The Scorpions: Eine wilde Ehe vor Gericht
Fast 15 Jahre lang galten die Scorpions und ihr Haus-Produzent Dieter Dierks als unzertrennliches Team. Doch der Schein trog, denn hinter den Kulissen brodelte es. ME/Sounds-Redakteur Andreas Kraatz erfuhr von den kreativen Chaoten die Wahrheit.
Daß der Mann, mit dem sie so lange im Clinch lagen, jetzt auch noch die beleidigte Leberwurst spielt, das will den heftig diskutierenden Rock-Husaren gar nicht schmecken. „Was heißt hier Schlammschleich!“, poltert Rudolf Schenker. Gitarrist und Gründer der Scorpions. unwirsch drauflos. „Er soll lieber mal die Lizenzen rausrücken, die er uns schuldet. Sobald das Geld auf unserem Konto ist, qeben wir auch Ruhe.“
„Kinder, laßt uns doch endlich mal das Thema wechseln“, wirft Gitarrist Matthias Jabs, der Jüngste im Bunde und friedfertiger gestimmt, in die Diskussion ein und erntet dafür prompt barsche Widerrede. „Warum sollen wir mit unserer Meinung hinterm Berg halten, wo wir doch jahrelang immer nur gute Miene zum bösen Spiel machten?“, hält Francis Buchholz. Bassist und Kassenwart der Band, dagegen. Auch dieser Standpunkt bleibt nicht unwidersprochen, und schon ist das Chaos perfekt – es wird schonungslos und hitzig debattiert.
Seit Wochen kreisen alle Gespräche und Interviews immer wieder um dieses Thema. Seit Wochen steht er im Mittelpunkt und dürfte sich darüber vermutlich nicht mal freuen: der Musikverleger Dieter Dierks, der einstige Produzent der Scorpions. Denn das ist der Stand der Dinge: Die Scorpions ziehen persönliche Bilanz und zugleich den Schlußstrich unter eine fast 15 Jahre währende musikalische Ehe, die immer mehr zur Farce verkam.
Da konnten selbst immense internationale Erfolge die Bruchstellen nur noch notdürftig kitten. „Das Verhältnis zwischen Dieter und der Band war zuletzt so angespannt, daß er beleidigt die Studiotür hinter sich zuschlug und uns wie dumme Jungs stehen ließ, wenn auch nur der leiseste Ansatz von Kritik an seiner Arbeit aufkam. Und dann mußten wir wieder eine Woche warten, während sich alle Leute fragten, warum die Scorpions so lange an irgendwelchen blöden Songs rumbasteln. In Wahrheit aber war Dieter Dierks eine Mimose, Beim geringsten Anzeichen von Druck bekam er sofort den Herzkasper und schloß sein Studio.“
Das meint jedenfalls Klaus Meine, sonst eher ein Besonnener unter der Sonne, wenn man ihn auf die jahrelange Zwangsgememschaft zwischen den Scorpions und Dieter Dierks anspricht.
Natürlich spielt Geld, viel Geld sogar, eine gewichtige Rolle in diesem hitzigen Szenario. Um welche konkreten Summen es sich tatsächlich handelt, darüber schweigen sich die Beteiligten vorerst aus. Fest steht jedoch für die Scorpions, daß zumindest der Musikverlag, der für die korrekte und vertragsgemäße Abrechnung der Tantiemen verantwortlich war, mit gezinkten Karten operierte und so den Musikern erhebliche Beträge vorenthielt. Fest steht auch, daß darüber noch die Gerichte entscheiden müssen. Fest steht außerdem, daß vor allem Rudolf Schenker, von Anfang an einer der emsigsten Songwriter, stets gegen die Doppel-Funktion von Dieter Dierks als freier Produzent und Musikverleger wetterte.
Aber macht es sich die Band jetzt nicht allzu leicht, wenn sie den einstigen Freund und Geschäftspartner nun an den Pranger stellt und sogar als „Diktator“ beschimpft? Klaus Meine wehrt ab: „Wir wollen Dieters Anteil an unseren Erfolgen keineswegs schmälern – ganz im Gegenteil. Als wir 1975 einen Vertrag bei ihm unterschrieben, gehörte er zu den ersten, die an uns glaubten, und wir lernten jede Menge von ihm.
