The Smiths – The Queen Is Dead
Erst war man sich nicht sicher, was kommen würde. Mit „How Soon Is Now?“ hatte sich bei den Smiths das Ende der Betulichkeit angekündigt. Morrissey wirkte kämpferisch, und Johnny Marr spielte keine Klingelgitarre mehr. Mit „The Boy Wich The Thorn In His Side“, der ersten Singleauskopplung, tendierte man in Wort und Ton eher zum klassischen Smiths-Stil. Doch dann das: The Queen Is Dead! In Zeiten, als es britische Popmusiker größtenteils aufgegeben hatten, sich politisch zu betätigen, übermittelt Mozzer den Royals eine giftige Grußadresse, die er so ganz nebenbei mit bis dato nicht für möglich gehaltener Selbstironie versetzt.“ And so I broke into the Palace with a sponge and a rusty spanner, she said: ‚Eh, I know you, you cannot sing.‘ I said: ‚That’s nothing – you should hear me play piano.'“ Marr agiert auch nicht gerade zurückhaltend und dreht richtig auf. Deutlicher hätten sie ihre Entschlossenheit nicht ausdrücken können. Man ahnt, dass hier Popgeschichte geschrieben wird.
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Dass The Queen Is Dead später als geplant im Sommer 1986 erschien, hatte nicht zuletzt mit Meinungsverschiedenheiten zwischen Band und Label zu tun. Den Musikern gefiel es nicht, dass Rough Trade sie einerseits wie eine Melkmaschine behandelte, sie andererseits aber auch auf Indie-Sparflamme halten wollte. Der Konter heißt „Frankly, Mr. Shankly“. In Anlehnung an die Fußballsprache schlüpft Morrissey in die Rolle eines Spielers, der seinen Vertrag brechen will, weil er woanders mehr Geld verdienen kann. Dass er ausgerechnet den langjährigen Erfolgscoach des FC Liverpool, Bill Shankly, als fiktiven Ansprechpartner wählt, der für alle Fans in Manchester ein rotes Tuch ist, gab dem Ganzen eine delikate Note.
Weil der Sänger gerade so schön dabei ist, knöpft er sich auch noch Kritiker vor, die in ihm einen Textplagiator sehen („Cemetry Gates“). Auch die Kirche bekommt ihr Fett weg („Vicar In A Tutu“). The Queen Is Dead ist aber kein reines Protestalbum. Genauso wichtig ist die romantische Seite, die in den Tracks neun und zehn meisterlich zum Ausdruck kommt-an Stellen also, wo die meisten anderen Alben längst nur noch indifferent auslaufen. In „There Is A Light That Never Goes Out“ schlüpft Moz in die vertraute Rolle des Verlierers in der Liebe, der davon träumt, an der Seite einer traumhaften Person zu sterben, um damit letztendlich doch als Gewinner dazustehen. Überraschend ist der Einsatz von synthetischen Streichern. Die Smiths galten ja als Gegenentwurf zu Musikern, die mit elektronischen Instrumenten Erfolge feierten. Hier zeigen Morrissey, Marr und Tontechniker Stephen Street Wege auf, wie Handwerk und moderne Mittel friedlich koexistieren können.
In „Some Girls Are Bigger Than Others“ hört man die Band in ungewöhnlich ausgelassener Stimmung. Urplötzlich blättert die ganze Intensität ab, die man bei den Smiths so oft gespürt hat. Sie macht einem Laissez-faire Platz, das sich beim Sänger in humorvoller Beschwingtheit und beim Gitarristen in feinen Slide-Akkorden äußert. Damit endet ein außergewöhnlich abwechslungsreiches Album, mit dem es der Band gelang, sich endgültig aus der Mauerblümchenecke zu manövrieren. Das war sinnvoll, da der Pop in der Zwischenzeit ähnlich wortgewandte neue Helden gefunden hatte (Paddy McAloon, Lloyd Cole) und sich in der Szene eine Gruppe von Epigonen formierte, die unter dem Kürzel „C 86“ kurzzeitig Bekanntheit erlangte.
Mit The Queen Is Dead änderte sich auch der Blickwinkel auf die Independent-Musikkultur. Die definierte sich vorher als Antithese zum kalkulierten Kurzzeitspektakel der Konzerne. Man gab sich radikal, konfrontativ, zum Teil bewusst hässlich und garantiert unprofessionell. Die Smiths, die hinter den Kulissen längst mit EMI flirteten, sahen das Ganze nicht so dogmatisch. Auch sie waren Autodidakten, auch sie waren von unabhängigem Geist getrieben, aber gleichzeitig waren sie auch eine Band, die sich ständig weiterentwickelte und eine Größe erreichte, die nicht zu den DIY-Stuben der Indiegeneration passte. Es schien kein Ding der Unmöglichkeit mehr zu sein, dass aus unbequemen Leuten Ppstars für die Ewigkeit werden. Und sie sind es geworden. Der Palast wurde nicht abgerissen, die Königin ist immer noch da, Morrissey und Marr auch. Sie sind Helden.