The Train Keeps A‘ Rolling
Am billigsten durch ganz Europa kommt man immer noch mit der Eisenbahn. Denn auch in diesem Jahr gibt es wieder das Inter Rail-Ticket, mit dem junge Leute höchst preiswert von Nordnorwegen bis Südmarokko und von Westfrankreich bis hinein in den Ostblock dampfen können. Voraussetzung ist allerdings, man ist nicht allzu scharf auf gesicherten Urlaubskomfort und sucht stattdessen den Hauch von Abenteuer, der einem bei dieser Art von Reise selbst im Herzen Europas noch in die Nase steigt.
Inter Rail ist ein Angebot der europäischen Eisenbahngesellschaften. Genau gesagt: eine Fahrkarte, mit der man einen Monat lang durch 21 Länder reisen kann – durch ganz Westeuropa, einige Ostblockstaaten und durch Marokko. Einzige Voraussetzung: man darf nicht jünger sein als 12 und nicht älter als 25 (dies übrigens eine wichtige Neuerung: bisher lag die Obergrenze bei 22 Jahren). Kostenpunkt des Inter-Rail-Tickets in diesem Jahr: 360 Mark. Dafür kann man alle ausländischen Eisenbahnlinien ohne weitere Kosten benutzen. Nur Fahrten innerhalb der Bundesrepublik kosten zusätzlich noch die Hälfte des normalen Fahrpreises.
Dieses Angebot tür Bahn-Globetrotter gibt es seit 1971. Seitdem ist der Kreis der Inter-Rail-Anhänger immer größer geworden. Kein Wunder, denn es gibt kaum eine andere Möglichkeit, für so wenig Geld so weit herumzukommen. Anfänger sollten sich jedoch nicht zuviel vornehmen. Burkhard, 22 Jahre alt, Student und schon mehrfach auf Tour, hat da zum Beispiel so seine Erfahrungen: „Ich hatte erst den Plan gehabt, jedes Land zu besuchen, was möglich war, also in einer Ecke Europas anzufangen und von da aus alles zu bereisen. Aber, es stellte sich bereits‘ nach einigen Tagen heraus, daß das illusorisch ist, weil man so die ganze Urlaubszeit praktisch in der Eisenbahn verbringt; weil man effektiv nichts sieht und keine Möglichkeit hat, sich in Ruhe etwas anzugucken oder sich einfach nur zu erholen. „Burkhards zweite Reise sah denn auch anders aus: er machte sich einen ungefähren Plan für seine Route, beschränkte sich auf drei, vier Länder, in denen er gezielt Hauptstädte und Sehenswürdigkeiten besuchte und zwischendurch auch mal ausgiebig Badeferien machte.
Hat man einmal den Entschluß gefaßt, auf Inter-Rail-Tour zu gehen, stellt man sich die Frage: mit wem fahre ich, wie viele Leute machen mit? Ein Tip: je kleiner die Gruppe, desto größer die Möglichkeit, auch einmal andere Leute kennenzulernen. Und das geht auf einer Inter-Rail-Reise erfahrungsgemäß sehr schnell. Oft bilden sich ganz spontan Gruppen von Leuten, die für einige Zeit zusammenbleiben und dann wieder auseinandergehen. Inter-Railer trifft man während der sommerlichen Reisesaison auf allen großen Bahnhöfen Europas. Man erkennt sie leicht an ihren schwergewichtigen Rucksäcken und an der Inter-Rail-Karte in der Hand.
Worüber man sich allerdings im klaren sein sollte: eine Reise zu mehreren kann Probleme mit sich bringen. Inter-Railer Frank etwa kennt das, obwohl seine Gruppe nicht gerade repräsentativ ist – er war nämlich mit drei Mädchen unterwegs: „Bei uns ist es öfter vorgekommen, daß der eine z.B. nach Neapel wollte und der andere nach Florenz. Solche Meinungsverschiedenheiten kann man allerdings austragen, und das kann sogar sehr positiv sein. Wenn man einen Monat lang 24 Stunden am Tag zusammen ist, dann lernt man sich sehr genau kennen.“
Manch einer will solchen Schwierigkeiten, wie sie in Gruppen entstehen können, lieber von vornherein aus dem Weg gehen – und fährt allein los. Allerdings ist das nicht immer ganz ungefährlich, besonders für Mädchen. Nicht selten gibt es Situationen auf so einer Reise, in denen man sich wünscht, man hätte jetzt jemand neben sich. Etwa wenn eine Gruppe Taschendiebe hinter einem her ist, wenn das Gepäck sich plötzlich in Luft aufgelöst hat oder – auch damit muß man rechnen wenn man krank wird (besonders beliebt in südlichen Gefilden: Magen-Darm-Infektion).