Doch spätestens Anfang der 80er Jahre verschoben sich die Gewichte – je größer und populärer die Band vor allem auch in Amerika wurde, desto geringer war sein Einfluß. Was bis dahin im Teamwork noch blendend funktionierte, drohte allmählich an Dieters Ego zu scheitern. Nur in seinem Studio in Stommeln konnte er weiterhin das Zepter schwingen. Da legte er es schließlich geradezu darauf an, perfekte Studiomusiker aus uns zu formen – ausgerechnet aus uns, die wir doch von jeher mit Leib und Seele Live-Musiker sind.“
So wuchs der Spaltpilz, und mit ihm steigerte sich der Grad der Konfrontation. „Nach dem Album BLACKOUT von 1982, das sicher der Höhepunkt unserer Zusammenarbeit war, wurde Musik nur noch mit dem Rechenschieber gemacht. Da war Drill angesagt, und Dieter entpuppte sich als Diktator, der die Stärken jedes einzelnen nicht förderte, sondern bewußt schwächte.“
Von Schwäche war auf LOVE AT FIRST STING (1984), dem weltweit größten Scorpions-Erfolg, allerdings nichts zu spüren. Doch schon vor der Veröffentlichung wurde hinter den Kulissen wieder einmal kräftig um Personen gepokert. Die Köpfe von Bassist Francis Buchholz und Drummer Herman Rarebell sollten rollen, weil Dierks an ihrer Stelle Jimmy Bain und Bob Rondinelli engagieren wollte.
Trotzdem leuchtet nicht ganz ein, warum sich fünf gestandene Musiker nicht gegen ihren Produzenten und Verleger durchsetzen konnten. „Als wir anfingen, konnten wir vom weltweiten Erfolg nur träumen“, versucht Meine seine Erklärung. „Wir hatten kein Management und keine Rechtsanwälte, die sich mit Verträgen im Musikbusiness auskannten. Unser gesamtes Umfeld war total unprofessionell, und als krasse Außenseiter waren wir leider auch naiv genug, um auf falsche Freunde zu hören. Sogar noch Anfang der 80er Jahre, als wir ein amerikanisches Management im Rücken halten, änderte sich in unseren Verträgen nichts Wesentliches. Klar sind wir heute schlauer. Deshalb kann ich jeder jungen Band nur den einen Rat geben: Nehmt euch auf jeden Fall einen Anwalt, noch bevor ihr überhaupt den ersten Song komponiert habt. „Und Klaus Meine ergänzt: „Ist das nicht eine total verrückte Welt?“
CRAZY WORLD heißt denn auch das neue Album der Scorpions, die ihr Selbstvertrauen wiedergewonnen zu haben scheinen. Doch verrückt daran ist nicht einmal so sehr die Anspielung auf vergangene Affären im Titel, sondern eher das Chaos, das auch die Entstehung dieser Produktion begleitete. Diesmal klappte es beispielsweise erst im dritten Anlauf mit dem Cover-Motiv. Anfangs sollte noch, in bester Scorpions-Tradition, eine nackte Frau auf einer Halde von Skorpionen thronen. Dann entschied man sich für ein Porträt der Band von Sebastian Krüger, um schließlich doch einem Stillleben aus der englischen Designer-Zentrale Hipgnosis den Vorzug zu geben. Klaus Meine versucht zu erklären: „Das Motiv mit der Frau haben wir verworfen, weil wir von der ganzen Sex-Arie die Schnauze gestrichen voll hatten. Denn dieses Album soll in jeder Beziehung ein neues Kapitel in unserer Karriere einteilen. Der Entwurf von Krüger ist deshalb bis heute unser Favorit. Doch damit bissen wir bei unserem amerikanischen Management und der Plattenfirma voll auf Granit. Letztlich blieb uns deshalb nur der Kompromiß.“
Kommen die Scorpions nun nach der Trennung von Dieter Dierks wieder vom Regen in die Traufe? Es sieht nicht so aus. Zumindest ein Teil ihrer Welt ist nach wie vor noch ziemlich crazy. Doch damit können sie leben.