The Man Who Wasn’t There


Er mag keine Interviews, gibt aber trotzdem welche. Er wäre am liebsten gar nicht da, ist es aber doch. Ein Gespräch mit Nick Cave ohne Gott, ohne Jesus und mit nur ein bisschen Tod.

Das Milestone Hotel im Londoner Stadtteil Kensington, ein paar Gehminuten von der Royal Albert Hall entfernt. Die Pagen in Livree und mit Zylinder auf dem Kopf. In der Lounge wird Tee serviert. Es ist düster. „Nocturama“ heißt Nick Caves neues Album. Hier muss „Nocturama“ sein. Dunkle Vorhänge, schwere Sofas, holzvertäfelte Wände. Regale voller antiquarischer Bücher, natürlich in Leder gebunden. Zeitreise ins neunzehnte Jahrhundert. Ganz nach dem Geschmack von Nick Cave, dem nicht unbedingt eine so feste Bindung ans Heute nachgesagt wird. Hier empfängt der 45-Jährige seine Interviewpartner in einer Suite, die mit ihren Stilmöbeln, ihren Tischdeckchen, ihren Blumenarrangements, den historischen Drucken an der Wand nach Königin Victoria aussieht. Nicht nach Tony Blair. Im dunklen Anzug sitzt Cave auf einem Sofa, raucht selbst gedrehte Zigaretten, so dünn wie Zahnstocher. So dünn wie er selber, kein überflüssiges Gramm am Körper. Erwirkt seltsam abwesend zu Beginn, müde, ausgelaugt, betäubt, wird aber im Lauf der Zeit zu einem hellwachen Gesprächspartner, Herzlichen Glückwunsch, Mr. Cave.

Wozu?

Heute ist Ihr Namenstag.

Heute ist Nikolaustag? Tatsächlich. Dann sollte ich wohl ein bisschen feiern.

Mögen Sie Interviews oder ist das nur eine lästige Pflicht?

Um ehrlich zu sein, ich finde Interviews schrecklich. Aber manchmal werde ich dann doch von den Fragen positiv überrascht. Ich mag es nämlich nicht, über die Vergangenheit zu reden. Das finde ich kontraproduktiv. Ich habe grundsätzlich keine Meinung zu den Dingen. Und meine eigene Meinung langweilt mich.

Sie machen Witze.

Nein, ich mache keine Witze. Standpunkte und Ansichten langweilen mich ganz allgemein, und im Besonderen meine eigenen. Was ich musikalisch mache, läuft sehr intuitiv ab. Ich habe keinen Masterplan in der Tasche. Ich habe keine Vision. Ich gehe einfach in mein Büio und versuche Songs zu schreiben, drücke sie irgendwie raus, nehme sie auf und vergesse sie dann. Und dann, drei Monate später, muss ich hier sitzen und erklären, um was es in meinen Songs geht. Um ehrlich zu sein: ich weiß es nicht.

Es bedeutet für Sie also auch einen Blick in die Vergangenheit, wenn wir über das neue Album reden?

Natürlich. Ich habe die Songs nicht mehr gehört, seit ich sie gemixt habe. Ich höre mir meine Musik auch nicht an. Wenn die Platte aufgenommen ist, dann betrachte ich sie nicht einmal mehr als meine eigene.

Dann gehört sie jedem.

Ja, dann gehört sie dir und allen Leuten, die sie haben wollen.

„Nocturama“ wurde in nur einer Woche aufgenommen und von Nick Lounay produziert, der schon für The Birthday Party gearbeitet hat. Ist das eine Art Wiederbelebung des Punk-Spirit?

Nein. Nick Launay war dabei, weil ich diesmal einen Produzenten haben wollte. Normalerweise gibt es bei den Bad Seeds keinen Produzenten. Ich hatte aber das Gefühl, dass wir nicht vorankommen würden, wenn wir das Album auch noch selber produzieren müssten. Ich wollte jemanden haben, dem ich vertrauen konnte und der unsere Musik als Außenstehender hört.

Gitarrist Mick Harvey schlug Nick als Produzenten vor – eine wirklich gute Wahl. Launay arbeitet für gewöhnlich in L.A. mit jungen Punk-Bands. Über unsere Musik hat er manchmal gesagt: „Das klingt aber alt und müde. Und wir haben ihm dann ganz höflich erklärt, dass wir alt und müde sind. Und ganz langsam fing er an, unsere Musik zu mögen.

