vor der Veröffentlichung deiner Biografie „I, Tina“ Zweifel, ob du wirklich so offen über deine Vergangenheit sprechen solltest?
TURNER: „Ja, diese Zweifel hatte ich. Aber ich sah das Buch als eine Möglichkeit, reinen Tisch zu machen. An diesem Punkt in meinem Leben begann nämlich mein Solo-Erfolg, und weißt du. worüber die Leute redeten? Sie schoben mir ihr Mikrofon ins Gesicht und sprachen von Ike Turner und seiner Musik. Dabei hatten Ike & Tina seit zwei Jahrzehnten keine Hits mehr gehabt! Ich wollte das Publikum zwingen, sich stärker auf meine Zukunft zu konzentrieren. Und das war nur
möglich, indem ich sie über die Vergangenheit aufklärte; über den Horror, den ich durchgemacht habe. Ich wollte Ike nicht niedermachen – mir hing es nur zum Hals heraus, immer wieder über ihn zu reden!“
ME/SOUNDS: Du hast einst eine Rolle in dem Film ,Color Purple‘ ausgeschlagen, weil du deine Jugend im amerikanischen Süden nicht noch einmal auf diese Weise durchleben wolltest. Wie hast du den fertigen Film empfunden?
TURNER: „Ich habe ihn mir nicht angesehen! Ich bin als southern girl geboren, inzwischen aber ein Kosmopolit geworden; viele der alten Gewohnheiten und Bräuche habe ich abgelegt. Ich brauche daran nicht erinnert zu werden, und ich will daran auch nicht erinnert werden! Die meisten Leute interessieren sich für solche Filme doch hauptsächlich, weil sie sich diese Art von Lebensstil – der für mich Realität war – nicht vorstellen können.“
ME/SOUNDS: Wann warst du zum letzten Mal in Tennessee?
TURNER: „Schon lang nicht mehr. Bei meinem letzten Besuch bin ich durch die Baumwollfelder gefahren und habe die Häuser meiner Familie gesucht, von denen einige mittlerweile abgerissen sind. Ich war in Brownsville und Nutbush, das Gin-House, von dem wir singen, ist immer noch da‘.“
ME/SOUNDS: Was für ein Gefühlhastdu, wenn du deine Musik von damals hörst?
TURNER: „Ich war davon noch nie sonderlich beeindruckt. Merkwürdigerweise war ich zu Anfang sogar peinlich berührt, wenn sie Sachen wie ,Tool In Love‘ im Radio spielten. Es ist eigenartig, wie sich das entwickelt hat… Weißt du, wie mir meine Karriere manchmal vorkommt? Ich war dieses undefinierbare Wesen, das auf die Erde fiel und all diese Dinge tat, die ich eigentlich nicht tun wollte, und ich hatte sogar auf eine gewisse Weise Erfolg damit. Aber nichts, was ich anrührte, gefiel mir – bis vor kurzem. Die erste Hälfte meines Lebens schwamm ich nur mit, heute bin ich endlich eine freie Person.“
ME/SOUNDS: Was für eine Karriere hattest du dir denn ursprünglich erträumt?
TURNER: „Meine Phantasie ging schon immer weit über die eines Country-Girls aus Tennessee hinaus – ich dachte, bei meinem ersten Konzert würde ich eine schicke Garderobe haben, wie man sie in Film und Fernsehen sah, mit einem großen Star-Zeichen auf der Tür; stattdessen war es ein Theater in Cincinnatti/Ohio, und ich mußte mich in einem staubigen Lagerraum voller Bierflaschen umziehen. Ich war also von Anfang an enttäuscht.“
ME/SOUNDS: Hörst du dir privat Musik an?
