The Prodigy: Liam Howlett
Mit den Dirtchamber Sessions Volume 1 präsentiert Liam Howlett, Mastermind von The Prodigy, einen sehr persönlichen Abriß seiner musikalischen Geschichte.
Von The Prodigy war länger nichts zu vernehmen. Und jetzt meldest Du Dich mit einem eigenen Mix-Album zurück, den „Dirtchamber Sessions Volume 1“. Mit Prodigys „Fat Of The Land“ haben sie nicht allzu viel zu tun. Was hat das zu bedeuten?
„Mary Anne Hobbes von BBC 1 hatte mich gefragt, ob ich Lust hätte, für ihre Sendung einen Beitrag als DJ zu leisten. Mixmaster Mike und die Beastie Boys waren auch schon bei ihr zu Gast gewesen. Das reizte, denn früher habe ich ja dauernd als DJ gearbeitet. Und weil ich nicht die ganze Zeit im Studio verbringe, habe ich zugesagt. Ich hab’s genossen.“
Momentan hätte man nach dem aktuellen Trend eher ein Remix-Album von The Prodigy erwartet. Du gehst aber in eine völlig andere Richtung.
„Ich wollte den typischen Mix-Alben etwas entgegensetzen. Sollte jemand das Album kaufen und etwa einen House-Track erwarten wie zum Beispiel von Public Enemy, der findet so was bei mir gerade mal für zehn Sekunden. Mein Album ist mehr im traditionellen HipHop-Stil gehalten – im Mix werden Teile zerhackt, es geht alles aufregend schnell, und es passiert viel in einem einzigen Moment.“
Vieles klingt, als wäre Grandmaster Flash persönlich zugange.
„Bevor ich begonnen habe, Stücke zu schreiben, war ich tatsächlich Teil der B-Boy-Culture. Ich habe Tracks zusammengemixt und die ganzen Scratch-Techniken erlernt. Darum geht es auch auf den „Dirtchamber Sessions“. Es ist eben kein Dance-Mix, sondern vielmehr ein Old-School-Album. Ein Prodigy-Fan kann unheimlich von den musikalischen Einflüssen heraushören, die mich inspiriert haben.“
Dein Leben als aktiver DJ liegt ja nun schon einige Zeit zurück. Beherrschst Du denn auch heute noch Techniken wie Scratchen oder Faden?
„Sicher, eigentlich habe ich nie wirklich mit dem DJing aufgehört. Auch während ich mit The Prodigy beschäftigt war, habe ich nebenher DJ-Sets absolviert. Ich lege aber nicht in großen Hallen auf. Statt dessen arbeite ich lieber in kleinen Clubs, das ist echter, familiärer. Es gibt in London noch viele Clubs, die von Breakern besucht werden. Da gehe ich auch hin. Das ist wie eine Zeitreise – einfach toll.“
Vor The Prodigy warst Du DJ in einem Projekt namens Cut To Kill. Warum hast Du dort nicht einfach weitergemacht?
„Ich war von 1987 bis etwa 1990 in dieser HipHop-Band. Wir waren in der Szene mit DJs und MCs unterwegs, sind nach London gefahren und haben in Covent Garden den Breakdancern zugeschaut. Aber als ich 1990 in Dance-Clubs ging, war ich völlig weggeblasen von den Platten, die ich dort hörte. Die HipHop-Szene hatte sich damals verändert. Die Beats wurden unheimlich langsam, die Breaker hörten auf zu breaken. Aber in den Clubs gab es plötzlich Tracks, die noch mit HipHop-Beats funktionierten. Das waren Nummern, denen die DJs durch höheres Tempo mehr Energie gegeben hatten.“
BigBeat und Old-School-HipHop – geht das denn heute überhaupt noch zusammen?