Wenn man das neue Album nur ein-, zweimal hört, bleiben die punky Uptempo-Songs „Bring It On“, „Dead Man On My Bed“ und „Babe I’m On Fire“ im Gedächtnis. Sie lassen die gesamte Platte rockig erscheinen. Je öfter man sie hört, desto deutlicher wird aber, dass es wieder ein klassischer Nick Cave geworden ist.

Es gibt ein paar schreckliche Dinge, die man tun muss, nachdem man eine Platte aufgenommen hat. Zum Beispiel einen verdammten Titel dafür finden. Ich hasse das. Und dann muss man sich Gedanken über die Reihenfolge der Songs machen. Denn die ist unheimlich wichtig dafür, wie die Platte später wahrgenommen wird. Wir wollten am Anfang ein paar ruhige Stücke haben, weil „Nocturama“ ein meditatives Album werden sollte. Und das ist es meiner Meinung nach auch geworden. Es ist lustig, dass mir in Interviews ständig gesagt wird: „Es ist toll, dass du wieder ein Rock-Album gemacht hast.“ „Nocturama“ ist kein Rock-Album.

Die ersten Songs Ihrer Alben sind immer so etwas wie Schlüsseltracks, die die Richtung vorgeben. Der erste Song auf „Nocturama“ heißt „Wonderful Life“. Ist das Ihre „Wonderful Life“-Platte?

„It’s a wonderful life if you can find it“, heißt es im Text. Wir haben diesen Song an den Anfang gesetzt, weil wir die Leute willkommen heißen wollten in der wunderbaren Welt von Nick Cave & The Bad Seeds. Was macht dos Leben für Sie „wonderful?“ Meine Frau, meine Kinder, meine Arbeit.

In dieser Reihenfolge?

Ich wusste, dass diese Gegenfrage kommen würde. (lacht) Nein, nicht unbedingt in dieser Reihenfolge. Eigentlich kommt die Arbeit zuerst. Wenn ich keine Arbeit habe, bin ich unfähig, ein anständiger Vater und ein anständiger Ehemann zu sein.

Sträuben Sie sich gegen Interpretationen Ihrer Texte?

Nein. Es ist allein schon eine gute Sache, wenn irgendjemand versucht, überhaupt Texte zu interpretieren. Für mich sind die Lyrics und die Musik aber nicht der wichtigste Faktor. Der Song ist nur ein Medium, ein Tor zu den Sternen, ein Portal, um an einen Ort zu gelangen. Was die Texte bedeuten und wie die Musik klingt, ist eher zweitrangig.

Wie sehen Sie sich? Als Lyriker, Romancier, Sänger, Musiker?

Was ich bei der Einreise in ein anderes Land auf das Formular schreibe?

Nein, die Frage kommt später noch.

Songwriter. Das liegt aber daran, weil ich das Wort „Musiker“ nicht buchstabieren kann. Aber im Ernst: Manchmal fühle ich mich wie ein Geschichtenerzähler. Ich habe mich nie als Musiker gefühlt, auch wenn ich mit der Zeit immer mehr zu einem werde. Das liegt hauptsächlich daran, dass ich mein Spiel auf dem Klavier in den letzten Jahren sehr verbessert habe. Ich fühle mich als Teil der Band, als einer, der zusammen mit ihr Musik macht, ich bin nicht nur der Clown, der am Bühnenrand steht.

Sogar Blixa Bargeld hat ja mittlerweile Gitarrespielen gelernt.

Na ja, das ist vielleicht ein bisschen übertrieben. (lacht) Oh, Scheiße, das Interview ist ja für ein deutsches Magazin bestimmt. Nein, Blixa, ich mache nur Witze. Er ist ein hervorragender Gitarrist. Erbringt Töne aus seiner Gitarre hervor, die ich noch von keinem anderen gehört habe. Weil meine Songs oftmals einen narrativen Charakter haben, spielt er Gitarre in einer expressionistischen Art. Er ist in der Lage, fast „wörtlich“ das zu spielen, was der Text ausdrückt.

