Thin Lizzy: Phil Lynott entdeckt seine schwarzen Wurzeln wieder
Hautfarbe war für Lynott bisher kein Thema, um damit innerhalb seiner Rockband an die Öffentlichkeit zu treten. Das ist jetzt anders geworden. Er öffnet sein Herz nicht nur als Ire, sondern auch als Farbiger. Dabei geht der harte, treibende Beat bei den Liveshows der Thin Lizzy keineswegs verloren.
Nach der Thin-Lizzy-Tour im Mai 1979 (vergleiche ME 6/79), hat sich das Personalkarussell munter weitergedreht. Diesmal war Snowy White dabei, jetzt zweiter Mann an der Gitarre. Jener Musiker übrigens, der dem Gitarristen David Gilmour bei den jüngsten Pink-Floyd-Shows („Animals“, „The Wall“) den Großteil der Arbeit abnahm. Und mit dem 18jährigen Darren Wharton als Gast, hatte Thin Lizzy erstmals einen Keyboardmann mit auf der Bühne. Mit ihm wollten sie die klangliche Atmosphäre schaffen, die Lizzy-Kopf Phil Lynott vorschwebte, als er CHINATOWN zum Thema des aktuellen Albums und der Tournee wählte: nämlich eine düstere.
Denn wer ob des kitschig-bunten Covers von CHINATOWN mit seinen gierig-funkelnden Drachen an eine rein exotisch-erotische Atmosphäre zu denken gedachte, dem sei versichert, er ist auf dem Holzweg. Chinatown, das heißt für London Soho, und Soho, daß bedeutet Kriminalität und Prostitution. Wenig romantisch, gelle? „Fast alle Songs auf dem neuen Album haben mit Chinatown zu tun“, erklärt Phil Lynott. „Und Chinatown ist ein böses Pflaster, wie die Reeperbahn, unheilvoll und dunkel. Und so ist auch das neue Album schmutziger, dreckiger geworden, ganz im Gegensatz zur fast romantischen BLACK ROSE-Thematik.“
Nach BLACK ROSE gab Lynott zu, er sei als Komponist und Texter doch recht ausgebrannt gewesen. Auf der Suche nach Themen für neue Songs und neue Lyrik, fand er sie quasi vor der Haustür des Good Earth Studios in Soho, in dem er damals mit den Aufnahmen für sein bislang erstes Solowerk SOLO IN SOHO beginnen wollte. „Die Prostituierten sind für mich der Prototyp des gesellschaftlichen Außenseiters“, bekannte Lynott und betrieb ausführliche Millieustudien. Denn: „Ich sah da auch Parallelen zu unserem Musikerdasein. Wir werden ja auch noch als Randgruppe der Gesellschaft ziemlich argwöhnisch beäugt.“
Kaum verwunderlich, daß Lynott in dieser Umgebung auch ein Thema nicht aussparte, das den Briten eh schon wie eine Zentnerlast auf den Schultern lag: der Ripper. Mit „Killer On The Loose“ handelte sich Thin Lizzy viel Ärger ein (ME 2/81, S. 4). Aufgebrachte Frauen wollten den Song auf den Index verbannt wissen. Phil: „Ich wollte den Ripper wirklich nicht glorifizieren. Obwohl ich durchaus in Betracht gezogen habe, daß man das wegen meines Dunkelmann-Images unterstellen könnte. Ich wollte die Leute schocken, ja, sie darauf aufmerksam machen, daß da ein Killer frei herumläuft. Ich war echt froh über die Riesenpublicity. Nicht wegen der Werbung für unser Album, sondern weil die Leute dadurch wieder über das Thema redeten, und sich der Gefahr bewußt blieben.“
Weit wichtiger als diese inhaltlich-textliche Schocktherapie, war es für die Band, mit CHINATOWN den Beweis anzutreten, daß „Thin Lizzy noch lange nicht am Ende ist“. Phil Lynott: „Nach der letzten Single ‚Sarah‘ und meinem Soloalbum hat alle Welt gesagt: Lizzy sind zu soft geworden. Lasch und zahm. Es lag an uns, den Leuten zu zeigen, daß wir noch immer in der Lage sind, Rock’n’Roll zu spielen.“ So geriet CHINATOWN (zwangsläufig) weit weniger abwechslungsreich als nahezu alle bisherigen Lizzy-LPs. Und mit Ausnahme von „Didn’t I“ mit seinem schwülstigen Streicherarrangement rockt Lizzy hart und laut, manchmal gar so, selbst dem eingefleischten Headbanger das Herz im Leibe lachen muß. „Chinatown“, der Titelsong, und das bereits erwähnte „On The Loose“ tragen eindeutige Heavy-Metal-Merkmale, doch bleiben die Musiker im großen und ganzen ihrem Stil-Konzept, nämlich dem des melodischen Hard Rock treu. Und das auf gewohntem Standard, mit einer kleinen Einschränkung: Gary Moore’s ist nicht mehr dabei; ob freiwillig oder nicht (Lynott: „Daß wir uns nicht mißverstehen: Als Gitarrist ist er großartig; als Menschen mag ich ihn überhaupt nicht!“), mit ihm hat Thin Lizzy eine spielerische Persönlichkeit verloren. Und damit ohne Zweifel an Farbigkeit und Flair. Wer Gary Moore von seinem Zusammenspiel mit Colosseum II her kennt und gar sein Soloalbum BACK ON THE STREETS (MCA, 1978) besitzt, der weiß einzuschätzen, welch musikalischen Verlust die Trennung von diesem Egozentriker doch immerhin bedeutet.
