The Kinks
Sie zählen zu den Bands der ersten Stunde, zu den wenigen von damals, die heute noch aktiv sind. Hitsingles schüttelten sie zeitweise aus dem Ärmel, ihre Texte gehören zu den besten, welche die Rockmusik kennt und vor allem haben sie Raymond Douglas Davies in ihren Reihen. Trotzdem will heutzutage kaum jemand von den Kinks noch etwas wissen. Liegt dies an den Kinks selbst, an ihrer Musik oder an den Fans? Sehr wahrscheinlich am letzteren!
Von den Ravens zu den Kinks
Billiger ging s nimmer, was die Kinks in ihrer Anfangszeit offerierten jedenfalls mußten jedem seriösen Musiker dabei die Haare zu Berge stehen. Drei Töne, G – F – Bb, galten als Grundausstattung jedes Kinks-Songs, immer neu addiert und wenn’s hochkam, ein wenig variiert. Doch hier zeigte sich besonders deutlich, warum Rock ebenso wenig wie Jazz mit ,seriösen‘ Maßstaben meßbar ist. Gewiß konnte man jedem eine Gitarre in die Hand drücken, ihm die drei Töne erklären und schon wurde zum Beispiel „You Really Got Me“ daraus, aber das klang dann doch irgendwie anders als bei den Kinks. Und außerdem besaßen die vier Londoner den Vorteil, daß sie ihre Minimal-Songs in Rillen gepreßt bekamen und zum Teil dann auch Hunderttausende von Platten verkauften. Bei den Kinks in ihrer Anfangszeit wurde jedenfalls aus jeder Komposition eine knallharte Rocknummer, mitreißend und alles wegspülend, was sich da Animals, Beatles, Manfred Mann oder Rolling Stones nannte (die Who mit ihren Riffsongs wie „I Cant’t Explain“ muß man hierbei wohl ausnehmen). Wenn heutzutage, sagen wir bei einer Fete, jemand so einen richtig fetzenden Oldie verlangt – was wäre da geeigneter als etwa „You Really Got Me“ oder „All Day And All Of The Night“?
Entsprechend klang es damals in den Radios, wenn beispielsweise die sonntägliche BFBS-Top Twenty ablief. Natürlich gab’s dabei auch weichere Songs wie „Everyone’s Gone To The Moon“ von Jonathan King (dem heutigen Boß von UK Records) oder „Concrete And Clay“ von der Unit 4 Plus 2, aber meistens ertönten kreischende Jünglingsstimmen, denn die Zeiten waren prallvoll mit neuen Talenten. Die Kinks fielen dabei auf, weil sie noch härter und noch lauter als alle anderen spielten und allenfalls die Who (die nu‘ wieder) oder die Yardbirds live im Londoner Marquee-Club dabei noch mithalten konnten. Nebenbei merkte man noch, daß die Kinks bei Live-Auftritten unter aller Sau spielten, und es geht die Sage, daß es einigen Mitgliedern der Band tatsächlich Schwierigkeiten bereitete, sehr viel mehr als die drei Töne zu bringen.
Die Gruppe bestand damals aus dem Sänger/Gitarristen Ray Davies, geboren am 21.6.44, dessen Bruder Dave Davies, der ebenfalls Gitarre zupfte und am 3.2.47 geboren wurde, dazu noch Baßmann Pete Quaife, 3.12.43, und Schlagzeuger Mick Avory, 15.12.44. Das Quartett war drei Jahre lang als „The Ravens“ im Londoner Stadtteil Muswell Hill in Bars und Pubs aufgetreten, ehe es sich am Neujahrstag 1964 in „The Kinks“ umtaufte und endgültig ins Profilager wechselte. Aus jener Zeit stammen zwei Singles, „Long Tall Sally“ und „You Do Something To Me“, die jedoch in Stückzahlen unter Fünfhundert verkauft wurden.
