The Who – Ein Mythos lebt


Inzwischen ist es eine neue Generation, die in Fahrt kommt, wenn die Who ihre Hymne „My Generation“ vom Stapel lassen. Ihr better die before I get old erhielt eine tragische Bestätigung im Tode ihres Drummers Keith Moon. Aber die Who leben weiter. Der Schock sitzt ihnen nicht mehr so tief in den Knochen. Daltrey und Townshend strotzen auf der Bühne geradezu vor Dynamik.

Da haben es die Rest-‚Who‘ doch noch geschafft, den Kopf und Macher Pete Townshend zu einer neuerlichen Tour d’Europe zu überreden. ‚Wir schaffen das schon‘, zwinkerten Townshend-Stimme Roger Daltrey und Ersatz-Schlagzeuger Kenny Jones im Anschluß an die Comeback-Konzerte in Frejus gegenüber Journalisten mit den Augen. Und Pete raunzte damals nur: ‚Das wüßte ich aber!‘ Als dann die ‚Who‘ beim Nürnberger Open Air im September 1979, ein Vierteljahr später also, im großen Rahmen 70.000 Fans zu einem zentralen Großkonzert lockten, da wollte so keiner mehr daran glauben, daß, fünf Jahre nach der letzten Deutschlandtournee, die alten Mod-Recken nochmals zwischen Hamburg und München auftauchen würden. Doch siehe da: Fritz Rau schaffte das kleine Wunder! Zweimal Essen, Zürich, Wien, München und Frankfurt standen auf dem Programm.

Die ersten, schlichten Plakate in Frankfurt wurden wohlwollend aufgenommen, dennoch skeptisch belächelt. Ja, ja die Who kommen. Am 1. April, April, April. Der Mythos lebr! Legende zu Lebzeiten! Nur ob die Jungs ernsthaft noch lebendig sind!?…

„Sind das schon die ‚Who‘?“, die meistgestellte Frage gegen 20.30 Uhr in der Frankfurter Festhalle. Diese Unsicherheit läßt sich leicht auf die miese Akustik im Frankfurter Festhallen Kuppeldach zurückführen. Und erkennen kann man bei solchen Dimensionen (12.000 Besucher – geschätzt) sowieso nichts. Die Amerikaner sind schlimmeres gewohnt, jedenfalls jene, die ihre Heimat und die dortigen Konzertsituation schon kennen. An ihrem gellenden Pfeifen und ihrem ‚Fuck you‘-Rufen gemessen, sind die ‚Who‘ noch nicht auf der Bühne. Die ‚Yachts‘ sind’s. Erfährt man später. So kann man sich wenigstens schon auf den ‚Sound‘ einstellen.

Eine kurze Pause, das Licht geht wieder aus: ohrenbetäubender Lärm. Diesmal aus den Kehlen der Fans. ‚Substitute‘ kein Zweifel, das sind The Who! Daltrey, noch immer kurzgeschoren, verwaschene Jeans, Streifen-T-Shirt. Townshend, ohne Bart, mit neuer Klampfe. Entwistle, betont schick, betont ruhig, zwischendurch immer mal wieder einen Schluck aus seiner Tour de France-Wasserflasche nehmend. Ihm fehlt nur noch der Heimtrainer unter seinem Hintern, auf das er im Sitzen seine Pfunde abschwitzen kann. Kenny Jones trommelt nüchtern und sachlich, wiegewohnt.

In zweiter Position gleich eine neue Nummer. ‚Die wird auf dem nächsten Who-Album drauf sein‘, verrät Daltrey. ‚Rabbit‘ Bundrick taucht hinter seinem Keyboard-Apparat auf: ‚Baba O’Riley‘, weit frischer, aggresiver, härter interpretiert als auf LP. Desgleichen Entwistles ‚My Wife‘, auf WHO’S NEXT eine Nummer ohne Biß…

‚Habt Ihr das gesehen? Er hat sich bewegtV, kommentiert Daltrey Entwistles Schritt zur Mitte der Bühne, zum Solistenmikrophon. Die Rollenverteilung ist noch immer die gleiche wie vor 15 Jahren: Entwistle, der ruhende Pol, Townshend ’spielt‘ die Windmühle, Daltrey versucht noch immer, mit gezielten Mikro-Schleuderwürfen den Fotografen im Graben Angst einzujagen. Über die Jahre verinnerlichte Bewegungsabläufe? Lächerlich, weil sie nicht mehr die Kritik beinhaltet wie in den frühen Tagen. Blödsinn. Diskussionen solcher Art sind müßig!

Die ‚Who‘ spielen ihr Programm vehement wie ehedem. Keine Müdigkeit, keine Abnutzungserscheinungen, zudem Daltrey besser bei Stimme ist als in Nürnberg. Nur die ‚Kinks‘ spielen ihren alten Sound authentischer und identischer. „Die ‚Rolling Stones‘?“, fragt jemand. Die erscheinen weit snobistischer mit High Society-Appeal, Schickeria-bezogen, siehe ‚Miss You’…!

‚Sister Disco‘, ‚Behind Blue Eyes‘, ‚Cut My Hair‘, ‚Who Are You? ‚5:15‘, ‚I Can See For Miles‘ – ein Querschnitt durch 15 Jahre Schaffensperiode erscheint in keinem Moment antiquiert. Geruch von Mottenkugeln kommt nicht auf. Ein scharfer Bläsersatz in ‚5:15‘ und ‚I Can See For Miles‘ bringt zusätzlich Spannung, der ‚Pinball Wizzard‘ und ‚See Me…‘ die Masse Fans zum Rasen. Die ‚Underture‘, ein entfesselt trommelnder Kenny Jones, der ,Summertime Blues‘, ,Won’t Get Fooled Again‘ und ,My Generation‘. Ob Townshend dabei – wie er mal betonte – lachen mußte, das wissen nur die Ordner und Fotografen in der ersten Reihe. Detlef Kinsler