The Woodentops
Keiner ist größer als 1,60, doch mit ihrer Spielfreude können sie Berge versetzen. Rolo (u.) und seine Woodentops gelten in England als größte "kleine" Band. Als dann auch noch ihre LP GIANTS im letzten Heft zur "Platte des Monats" gekürt wurde, begaben wir uns unverzüglich ins Zwergenland, um die kleinen Giganten vor ihrer Deutschland-Tournee vorzustellen.
Es ist ein friedvoller Nachmittag in einem Park von South East London. Vor einigen Wochen forderten Rassen-Unruhen in dieser Gegend viele Verletzte. Heute rauchen hier alte Männer Selbstgedrehtes, dort sitzt ein Rasta im Rollstuhl mit Spielzeug in der Hand, ein Köter mit einer Plastikbanane im Maul trottet vorbei. Rolo McGinty, Chef der Woodentops, liegt auf einer Parkbank und raucht Lucky Strikes. Er hat schwarzes Haar, schwarze Klamotten, sein Fahrrad lehnt an der Parkbank.
Seit den ersten Singles „Plenty“, „Move Me“ und „Well, Well, Well“ ist die Band kontinuierlich in der Gunst des englischen Publikums gestiegen. Die Debüt-LP GIANT, die im letzten Monat auch das Kritikerkonsortium von ME/Sounds restlos überzeugte („Platte des Monats“ im August), markiert den vorläufigen Höhepunkt in der Karriere der Londoner Gruppe. Natürlich ist der LP-Titel von James Dean geklaut, genauso wie viele andere Songtitel der Woodentops: „The Last Time“, „Get It On“, „Shout“, „Travelling Man“ — die seligen T. Rex wurden da genauso geplündert wie die alten O’Jays. Doch der Sound der Band ist definitiv ihr eigener.
Die Woodentops -— der Name stammt von einer uralten britischen Kinder-TV-Serie — – wurden in den britischen Musikblättern mit einer Unzahl von großen Namen verglichen. Velvet Underground, den Doors, Pink Floyd, Jonathan Richman, Little Richard, Shadows… außerdem wären da noch Richtungen wie Psychedelia und Country & Western auszumachen, wobei auch der legendäre Sound des Stax-Labels (Otis Redding, Sam & Dave, Staple Singers) eine Rolle spielen würde. Und textlich haben wir es — laut Popjournaille — mit einer Reinkarnation des amerikanischen Schriftstellers Jack Kerouac zu tun.
Rolo McGinty ist 25 Jahre alt und hat kleine Lachfalten rund um seine verschmitzen Augen. Die Adjektiva, die man gemeinhin benutzt, um Rolo zu beschreiben („energisch“, „eifrig“, „dreist“, „aufgeregt“), lassen ihn als Kreuzung zwischen einer Pfadfinderin, einem „Page Three-Girl“ und einem hechelnden jungen Hund erscheinen. „Mit dem jungen Hund bin ich einverstanden“, schränkt Rolo ein. „Auf der Bühne bin ich das mit Sicherheit. Denn da oben müssen wir ohne die zusätzlichen Aufnahmespuren eines Studios auskommen. Und wenn wir uns nicht ordentlich schaffen, dann gehen wir mit einem unguten Gefühl von der Bühne. „
„Ich liebe es zu tanzen“ — Rolo wechselt das Thema wie diese aufziehbaren Mini-Roboter, die gegen die Wand laufen, um dann glücklich auf die nächste Wand zuzumarschieren — „aber ich denke nicht, daß man deshalb unserer Musik den Stempel ,Disco‘ aufdrücken darf. Es ist verdammt schwer, zu Woodentops-Musik cool zu tanzen, dafür sind wir einfach zu schnell. Einmal habe ich einen Film über uns gesehen, und ich war geschockt. Ich überlege schon, ob ich auf der Bühne nicht total still stehen sollte. Aber wahrscheinlich überzeugst du dein Publikum besser, wenn du wie ein aufgeregter junger Hund agierst. „
„Jemand sagte zu mir, ich sähe aus wie Charlie Chaplin. Na, manchmal sehe ich aus wie ein Monster und dann wieder bin ich recht hübsch. „
Hat er denn nie versucht, vor dem Spiegel eine dieser typischen Gitarren-Posen zu trainieren?