Haben Sie manchmal das Gefühl, dass Sie Ihr Talent als Texter an ein so profanes Medium wie die Popmusik verschwenden?

Niemals, nein. Alle Arten von Musik, und ganz besonders Rockmusik, verfügen über eine Kraft, die anderen Kunstformen nicht eigen ist.

Aber es gibt doch so viel schlechte Rockmusik.

Hey, es gibt so viel Schlechtes in jedem Bereich. So viel schlechte Kunst, so viel verdammt schlechte Literatur.

Ist Songschreiben nicht ein sehr einsamer Job?

Ich glaube nicht, dass es einsamer als Malen ist. Der kreative Akt wird meistens in Einsamkeit vollzogen. Andere Leute würden dabei nur stören. Es wäre irgendwie würdelos. Ich mag an meinem Job, dass ich eine Zeit lang isoliert verbringe, dann mit der Band zusammenkomme und wir gemeinsam die Songs mit Leben erfüllen. Das ist aufregend. So eine Erfahrung macht ein Maler nicht. Er verbringt wochenlang vor der Leinwand, gibt dann eine Ausstellung, die sich die Leute drei Minuten lang ansehen, und mit ein bisschen Glück verkauft er ein paar Gemälde, die er dann nie mehr sieht. Ich wollte früher mal Maler werden, aber ich bin froh, dass daraus nichts geworden ist. Trotzdem: Einsamkeit ist eine gute Sache.

Wie viel Nick Cave steckt in Ihren Songs?

Sehr viel. Meine Songs sind Zustandsbeschreibungen meiner Person zum jeweiligen Zeitpunkt. Ich kann keine Dinge machen, die nicht wahrhaftig sind. Ich kann nicht ans Songschreiben gehen mit dem festen Plan, eine Platte über dieses oder jenes Thema zu machen. So wie David Bowie. Offensichtlich beschließt er: ‚Dieses Mal mache ich ein White- Soul-Album‘, dann schreibt er die passenden Texte und die passende Musik. Auf diese Art hat er eine Menge fantastischer Platten gemacht. Ich dagegen kann so nicht arbeiten. Natürlich gehe ich auch mit bestimmten Vorsätzen ans Songschreiben. Diesmal wollte ich zum Beispiel eine Platte machen, auf der das Wort „ich“ nicht vorkommen und alle Songs in Dur sein sollten. Das hat dann genau einen halben Song lang geklappt (lacht), und schon war ich wieder bei A-Moll.

In England wird jede Woche eine neue Band zu den Rettern des Rock’n’Roll erklärt. Sehen Sie irgendeinen guten Songwriter unter ihnen?

Ich wüsste nicht, wer das sein soll. Und wenn du annimmst, dass ich aktuelle Musik höre, dann täuschst du dich.

Wer ist der größte Songwriter?

Bob Dylan.

Stört es Sie, dass Sie immer mit ihm verglichen werden?

Machst du Witze? (lacht) Nein, ich würde lieber mit Robbie Williams verglichen werden.

Was unterscheidet gute von schlechter Musik?

Die Fähigkeit des Musikers, etwas wahrhaft Einmaliges zu erschaffen. Oft ist damit eine Rebellion gegen den Kontext verbunden, in den der jeweilige Musiker eingebunden ist.

Wie war das mit „I’m So Lonesome I Could Cry „, Ihrem Duett mit Johnny Cash? Waren Sie gemeinsam im Studio ?

Ja, natürlich …

… das war nicht diese Tape-Verschickungs-Nummer?

Nein, wir haben das auf die ganz altmodische Art gemacht. Wir saßen im selben Zimmer und haben den Song zusammen gesungen.

Und wie war das?

Das war sehr seltsam! Ich war damals gerade in Los Angeles mit den Bad Seeds. Mein Telefon klingelt. Es ist Rick Rubin:

„Magst du morgen vorbeikommen und einen Song mit Johnny Cash singen?“ Ich frage: „Äh, wie bitte?“ und will wissen, was ich mit Cash singen singen soll. Rubin meint: „Egal, irgendwas, was dir gefällt.“ Danach gehe ich zu meinem Violinisten Warren Ellis ins Zimmer. Er liegt in Unterhosen auf dem Bett und hört gerade „I’m So Lonesome I Could Cry“ von Hank Williams. Ich erzähle ihm von dem Anruf und frage ihn, was ich mit Cash zusammen singen soll. Und er meint nur: „Sing den Song, der gerade läuft.“ Johnny Cash ist der Coolste von allen.