Inter-Rail-Urlaub ist immer ein kleines Abenteuer – und das ist wohl auch der Grund, warum manche Eltern solch einem Unternehmen skeptisch gegenüber stehen. Allerdings bleibt zu fragen, ob es überhaupt Lebensräume gibt, in denen absolut jedes Risiko ausgeschlossen ist. Gunter Bäuerle, Bundesbahn-Generalvertreter in Hannover, schätzt die Gefahren einer Inter-Rail-Tour jedenfalls vergleichsweise gering ein: „Gegen Diebstahl kann man sich schützen, indem man seine Wertsachen an sich trägt, wo andere nicht dran können. Was die Reise selbst betrifft, muß man natürlich feststellen, daß Eisenbahnfahren das Sicherste von allem ist. Beim Trampen besteht ja immer die Gefahr, daß der Fahrer, der einen mitnimmt, entweder unvorsichtig Auto fährt oder nicht ganz saubere Absichten hat, gerade bei jungen Mädchen.“
Ein Erholungsurlaub ist die Inter-Rail-Tour natürlich in keinem Fall – vor Überraschungen ist man nie sicher. So muß man sich etwa daran gewöhnen, daß im Süden Europas die Züge oft überfüllt sind und daß man keinen Sitzplatz bekommt. Abenteuerlich bisweilen auch die Übernachtungen: viele Inter-Railer wollen die Ausgaben für Jugendherberge oder Hotel sparen und schlafen lieber auf harten Abteilbänken. Und schließlich: bei den sanitären Anlagen darf man nicht immer mit der Bundesbahn-Elle messen. Gerrit, vierfacher Inter-Railer, ist da allerhand gewohnt: „Ich habe z.B. in Marokko einen Eisenbahnwagen erlebt, der war sowieso nur aus Holz, wie alle älteren Bahnen da. Und das Klo bestand aus einem durch eine Holztür abgetrennten Raum mit einer Glühbirne und einem simplen Loch im Fußboden – und daneben stand eine Konservendose Wasser. Das war die ganze Einrichtung dieser Toilette.“
Noch ein Wort zu den Kosten: wie teuer einen der Inter-Rail-Urlaub zu stehen kommt, hängt natürlich davon ab, wie anspruchsvoll man ist – wie man sich verpflegt und wie man übernachtet. Auf jeden Fall sollte man versuchen, in der Bundesrepublik auf dem kürzesten Weg die nächste Grenze zu erreichen, um die zusätzlichen Kosten für die Inlandsfahrt möglichst gering zu halten. Ferner ist es empfehlenswert, einen gewissen Betrag auch für andere Verkehrsmittel einzuplanen. Manchmal nämlich wird es sinnvoll sein, auf den Bus umzusteigen, vor allem dann, wenn man Gegenden besuchen will, die mit der Bahn nicht zu erreichen sind. Auch sollte man beachten, daß es vielerorts Privatbahnen gibt, die dem Inter-Rail-Verbund nicht angeschlossen sind, so daß hier Zusatzkosten entstehen können. Vor allem in der Schweiz kann einem das passieren. Mit weiteren Ausgaben muß man rechnen, wenn man Fährverbindungen benutzt, etwa nach den britischen Inseln, nach Skandinavien oder Korsika. Hier gibt es jedoch auf das Inter-Rail-Ticket Ermäßigungen zwischen 30 und 50 Prozent.
Wer weitere Details wissen möchte – etwa die genaue Liste der 21 Länder, in denen Inter-Rail gilt -, wird auf jedem deutschen Bahnhof gut bedient: an den Informationsschaltern und Fahrkartenausgaben der Bundesbahn. Näheres wissen außerdem die DER-Reisebüros und andere Bundesbahn-Verkaufsagenturen. Generell gültig ist bei diesem Urlaub indes eine alte Blues-Weisheit: The train keeps a‘ rolling!