Interview

„Tiger Girl“-Regisseur Jakob Lass im Gespräch: „Wer nutzt hier wen aus?“


Der Regisseur Jakob Lass wurde jahrelang von Filmschulen abgelehnt, jetzt avanciert er zum Revolutionär des deutschen Kinos. Ein Dialog mit einem, der keine Dialoge in sein Drehbuch schreibt.

Es war einer der wenigen Aufreger einer unspektakulären Berlinale 2017. Während Thomas Arslans deutscher Beitrag „Helle Nächte“ das Publikum im Wettbewerb mit Tristesse und nichtssagender Stille folterte, musste Jakob Lass sein Feuerwerk „Tiger Girl“ in einer Nebensektion abbrennen. Lass wird es verkraften, genauso wie die Tatsache, dass sein Film im März nur für wenige Minuten, irrtümlich für den Deutschen Filmpreis nominiert war.

Jetzt ist „Tiger Girl“ in den Kinos. Und wer ihn sieht, der weiß, dass Lass das Rampenlicht egal sein dürfte. Der 36-jährige Regisseur versprüht mit seiner Geschichte über Gewalt, Machtmissbrauch, Wahn und Werte eine Lust am Film, der angestaubte deutsche Branchenpreise kaum gerecht werden können.

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Seit seinem ersten Langfilm, dem Liebes- und Alkoholiker-Drama „Love Steaks“ (2013) genießt er ein Ansehen wie lange kein deutscher Nachwuchs-Regisseur mehr. „Tiger Girl“ konnte er Constantin-Film mit acht Seiten „Skelettdrehbuch“ verkaufen. Nur ein paar Szenen waren darin skizziert, keine Dialoge, keine Figurenbeschreibungen. Zu Beginn eines Projektes weiß der gebürtige Münchener und Wahlberliner nämlich selbst nur ungefähr, was passieren wird. Lass improvisiert, wirft Schauspieler mit Laien zusammen, wiederholt Szenen einfach, bis sie schlüssig erscheinen. „Tiger Girl“ ist dadurch authentisches Kino, was angesichts von Martial-Arts-Kämpfen und märchenhaften Zufällen im Plot kaum möglich scheint. Das Sensationelle ist, auf wie viele Arten man dieses fiese Märchen lesen kann. Wie hat Lass das nur hinbekommen?

me.Movies: In deinen Filmen wird hauptsächlich improvisiert. Ist das eine reine künstlerische Entscheidung oder kannst du es einfach nicht anders?

Jakob Lass: Ehrlich gesagt, weiß ich das nicht. Ich glaube, dass ich in einen Perfektionswahn verfallen würde, wenn ich anders drehen würde. Der würde mich dann vielleicht blockieren. Würde ich versuchen, jedes Detail perfekt umzusetzen, könnte ich niemals meinen Ansprüchen gerecht werden.

Aber schwingt bei so einem Impro-Dreh nicht die Angst mit, dass plötzlich keine guten Ideen mehr kommen?

Natürlich, aber das ist bei einem Drehbuch-Film ja auch so. Man muss einfach ein Team haben, das stärker zusammenhält als üblich, vor allem an schwierigen Tagen.

Gab es solche verschwendeten Stunden, an denen dann am Ende nur Mist herauskam?

Maria-Victoria Dragus (l.) und Ella Rumpf in „Tiger Girl“.

Na klar, das gehört dazu. Dafür hast du andere Tage, an denen kommen nur Goldstücke. Wir hatten bei „Tiger Girl“ aber genau so geplant: Es gab Tage, an denen wir sogenannte Skelettszenen gedreht haben und wiederum freie Tage, an denen wir wirklich nur improvisiert haben. Da kann alles Mögliche passieren. Ich mag die Szene, in der Tiger plötzlich ein Vampirgebiss hat und diesen besoffenen Belästiger verprügelt, die ist an einem freien Tag entstanden. Es war gerade Halloween, deswegen lag plötzlich dieses Plastikgebiss am Set.

Du hast einmal gesagt, du steckst deinen Darstellern vor dem Dreh einer Szene manchmal Geheimnisse zu. Wie muss man sich das vorstellen?

Ich gebe einem Darsteller oft Aufgaben, von denen das Gegenüber aber nichts wissen darf. Ein Beispiel: „Du willst, dass die andere Person den Raum verlässt!“ Das darf nicht ausgesprochen werden, der Darsteller oder die Darstellerin soll es als Bedürfnis spielen! Die gesamte nonverbale Kommunikation zielt dann darauf ab, dass diese Aufgabe erfüllt wird. „Ich will, dass du mich umarmst“ ist auch so ein Beispiel. Dieser Wunsch liegt dann sozusagen unter der Szene.

Bei deiner Art zu drehen hast du am Ende logischerweise sehr viel Material. Da fällt mir ein Zitat von Werner Herzog ein.

(lacht) Ich glaube, ich weiß schon, welches Zitat du meinst.

Ich höre.

„We are not garbage collectors, we are filmmakers!“

Genau. Er ist der Meinung, dass es unnütz ist, Hunderte Stunden Material anzuhäufen und dann zu schauen, was man gebrauchen kann …

Ich verstehe, dass er gegen Willkür ist. Dem Zitat stimme ich voll zu, man sollte nicht einfach nur draufhalten, es muss immer um etwas gehen. Ich nehme mir nur die Freiheit, beim Dreh Sachen auszuprobieren und verschiedene Varianten zu drehen. Ich suche etwas Unerwartetes und manchmal auch die Ermüdung bei den Leuten, das macht Herzog ja auch.

Du gehst ohne Drehbuch und ohne Dialoge in ein Filmprojekt. Mit welcher Idee beginnst du denn?

Bei „Love Steaks“ war es die Location, das Hotel, in dem der Film spielte. Bei „Tiger Girl“ war es das Thema, konkret: Ohnmacht als Lebensgefühl. Dazu natürlich unterdrückte und gelebte Aggression, Gewaltfantasien, die Fleisch werden. Uniform und Wahnsinn – wie kommt das zusammen?

Dein Vorgehen widerspricht eigentlich fast allen Mechanismen der hiesigen Branche. Ich unterstelle dir jetzt einfach mal eine große Abneigung gegenüber dem restlichen deutschen Kino.

Ich habe eine Abneigung gegen langweiliges Kino. Gegen Kino, das sich nichts traut. Ich will die Dinge anfassen, ich will, dass Projekte lebendig sind.

Hast du Angst, dass du als ungewöhnlicher, junger Filmemacher vor den Karren der deutschen Branche gespannt wirst? Als Ausrede und positives Beispiel in einem ansonsten eher starren Markt?

Die Frage ist: Wer nutzt hier wen aus? Wenn mich Leute sozusagen als Feigenblatt nutzen wollen, dann haben sie sich aber etwas sehr Explosives in den Schritt getan.

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