Obwohl die Band unter schlechtem Management litt, trat sie von Anfang an mit unverwechselbarem Image auf – eine absolute Notwendigkeit auf dem Wege zu größerer Popularität. Meist in purpurrote Jagdanzüge gekleidet, die bis zu den Knien hingen und mit betont wirren Haaren (Dave Davies trug damals bereits Mittelscheitel) mimten sie die großen Außenseiter, wilde Burschen, deren man nie recht geheuer wurde. Bald kreiste die Geschichte, einer der Kinks hätte mal wegen Vergewaltigung einer Dame im Knast gesessen (Experten tippten auf Dave Davies, weil der am wildesten aussah), aber diese Story war natürlich völlig aus der Luft gegriffen.
Ganz im Gegenteil waren die Kinks eine recht straff geführte Band, die von Beginn an Ray Davies als unumschränktes Oberhaupt anerkannte, zumal dieser die meisten Songs schrieb. Ray war Student an der Hornsey Art School gewesen, wollte zeitweise Theaterregisseur werden, bis er schließlich die Behandlung von Gitarrensaiten dem Studium von Drehbüchern vorzog. Übrigens besuchte auch Bruder Dave eine Zeit lang eine Kunstakademie. Wie gesagt, wurde „You Really Got Me“ der erste Hit der Kinks, beinahe weltweit, und wie noch nicht gesagt, geriet diese Scheibe zum besten, eingängigsten und unerreichten Riff-Song des gesamten Früh-Rock – außer „Gloria“ von den Them. Obgleich die bekannteren Kinks-Songs stets aus der Feder von Ray Davies stammten und ihm lediglich sein Bruder dabei ab und zu zur Hand ging, orientierte sich das Quartett merklich an Vorbildern aus dem amerikanischen Rhythm’n Blues. Beispiele hierfür mögen Stücke wie „Dancing In The Street“ von Willie Stevenson/Marvin Gaye und „Cadillac“ von Ellas McDaniel alias Bo Diddley sein, dazu Chuck Berry-Titel wie „Beautiful Delilah“, „Too Much Monkee Business“ und „Louie Louie“. Insgesamt klangen die beiden ersten Kinks-Alben „Kinks“ und „Kinda Kinks“ sehr archaisch, durchgehend simpel und echt rauh und gemein was die Gruppe natürlich erst recht interessant machte.
Dead End Street
Doch trotz der rüden Töne schaffte Ray Davies mit seinen Kompositionen stets eingängige Hitmelodien, die mit der Zeit auch in ruhigeren Sphären schwebten. Nach „All Day And All Of The Night“ kam das sanftere „Tired Of Waiting For You“ (zur selben Zeit standen die Seekers mit dem milden „ITl Never Find Another You“ an der Spitze in England), es folgten „Till The End Of The Day“, „Dedicated Follower Of Fashion , „Sunny Afternoon“, „Set Me Free‘ und „See My Friends“, um nur einige zu nennen. Im Laufe der Zeit hatte sich Ray Davies vom anspruchslosen Texter zum scharfsinnigen Beobachter scheinbar alltäglicher Zustände entwickelt, wie auch die übrige Band musikalisch an sich gearbeitet hatte und längst mehr als die eingangs erwähnten drei Töne beherrschte. Auf dem Album „Kinks Kontroversy“ betrieb die Gruppe Ahnenforschung, indem sie mit dem „Milk Cow Blues“ eine alte Komposition des fast vergessenen Sleepy John Estes ausgrub. Und dann die melancholischen, bisweilen satirischen Ausflüge des Ray Davies in typisch britische Begebenheiten: „Dedicated Follower Of Fashion“ war der perfekte Spott an alle modesüchtigen Mods, die die Carnaby Street oder Region Street nach neuen Sächelchen absuchten und sich dabei wie flatternde Schmetterlinge benahmen (in „Dandy“ wurde dieses Thema erneut angesprochen); „Sunny Afternoon“ gab Einblick in einen lahmen Nachmittag, an dem ein junger Mann sinniert, wieso ihm seine Freundin abgehauen und zu Mama und Papa gezogen ist, wo
sie auch noch Lügengeschichten von Trunkenheit und Grausamkeiten erzählt – doch den jungen Mann ficht das nicht an, er trinkt weiter sein eiskaltes Bier; im „Well Respected Man“ machte Ray sich erstmals lustig über den graugekleideten Middle Class-Bürger (übrigens die perfekte Parallele zu der Beatles‘ „Nowhere Man“), der taglich mit dem gleichen Zug um 17.30 Uhr nach Hause kommt, seiner Mutter vertraut, weil die eben alles besser weiß und heimlich dem hübschen Mädchen von nebenan nachschielt; in „Dead End Street“ gab sich Ray sogar sozialkritisch:
