The Strokes: Los Angeles, The Gibson Amphitheatre
Die besten Strokes, die es je gab? Die kühlen New Yorker wärmen sich in Kalifornien für Europa vor.
„Mann, ich liebe Südkalifornien. Uns gefällt’s hier echt gut. Eigentlich haben wir keine Lust, abzuhauen.“ Heh? Julian Casablancas, der Inbegriff des New Yorkers, der mehr New York ist als Brooklyn, die Freiheitsstatue und East Village zusammen, bekennt seine Liebe zu jener Gegend, die für Bewohner des Big Apple von jeher seichte Oberflächlichkeit symbolisiert? Das hätte man so auch nicht erwartet.
Fünf Jahre ist es her, daß Julian Casablancas, Albert Hammond, Nick Valensi, Nikolai Fraiture und Fabrizio Morretü mit dem fulminanten Debüt „Is This It“ die Szene aufmischten und nebenbei New Yorker Coolness neu definierten. Zwei weitere Alben, zahlreiche Hits und ausverkaufte Hallen später sind die Strokes an einem Punkt angelangt, wo der Hype sich etwas abgekühlt hat. Zu verdanken ist das vor allem dem jüngsten Album „First Impressions Of Earth“, das sowohl bei Fans als auch bei Rezensenten einen gemischten Eindruck hinterließ. Die Frage ist, was bleibt wenn der Hype, die Exzesse und der Klatsch wegfallen? Eigentlich nur eins: die Musik. Und gerade darum geht es heute Abend. Waren die Strokes in den letzten Jahren eine mitunter überschätzte Band, sind sie jetzt gerade vielleicht etwas unterbewertet.
Die Livedarbietung wartet mit kleinen Überraschungen auf: Dies ist nicht mehr der Casablancas, der vor Monitorboxen kniet, dessen Stimme zerbricht und der zwischen Songs beinahe kollabiert, dies ist nicht der Sänger, der sich hinter Drogenexzessen und der Gitarrensoundmauer von Nick Valensi und Albert Hammond jr. versteckt. Dies hier ist ein neuer Frontmann, seiner Stimme sicher, seines Erfolgs bewußt; ein talentierter Crooner, dessen sonorer Klang den Spagat zwischen den schluderigen Vocals der frühen Songs – ein Markenzeichen der Strokes – und den komplexeren Anforderungen der neuen Tracks leicht vollzieht. Das Mikrofon ist sein Atemgerät, an dem er meist mit beiden Händen hängt.
Drummer Fab Moretti und Bassist Nikolai Fraiture legen eine gewohnt solide Rhythmuslinie hin und Nick Valensi (mit unerhörter 70s-Matte und Muskelshirt) nimmt neuerdings immer öfter den Fuß vom Verzerrer. Das kontemplative „Ask Me Anything“ gibt Casablancas ganz wie auf Platte nur begleitet von Valensi an den Tasten eines weißen Harmoniums zum Besten. Die darin sich wiederholende Zeile „I’ve got nothing to say“ kann entweder als Ego-Kontrollübung oder buchstäblich verstanden werden. Insgesamt aber gibt es heute weniger Gimmicks und mehr Substanz.
Daß die neuen Tracks den Popularitätswettbewerb nicht gewinnen, ist an der Reaktion des Publikums erkennbar. Es sind die Hits der ersten zwei Alben – „Last Nite“, das so sehr an Velvet Undergound gemahnende „The Modern Age“, „Soma“, „Barelv Legal“, „Someday“, „Alone Together“, „Trying Your Luck“, „Reptila“ -, die kollektive Hüpfeinlagen und spontanes Crowd-Surfing auslösen, während „You Only Live“, „Ask Me Anything“ und „Juice Box“ vom aktuellen Album eher mäßig begeistern.
Die Setliste speist sich zum Großteil von „First Impressions Of Earth“ und dem Debutalbum; dazwischen gestreut einige Tracks von „Room On Fire“. Da die Durchschnittslänge eines Strokes-Songs irgendwo bei knapp über drei Minuten liegt, läßt sich in anderthalb Stunden ein Großteil des Bandrepertoires abspielen. So werden kaum gute Lieder ausgelassen und es bleibt sogar Zeit, einer anderen großen New Yorker Band zu huldigen: den Ramones mit dem Cover „Life Is A Gas.“ Diese Strokes sind live auch eins; vielleicht die besten, die es je gab. Und das sage ich nicht nur so.