„Oh ja, einmal. Ich konnte mich überhaupt nicht mehr einkriegen vor Lachen. Ich sah wirklich aus wie ein Arschloch. Danach wußte ich,
daß ich mich nur auf einen Barhocker setzen wollte, meine Akustik-Gitarre spielen und singen. So in der Art von Bob Dylan …“
Wieder setzt er dieses spitzbübische Grinsen auf und erzählt, daß er in einer Sozialwohnung lebt, auf diesen Park hier runtersehen kann und die Smiths haßt.
Seine Bandkollegen heißen Simon Mawby (Gitarre), Benny Staples (Schlagzeug), Frank De Freitas (Baß) und Alice Thompson (Keyboards). Simon und Alice sind die Übriggebliebenen der allerersten Woodentops-Besetzung. „Alice ist eine völlig unverdorbene Person, sie ist der ungewöhnlichste Mensch, der je in einer Rock ’n‘ Roll-Band gespielt hat. Sie ist diejenige, die uns davon abhält, eine typische .Band‘ zu werden. So wie diese dummen, maskulinen Gruppen, die so tun, als wären sie eine Horde von Fußballfans. „
Daß sie als Instrumentalistin nicht unbedingt eine Könnerin ihres Faches ist, stört Rolo dabei überhaupt nicht. „Keyboards sollten meiner Meinung nach sowieso nicht mehr tun, als ein paar atmosphärische Farbtupfer liefern.“
„Simon ist ein stiller, verinnerlichter Mensch. Er ist der einzige in der Band, der konsequent übt. Irgendwie sind wir zwei Konkurrenten, denn auch er ist sehr kreativ. Er ist immer der erste, der mir sagt, wenn ich wieder mal wie ein Stück Mist klinge. Ich sage ihm aber auch, wie sehr ich seine Gitarre an diesem Abend gehaßt habe …“
„Benny, der Schlagzeuger, wird irgendwann einmal sehr berühmt sein, egal mit wem er in Zukunft noch arbeitet. Er ist wie Keith Moon, talentiert bis in den letzten Knochen. Wir sind sehr oft zusammen, fahren auch gemeinsam auf Urlaub. Er ist auch so ein junger Hund, nur hat er Schlagzeugstöcke in der Hand und muß sitzenbleiben. “ „Bleibt nur noch Frank, der -— wie sein Baß —- auch in der Gruppendynamik als Anker fungiert. Sein Bruder ist gerade bei Echo & the Bunnymen ausgestiegen. Was bedeutet, daß er alle Verrücktheiten des Geschäfts zumindest mündlich durch seinen Bruder schon erfahren hat. Ich flipp schon mal aus, Alice sperrt sich vielleicht in ihr Hotelzimmer ein — und Simon spaziert vielleicht mitten in der Nacht einsam durch die Straßen einer Großstadt, aber Frank weiß immer genau, was er tut. Wir haben da wirklich so unsere Spleens — so wie in der Film-Satire ‚Spinal Tap‘. Aber als Karikaturen unserer selbst möchten wir nicht enden. „
Die erst kürzlich beendete erste Kurz-Tour der Woodentops durch die USA war sehr „Spinal Tap“-verdächtig. Die brillante Filmsatire von Rob Reiner, in der am Beispiel einer fiktiven Heavy Metal-Band die lächerlichen Gepflogenheiten der Showbranche gnadenlos veräppelt werden, erwies sich als erstaunlich realistisch: Satinbejackte Promotionleute, Magnum-Champagnerflaschen (die Band ist drüben beim Riesen CBS unter Vertrag, in England und Deutschland beim Winzling Rough Trade), bewundernde Journalisten und haufenweise Groupies. „Man fragte uns andauernd, wie denn das bei uns so mit den Groupies wäre. Und wir antworteten: ,Groupies? Was ist das? Bitte buchstabieren Sie …‘ Bei uns kam bislang niemand hinter die Bühne und plötzlich… unsere Garderoben sahen da drüben mit einem Mal aus wie ein gutgehender New Yorker Nachtclub. Diese ganzen Verrückten…!“
„Die Woodentops sind keine dieser leichtlebigen Bands“, stellt Rolo McGinty mit fester Stimme ein für allemal klar. „Wir sind auch sehr vorsichtig mit Äußerungen, die das Liebesleben betreffen. Aber soviel kann ich jedenfalls versichern: Obwohl wir alle sehr viel Gelegenheiten hatten, gerade in Amerika … niemand von uns war auch nur in der näheren Umgebung eines Groupies. Ich kann die ganze Angelegenheit sowieso nicht verstehen, denn dieser ,One-Night-Stand‘-Sex war immer schon ein Horror für mich!“
Seit der Ruhm Einzug in Rolos Leben nahm, ist er noch schüchterner, noch nervöser geworden.