TURNER: „Nicht sehr häufig. Wenn du eine Schreibkraft wärst, würde ich dich auch nicht fragen, ob du zuhause gern tippst. Meine Ohren hätten niemals eine Pause, wenn ich auch noch zuhause weitermachen würde. Ich bitte sogar häufig darum – besonders morgens -, eventuell vorhandene Musik auszustellen. Ich mag’s lieber ruhig. Das ist eins der Probleme, die ich mit meinem Freund habe – dadurch, daß er im Musik-Business tätig ist, schaltet er morgens nach dem Aufstehen zuallererst das Radio ein. Wenn ich dagegen aufwache, muß ich zunächst erst mal meinen Körper belauschen, wie ich mich fühle.“
ME/SOUNDS: Musik ist für dich also nicht viel mehr als ein Job.
TURNER: „Nein, Musik ist kein Bestandteil meiner alltäglichen Freuden. Ich kann auch ohne sie auskommen.“
ME/SOUNDS: Du erwähntest vorher deine Filmkarriere. Was ist in dieser Hinsicht geplant?
TURNER: „Ich habe keine Lust mehr herumzureisen. Ich könnte mich zwar schon jetzt zur Ruhe setzen, aber für den Fall, daß ich in Zukunft größere Sicherheit brauchen sollte, möchte ich lieber einen Film machen als eine Tournee oder eine LP mit all der Arbeit, die damit verbunden ist. Außerdem möchte ich die Leute mit einem positiven Eindruck verlassen, anstatt später als alte Frau auf der Bühne zustehen und nicht mehr all das bringen zu können, für das ich bekannt bin. Das Publikum kann da sehr grausam sein. Wenn ich jetzt aufhöre und als Schauspielerin anfange, werden sie sich daran gewöhnen, mich auch auf der Leinwand zu mögen. Es ist der beste Übergang, um den sich jeder vernünftige Erwachsene an diesem Punkt in seinem Leben bemühen würde. Sollte diese LP ein enormer Hit werden, gehe ich höchstens noch mal auf eine kurze Europa-Tournee.“
ME/SOUNDS: Du wirst am 26. November 50 Jahre alt. Ist das ein wichtiges Datum in deinem Leben?
TURNER: „Eigentlich wollte ich schon am 20. November mit dem Feiern beginnen, weil ich diesen Geburtstag für sehr wichtig halte. Den Anfang sollte zunächst in Kalifornien ein Fest mit meiner Familie und Freunden machen; dann wollte ich nach London fliegen, um dort zu feiern – damit meine ich Dinner, Champagner und vielleicht Tanzen -, und mich zum Schluß in meinem Lieblingsrestaurant in Deutschland mit Freunden zusammensetzen. Aber unglücklicherweise muß ich mich jetzt um meine LP kümmern und Promotion machen; deshalb sieht es so aus, als ob ich nur einmal feiern kann. Ich bin gesund, ich sehe besser aus als je zuvor, und ich bin erfolgreicher und zufriedener denn je – warum sollte man das nicht feiern? Aber jetzt habe ich leider die LP …“
ME/SOUNDS: Wie gefällt dir dein neuer Wohnort Köln?
TURNER: „Ich wußte schon in den 60er Jahren, daß ich in Deutschland leben könnte. Es hat sich dann vor etwa zwei Jahren einfach so ergeben: Ich nahm mir ein Jahr frei und suchte überall – in Südfrankreich, in der Schweiz – nach einem geeigneten Haus, und pendelte währenddessen regelmäßig nach Köln, um dort mit meinem Freund zu leben. Irgendwann überlegte ich mir: ,Warum miete ich mir nicht etwas in Köln?‘ Das würde mir das ganze Herumreisen ersparen, und außerdem gefiel es mir dort. Ich fand mich plötzlich in Kunstgalerien und beim Shopping, und es machte mir immensen Spaß! Ich entschied mich also dafür, ein Haus zu kaufen. Mein Manager hatte erst einmal einen Wutanfall: .Wie kannst du in einer so provinziellen Stadt leben?‘, was genau das war, was ich wollte – ein kleines Versteck. Ich kann in Köln frei herumfahren, ohne daß ich belästigt werde. Egal, ob ich für ewig und immer mit meinem Freund Erwin zusammenbleiben werde – in Köln habe ich meine kleine Nische gefunden.“