„BigBeat haben mittlerweile schon sehr viele Leute drauf. Als ich gestern nacht aufgelegt habe, standen viele Old-School-Sachen auf meinem Programm. Ein anderer Typ setzte mehr auf BigBeat – das hat sich streckenweise ziemlich ähnlich angehört. Die Tracks hatten das gleiche Tempo und die gleichen Beats. War interessant, das zu hören, denn der Style hat sich nicht wirklich verändert. Für mich spielen diese Jungs eben Old-School-Beats mit Acid-Noises. Da gibt’s anscheinend eine Generation, die von HipHop ziemlich wenig weiß. Diese Typen hören nun BigBeat und denken,das sei neu. Dabei gab’s das alles schon.“
Das letzte Prodigy-Album liegt einige Zeit zurück. Gibt es die „Dirtchamber Sessions“ auch deshalb, weil Du Dich neu orientieren wolltest?
„Einige Leute werden das sicher so sehen. Aber DJing ist ein großer Teil meines Lebens und war es immer schon. Wenn’s um The Prodigy geht, werde ich immer zur Performance gefragt. Mit Platten zu arbeiten, ist aber ein großer Teil meines Lebens, über den ich bisher fast nie gesprochen habe. Und zu den „Dirtchamber Sessions“: Klar, daß sie den Sound von The Prodigy beeinflussen werden.“
The Prodigy klingen so, als wollten sie den Punk neu erfinden. Interessiert Dich das noch?
„Ja, das versuche ich immer noch. Bands wie Atari Teenage Riot nehmen Rock und Elektronik her und versuchen, elektronischen Punk zu produzieren. Dabei sind sie so laut und hart sind wie nur möglich. Ich respektiere das. Aber mir gehen dabei die leichten, organischen Grooves ab, das Schwarze, der Funk. Das Gefühl von Punkrock ist in meinem Kopf verankert, aber das bedeutet nicht, daß jedes Stück, das ich schreibe, verzerrt klingen muß. Es bedeutet nicht, daß wir versuchen zu imitieren, was in den 7oern passiert ist. Aber unsere Vocals hat das sicher beeinflußt, auch wenn ich momentan in diesem HipHop-Ding stecke und meine Platte mehr funkig als punkig klingt.“
Die Welt wartet bereits auf ein neues Studioalbum von The Prodigy und will euch auch wieder live sehen. Wann gehen diese Wünsche in Erfüllung?
„Die dazu nötigen Vorarbeiten laufen erst jetzt wieder an, denn nach dem letzten Prodigy-Album wollte ich ein Jahr lang überhaupt nichts mehr machen. Aber jetzt suche ich mir ein Studio, um dort mit diversen Sounds zu experimentieren. Im Jahr 2000 soll dann das neue Album erscheinen. Ich muß immer viele Sounds ausprobieren, bevor neue Tracks entstehen. Ich glaube, die Arbeit an den „Dirtchamber Sessions“ war diesbezüglich sehr hilfreich. Es ist inspirierend,sich hinzusetzen und nach und nach 100 Alben anzuhören. Das ist sehr nützlich beim Songwriting.“
Die „Dirtchamber Sessions“ klingen weniger düster und dämonisch als „The Fat Of The Land“. Was genau bedeutet das für Prodigys kommende Platte?
„Ich glaube, sie wird sich deutlich von der letzten unterscheiden. Von „Music For The Jilted Generation“ zu „The Fat Of The Land“ hat sich der Sound ja auch verändert. Klar, Prodigys nächste Platte wird hart werden, aber nicht dämonisch. Wir wollen als Band Fortschritte machen. Sicher, das Resultat wird immer Dance-Music sein, aber eben kein DJ-Album, das schon nach einem Jahr von den Styles und vom Sound her veraltet wäre. Ich will, daß die Leute sich meine Musik auch nach einigen Jahren noch anhören. So was hinzukriegen, ist natürlich nicht ganz einfach. Wie auch immer – die kommende Prodigy-Platte soll in musikalisches Neuland vorstoßen.“