„Ich mag die Vorstellung, wieder ein unbedeutender kleiner Wicht zu sein. Es ist furchterregend, wenn ich mir Mut nehmen muß, um in die Stadt zu gehen. Immer öfter fällt mir auf daß Dinge, die ich früher einfach getan habe, heute fiir mich nicht mehr so einfach sind. Und da geht’s um lächerliche Dinge, wie in ein Restaurant in Soho gehen und dort Spaghetti essen. Ich kann damit nicht mehr umgehen, so seltsam das auch klingen mag. Wenn ich nicht meine Baseballkappe oder meine Sonnenbrillen aufsetze, fürcht‘ ich mich. Ehrlich. Ich weiß nicht, ob dies eine temporäre Erscheinung ist, oder ob ich tatsächlich langsam zum Einsiedler werde. Die einzige Freiheit und Ungezwungenheit spüre ich dann, wenn ich auf der Bühne stehe. „
Rolo haßt Revivals, hat aber trotzdem mehr als nur eine Neigung für etwa Janis Joplin und ihre Zeitgenossen der 60er Jahre. „Die Leute damals durften sich wirklich wie junge Hunde aufführen. Wenn Janis Joplin meinte, sie müsse jetzt total spinnen, dann hat sie das auch gemacht. Genauso möchte ich das auch tun, aber ich weiß schon, daß ich ihre Originalität und Qualität nicht habe. Aber ich fühle mich dieser Art des Auftretens einfach mehr verbunden als beispielsweise dem geplanten Theater eines Jim Morrison. „
Alles, was er möchte, ist einfach gesagt: die Leute mit seiner Musik ein wenig aufzupäppeln. Die Woodentops sollen gute Laune machen, sollen anregen. Rolo ist felsenfest davon überzeugt, daß die Menschheit ein bißchen Frohsinn dringend gebrauchen könnte. Und da fällt ihm wieder dieser enthusiastische junge Hund ein. Der will ja auch nichts anderes als Leute zum Lachen bringen, nicht wahr?
Seit zwei Tagen ist er aus Amerika zurück, hat schon wieder neue Songs geschrieben und harret der Dinge, die da kommen werden. Schon bald stehen die Aufnahmen für eine Mini-LP auf dem Plan, die Adrian Sherwood produzieren soll. Ein schneidende Veränderungen musikalischer Natur sind nicht zu erwarten, wenn auch Rolo von den Bläsern des ersten Albums deutlich Abstand gewinnen will. „Ich wollte so was wie Miles Davis! Und bekam Herb Alpen!“
Sein liebster Song auf G1ANT heißt „Love Affair With Every Day Living“. Ein Song über die Unruhen in London, die auch unter dem Fenster seiner kleinen Sozialwohnung wüteten. Die message ist klar, sagt Rolo: „Man muß doch auch mal Spaß haben können in einem Scheiß-Loch wie diesem hier!“
„Siehst du, ich bin wirklich ein enthusiastischer, junger Hund …“