Then Jerico – The Big Area


Posaunen gibt s keine und doch wackeln die Mauern - die englische Gruppe Then Jerico dürfte mit ihrem zweiten Album THE BIG AREA vor einer rasanten Karriere stehen.

Da ist zunächst der Sänger und Texter Mark Shaw: eine Stimme, die förmlich nach großer Lightshow verlangt, man sieht die gleißenden Spots, die gebieterisch erhobenen Arme, die ausholenden Gesten – ein Stilist mit grellen Farben und großem Selstbewußtsein, der geborene Frontman. Schüchterne Selbstzweifel kannte er ohnehin nie, denn schon in der Anzeige, die er seinerzeit zwecks Bandgründung aufgab, hatte er sich schlankweg als „äußerst erfahrenen Sänger“ tituliert – natürlich war noch nie eine Note über seine Lippen gekommen .. .

Dafür klingt Then Jericos Musik heute alles andere als amateurhaft. Die Kompositionen, die das Quintett stets gemeinsam schreibt, sind so raffiniert in der Konzeption, daß es sich Mark Shaw tatsächlich leisten kann, von “ traditionellen Rock’n’Roll-Werten“ zu sprechen, gleichzeitig aber einen Sound abzuliefern, der gewiß mehr mit Duran Duran als mit den Rolling Stones zu tun hat, die glatte, gefällige Oberfläche der eingängigen Melodien dennoch immer wieder durchbricht. Then Jerico haben nicht gerade das radikale Konzept von Talk Talks letztem Album weitergeführt, aber man könnte sich durchaus vorstellen, daß sie’s mal täten …

Voerst schmettern sie britischen Pop der Nach-Synthie-Ära in Perfektion: Der erst 1988 zu der Band gestoßene Leadgitarrist Rob Downes spielt manchmal wie Doug Fieger zu Knack-Zeiten („You Ought To Know“), aber zwischen all den knackigen Riffs stecken Melodien, die auf den weichen Keyboard-Schäumen fast sphärisch wegdriften:

Spannung heißt ihr Konzept. Spannung, die ebenso rhythmisch wie melodisch erzeugt wird. Stephen John Wren, mit Shaw zusammen Co-Gründer der Band, trommelt bretthart gegen das softe Umfeld, er ist das Pendant zur herrischen Stimme Shaws. Selbst in altmodischen, von akustischer Gitarre getragenen Balladen wie „Darkest Hour“ versagt sich der Vocal-Macho jede Schwäche und bleibt noch im Flüstern glashart, – wenn er das auch live so bringt, dürften die nächsten Then-Jerico-Konzerte kleine Festlichkeiten an Pop-Pomp werden. Und was die Welt für einen Bedarf an greller Breitwand-Akustik auf der Rock-Bühne hat, bewies nicht nur der Erfolg von Marillion.

Die Produktion dieser ambitioniert/cleveren Mixtur lag in den Händen von Bruce Lampcov/Rick Knowles/Rhett Davies, die sehr geschickt hemmungslose Glitter-Effekte mit pittoresken Randeinfällen und feinfühligen Klangminiaturen verbunden haben. Man scheint einander im Studio verstanden zu haben. (wt)

Um sich Popularität zu verschaffen, sprühten sie den Bandnamen „Then Jerieo“ nachts auf Londoner Wände – und wurden auf Bewährung verknackt. Um gegen Südafrikas Rassenpolitik zu protestieren, spenden sie jeden überschüssigen Penny an Artists Against Apartheid.

“ Wir sind eine Band der Neunziger“, kommentiert Sänger Mark Shaw. „Das heißt in erster Linie politisches Engagement. Aber wir wollen dabei besser aussehen als Billy Bragg. Rock’n’Roll hat sich verändert. Er ist gesellschaftsfähig geworden, ein akzeptiertes Medium. Irgendwo da draußen gibt es einen neuen Adolf Hitler, oder einen neuen Martin Luther King. Auch George Bush muß ab und zu Musik hören. Wir wollen diese Leute erreichen. Vielleicht denken sie dann nach, bevor sie die Welt in die Luft jagen.“

Trotz allem lautstarken Engagement sind die Texte auf THE BIG AREA völlig unpolitisch. „Logisch“, erklärt Mark. „Im letzten Jahr haben wir unseren Manager gefeuert, ich habe mich scheiden lassen, bin dreimal verhaftet worden; (Gitarrist) Scott ist Vater geworden! Das sind die Tatsachen des Lebens. Die Platte handelt vom Erwachsen werden.“ (sam)

Von teens geliebt, von der presse gehasst

Mit den Worten „Was glauben Then Jerieo eigentlich, vvi’e kurz das Gedächtnis der Simple Mindi-Fans ist‘ kanzelte NME-Kritiker Andrew Collins das zweite Opus der englischen Pop-Band ab. Und legte bei der Gelegenheit ihrem singenden Darling Mark Show nahe, es doch gleich als „Solist“ zu versuchen.

In ihrer Heimat sind Then Jerieo (auf unserem Foto noch ohne Neuzugang Rob Downes) nicht unumstritten. Von der Teen-Presse gefeiert, rümpfen Britanniens Kritiker-Päpste natürlich die feine Nase. Alle Pros und Contras konzentrieren sich auf den smarten Sänger, der Rest des Quintetts ist eher Staffage. Dem 27jährigen ous Derbyshire,der 14 verschiedene Schulen besuchte und an 15 Orten lebte, eilt bei der „seriösen“ Kritik das Imaye eines gestandenen Posers voraus, eines Möchtegern-Stars, dem auch musikalisch Styling vor Stil geht. Der erneute Charts-Erfolg ihrer Single „Big Area“ ist natürlich nur Wasser auf die Mühlen der Gralshüter, doch die musikalische Substanz von THE BIG AREA gibt nun auch den Zweiflern zu denken.