There’s a crack up in the ceiling
And the kitchen sink is leaking
Out of work and got no money…
What are we living for
Two rooms apartment on the second floor
No money coming in…
We are strictly second class
And we don’t understand:
Why we should be in Dead End Street
People are living in Dead End Street
I’m gonna die in Dead End Street
Der wohl seit jeher konservative Musiker begann zu resignieren. Persönlich bereits damals duch die mitunter dunklen Machenschaften der Musikbranche betroffen, hatte Ray erkannt, welch große Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit einer Gesellschaft wie der englischen bestand. Einerseits hieß es, jeder könne seinen Weg machen, wenn er nur genügend arbeitete und sich einsetzte, zum anderen bestand (und besteht) gerade die englische Sozialstruktur auf strenger Klasseneinteilung, der Druchbruch ,nach oben‘ war weitgehend versperrt, die Klassen grenzten sich daher stark voneinander ab und wer „second class“ war, war dies eben „strictly“. Eine Befreiung aus diesen Zwängen schien unmöglich.
I look at the world from my window
Aus Ray Davies Resignation erwuchs seine neue Position, die er im wahrscheinlich, nein sicherlich schönsten Kinks-Song erstmals bekanntgab: Er sah sich als melancholischer, oft sarkastischer Beobachter hinter dem Fenster („Everyday I look at the world from my window“), blickte auf den „Waterloo Sunset“, denn so hieß der Song, sah sowohl alltägliche Dinge wie die Tatsache, daß Terry und Julie sich jeden Freitag an der Waterloo Station trafen, als auch jene Begebenheiten, wie sie in „Dead End Street“ so eindringlich beschrieben wurden. Ray Davies als Betrachter und vielleicht sogar Prophet sozialer Zustände sollte in Zukunft noch öfter auftreten.
Obwohl Ray sich nun zunehmend des englischen Mittelstandes und dessen Probleme angenommen hatte und seine Texte auf ein höheres Niveau stellte, blieb er doch immer allgemein verständlich. Er benutzte nie lange Wörter, wie Nik Cohn jetzt sagen würde, sondern siedelte seinen Sprachgebrauch auf mittlerer Ebene an, schwafelte keine unverständlichen und oft als .progressiv‘ mißverstandenen Wortklaubereien. Allerdings fand Ray einen Stil, um mit einfachen und wenigen Wörtern mehr auszusagen als viele seiner Zeitgenossen.
Die Stones etwa sangen zuerst „Hey, and the time is right for fighting in the street, boy“ und predigten damit in „Street Fighting Man“ die Revolution, um dann später festzustellen „You can’t always get what you want“. Solch gegensätzliche Aussagen wären bei Ray Davies unmöglich gewesen. Ray blieb bis heute seinen Intentionen treu, wobei er klug genug war, keine Rezepte anzubieten. Nie war in seinen Songs von Lösungsmöglichkeiten die Rede, um bestehende Probleme auszumerzen, nie gab Ray Anweisungen oder Vorschriften (was einem Musiker – und nicht nur dem – wohl auch kaum zussteht). Ray stellte bloß fest, was war… und das mit präziser Beobachtung, wie sie allenfalls noch Pete Townshend und Frank Zappa besitzen und Lennon/McCartney und Bob Dylan besaßen. Einhergehend mit der textlichen Wandlung vollzogen die Kinks eine musikalische. Zwar blieben sie dabei immer eine Rockband, doch wußten sie geschickt andere Stilelemente einzubauen, etwa Dixieland, etwa Bossa Nova, etwa altertümliche Vaudeville-Klänge. Mittlerweile war, wie schon erwähnt, aus der musikalisch eher unterbelichteten Gruppe eine instrumental recht ansprechende geworden, in der sich mitunter auch Dave Davies als Sänger hervortat, Songs wie „Naggin‘ Woman“ oder „Wonder Where My Baby Is Tonight“ waren sein Revier.