frischen Wind, neue Soundideen, die genau dem damaligen Trend der Londoner Szene entsprachen, diesem Synthesizer-Futurismus-Zeugs synthesizedtuturism type o/ stuH. Brian und Scott hielten ihn für verrückt, weil er immer, vor jedem Gig, sein Make up auflegte. Als Midge dann zu Ultravox wechselte, fanden wir Snowy, der jedoch noch mit Pink Floyd arbeitete zu diesem Zeitpunkt und seine Tournee-Verpflichtungen noch erfüllen mußte. Von daher hatte ich Zeit für einen Soloausflug.“
Nach dieser mehr oder minder unfreiwilligen Pause waren die Lizzy-Musiker vor neuem Elan offenbar kaum noch zu bremsen. Phil Lynott: „Snowy war wirklich scharf darauf, endlich einmal richtig loszupowern, Dampf abzulassen. Und Scott und Brian ging es nach der Ruhepause genauso. Ich hatte ja auf meinem Soloalbum experimentiert, alles gespielt, außer Hard Rock, das also, was Lizzy am besten kann.“
Für Lynott’s Experimentierfreudigkeit auf SOLO IN SOHO mag die Liste der zur Produktion angetretenen Musiker Zeugnis ablegen. Neben den Lizzies spielten Supertramp Bob C. Benberg, Mark Nauseef, Mark Knopfler, Jimmy Bain, Midge Ure, Billy Currie, Gary Moore… Und entsprechend fiel das Wechselbad zwischen verschlafenem Straits-Rock, Ultravox-Elektronik, amerikanischem Top 40-Gedudel, Blues, Reggae und süßlichem Pop aus. Weit interessanter aber als diese musikalischen Stilübungen sind Lynotts Texte, die teilweise zumindest inzwischen recht persönlich geworden sind und an deren Verfeinerung er auch hart zu arbeiten bereit ist. Seine Eigenständigkeit sowie sein stilistisches Spektrum sind nur schwer zu ersetzen.
Midge Ure, zur Stunde bei Ultravox, hatte zwischenzeitlich den vakanten Gitarristenplatz eingenommen. Viele mutmaßten, Lynott habe in Ure den optimalen, vierten Mann für Thin Lizzy schon gefunden, einen Gitarristen, der zudem Keyboards spielen kann. Phil: „Midge ist ein guter Freund. Aber wir dachten nie daran, ihn als festes Mitglied in die Gruppe zu nehmen, genauso wenig, wie er selbst jemals erwogen hat, in die Band einzusteigen. Er brachte „Talk In 79“ ist ein Beispiel witziger Wortspielereien und Lynott’s ganz persönliche Aufarbeitung der Post-Punk und New Wave-Szenerie. Und dann gibt es da noch die „Ode To A Black Man“, in der Namen wie Stevie Wonder, Bob Marley, Martin Luther King, Mugabe, Nkomo und Kenyatta fallen.
Bisher kannte man Lynott als Iren, als Rock’n’Roller, als Ehemann… aber seine Hautfarbe war bislang kein Thema, das er in der Öffentlichkeit, sprich in Liedtexten aussprach. Kostete das Überwindung oder warum taucht das schwarze Bewußtsein des Phil Lynott erst relativ spät in Vinyl gepreßt auf? Lynott: „Einmal dachte ich, daß es eine Menge Leute gibt, die viel, viel besser darüber schreiben können als ich. Zum andern war ich so damit beschäftigt, mich als Rockmusiker zu etablieren, daß die schwarze Hautfarbe nie als Problem in den Vordergrund rückte. Aber ich verstehe, daß es für viele andere Schwarze in anderen Gegenden ein echtes Problem ist, für all jene beispielsweise, die ich im Lied angesprochen habe. Und die können das auch viel adäquater beurteilen. Aber als ich mein Soloalbum aufzunehmen begann, schaute ich mich um. Stevie Wonder machte sein SECRET LIVE OF PLANTS, Bob Marley was in love und all die Leader aus den Sechzigern sind in Vergessenheit geraten. Es gab einfach niemanden, der für ein Statement gut war. Wenn ich mich an Wonders „Living In The City“ erinnere, da verstand ich als Schwarzer in Irland, was es bedeutet, als Schwarzer in New York zu leben. Die Afrikaner verstanden es, die Jamaikaner. Und das gleiche gilt auch für vieles, was Marley gemacht hat. Und „Ode To A Black Man“ ist als ein Aufruf zu verstehen, wieder mehr Songs darüber zu schreiben, denn der Kampf ist noch lange nicht zu Ende.“
Neben seinem (wieder) erwachten schwarzen Bewußtsein, bleibt uns der Ire Phil Lynott trotz SOLO IN SOHO und CHINATOWN auch erhalten. Phil Lynott: „The Irishness isn’t gone. Aber dieses Jahr haben wir das Bob Geldof mit ‚Banana Republic‘ überlassen.“