Ich habe noch nie eine schlechte Kritik über ein Nick-Cave-Album gelesen. Welches würde eine verdienen?

(denkt lange nach) Die Frage ist unfair! (lacht) Irgendwie bin ich auf alle stolz. Das Letzte, was ich tun würde, wäre, die Platten anzuhören. Aber ich bin stolz darauf, dass ich eine Menge gemacht habe, dass es mich immer noch gibt und dass ich immer noch Platten aufnehme, die genauso gut, wenn nicht sogar besser als die vorangegangenen sind.

Glauben Sie, dass Sie erwachsen sind?

Ich weiß nicht genau, was erwachsen bedeuten soll. Meinst du Zufriedenheit und Weisheit? Dann bin ich mir nicht sicher, ob ich diesen Status schon erreicht habe.

Und wollen Sie ihn erreichen?

Dass alle Qual und alles Leid verschwinden? Dass ich lachend bei meinen Kindern sitze? Ja, das will ich.

Sind Sie ein altmodischer Mensch?

Ich glaube, ich bin von Grund auf konservativ, manchmal reaktionär, allem Fortschritt gegenüber misstrauisch. Ich bin ein Romantiker. Die ärgerlichste Eigenschaft von Romantikern ist die, dass sie sich ständig nach der Vergangenheit sehnen, nach einer Zeit, in der angeblich alles besser war – was natürlich nicht stimmt.

Sie haben öfters Ihre Kinder angesprochen. Glauben Sie, dass Sie ein guter Vater sind?

Ich weiß nicht, was ein guter Vater sein soll. Ich versuche mich über den Tag zu retten und meine Kinder nicht zu schlagen. (lacht)

Viele Menschen sehen die Welt mit gänzlich anderen Augen nach der Geburt ihres ersten Kindes. Wie war das bei Ihnen?

Sicherlich stellen Kinder eine Bereicherung des Lebens dar, aber sie bringen dich gleichzeitig zur Raserei, weil sie halt immer da sind, vor allem die Kleinen. Besonders bei meinen Zwillingen kann ich mir den Luxus nicht leisten zu leiden, traurig oder glücklich zu sein. Ich wache am Morgen auf, sie sind da, und ich muss mein Bestes tun. Manchmal ist es aufregend, und dann ist es wieder langweilig. Aber ich liebe diese Kinder.

Sind Sie abergläubisch?

Oh ja, wenn ich zum Beispiel auf dem Weg zur Bühne bin und jemand von den Beleuchtern wünscht mir „Viel Glück“ oder sagt „Zeig’s ihnen“, dann ist das Konzert für mich schon gelaufen, bevor es begonnen hat. Deshalb geht mein Manager immer voraus und sagt jedem, der rumsteht, dass er mir bitte, bitte kein Glück wünschen soll.

Was ist Ihre am meisten unterschätzte Eigenschaft?

Ich weiß nicht genau, wie die Leute mich einschätzen. Aber sicher fällt der Humor bei mir in die Kategorie unterschätzter Eigenschaften. Durch fast alle meine Platten zieht sich der Humor als übergeordnetes Thema. Man könnte eine Doppel-CD mit dem Titel „The Comic Greats Of Nick Cave“ zusammenstellen. Was man nicht unbedingt von jedem Musiker behaupten kann.

Was wäre da zu hören?

Zum Beispiel das komplette „Murder Ballads“-Album. Oder „Dead Man In My Bed“ und „Babe I’m On Fire“ von „Nocturama“. Es gibt nicht viele Musiker, die sich bewusst mit Komik auseinander setzen. Naja, Robbie Williams schon.

Ja, aber der ist doch nicht lustig! (lacht) Humor ist ein ernsthaftes Geschäft.

Wenn Sie einmal tot sind, wie möchten Sie der Welt in Erinnerung bleiben?

Als ein großer Komiker, als der lustigste Tote der Welt.

www.nick-cave.com