The Wire
Scharfsichtige Sozialanalyse der postindustriellen US-Gesellschaft
Die Zuschauer des amerikanischen Pay-TV-Senders
HBO
goutierten
THE WIRE
nur eingeschränkt, mit rund vier Millionen Zuschauern pro Episode fielen die Einschaltquoten für US-Verhältnisse relativ bescheiden aus. Dafür stieß die Crime-Serie bei Kritikern auf positive Resonanz: Selten überschütteten Feuilletonisten eine TV-Serie mit so viel Lob. Aufgrund der narrativen Komplexität sowie der realistischen Darstellung der sozialen Wirklichkeit in einer heruntergewirtschafteten, „beschissen armen“ Stadt wurden immer wieder Vergleiche mit großen Romanciers wie Dickens, Balzac und Tolstoi gezogen.Die erste Staffel der HBO-Serie, die in den USA zwischen 2002 und 2008 ausgestrahlt wurde, berichtet vom Kampf einer Sondereinheit des Baltimore Police Department gegen einen lokalen Drogenring. Die Polizisten stoßen dabei nicht nur auf gewaltbereite Dealer, sondern auch auf korrupte Kollegen und machtbesessene Politiker. Der Clou: Während der Zuschauer den Cops bei der Arbeit über die Schulter schaut, wird die Story parallel auch aus Sicht der Gangster erzählt. Es gibt keine strahlenden Helden und keine durch und durch fiesen Bösewichte, die Grenzen zwischen Gut und Böse verwischen. Der ehemalige Polizeireporter David Simon – Erfinder, Head-Autor und Executive Producer der Serie – hat akkurat recherchiert und setzt auf Authentizität: „Die Storylines wurden aus dem echten Leben geklaut“, so der 50-Jährige. Es gibt keine Stars und somit auch keine Hauptfiguren, denen allein aufgrund ihrer Popularität nichts passieren könnte, die Charaktere haben sich der Geschichte unterzuordnen.Dem Zuschauer wird also viel zugemutet, doch genau das macht den Reiz der Serie aus. Die Fan-Gemeinde wächst stetig, wie die DVD-Verkäufe in den USA belegen, und nun dürften auch in Deutschland, wo THE WIRE bislang nicht im Free-TV lief, einige Anhänger hinzukommen. Im November erscheint die erste von insgesamt fünf Staffeln auf DVD. Man kann sich in Ruhe, Folge für Folge, in die komplexe Handlung einarbeiten und dabei selbst das Tempo bestimmen. Und wer den Slang nicht versteht, der kann auf Deutsch umschalten.
Renzo Wellinger – 13.12.2010