Später sollten dabei sogar noch anderthalb Hits herausspringen. Was mit der Zeit immer stärker auffiel, war die Tatsache, daß die Kinks eigentlich keinen Sänger besaßen. Dave Davies konnte sowieso nicht singen und auch Ray trat eher mit einer Nicht-Stimme auf, die linkisch und schüchtern genäselt klang, die aber dem Kinks-Sound unverwechselbaren Charakter gab. Bei Ray Davies lief das ähnlich wie bei Hendrix: Der besaß ebenfalls eine Nicht-Stimme, packte diese jedoch haargenau in den musikalischen Kontext.
Jedenfalls machten die Kinks weiter Singles, insgesamt zwölf Top Ten-Hits, die einem allesamt das Hemd hochhoben. Nach den fantastischen „Waterloo Sunset“ im Jahie 1967 folgten „Plastic Man“ und „Mr. Pleasant“, nach dem Strickmuster des „Well Respected Man“, sodann „Autumn Almanac“, schließlich 1968 „Wonder Boy“ und „Days“, das mit eigentlich simplen Worten (und Mellotron bereits 68!) mehr Abschiedsschmerz ausdrückte als viele ähnlich oder höher angesetzte Songs. Und „Days“ war so etwas wie der vorläufige Abschied der Kinks aus den Hitpararden.
Village Green
Dazwischen, genauer gesagt im Flower-Power-Hippie-Love-and-Peace-Sommer 67 lag eine Solosingle Dave Davies‘, auf der allerdings alle Kinks mitspielten. „Death Of A Clown“ nannte sich die Sache, die reichlich Erfolg und einigen Ärger brachte: Als zwei oder drei Jahre später im Grand Prix Eurovision eine Spanierin namens Massiel den ersten Platz mit „Lalala“ belegte, dachten die Kinks berechtigterweise an Notenklau, denn „Lalala!“ klang wie das Lalala aus „Death Of A Clown“, obwohl Manuel de la Calva und Ramon Arcosa, die Komponnisten des Spanien-Songs, eifrig das Gegenteil behaupteten. Ähnliche Differenzen waren bereits 1968 aufgetaucht, als Amerikas Doors „Hello I Love You“ veröffentlichten. Solche Zeilen wie „Hello I love you, won’t you tell me your name“ klangen notengetreu identisch mit „Girl, I want to be with you in the daytime“, also aus „All Day And All Of The Night“. Natürlich war’s schön, daß andere Interpreten derartig viel von Kinks-Songs hielten, daß die diese kopierten, aber sie hätten dann wenigstens Tantiemen überweisen könne, wie das zum Beispiel die Jazzrock-Gruppe Flock machte, als sie eine starke Version von „Tired Of Waiting For You“ produzierten.
Doch die Kinks verdienten auch so einiges. Nach dem wenig erfolgreichen „Susannah’s Still Alive“ gab Dave Davies seine Soli auf und widmete sich wieder voll den Gruppenaktivitäten. LPs wie die lockere „Kinks Live At Kelvin Hall“, vor allem aber „Face To Face“ und „Something Else“ liefen wie geschmiert. Bestechend wirkte dabei die ausgewogene Mischung aus harmlosen Liedchen wie „Party Line“, „End Of The Season“ oder „Hohday In Waikiki und echt aussagekräftigen Songs wie „Two Sisters“, wo der Neid der häßlichen Schwester gegenüber der erfolgreichen beschrieben wurde, oder „David Watts“, wo Ray das Verlangen des mittelmäßigen Jünglings (mittelmäßig gleich mittelklassig?) nachempfindet, der ach so gern wie der Klassenprimus und Weltmann David Watts sein möchte.
Und schon wieder fiel an der Kinks-Musik etwas auf. In den Zeiten um 1967/68, als die Beatles vierhundert Stunden brauchten, um „Sgt. Pepper“ zu produzieren, die Stones sich auf „Satanic Majesties Request“ den Zauberhut überstülpten und die Cream ihre Soli über eine ganze Plattenseite ausdehnten, in genau diesen Zeiten wurde Ray Davies immer einfacher. Besonders auf dem Album „The Kinks Are The Village Green Preservation Society“ zeigte sich diese Form: Unprätentiös, allgemeinverständlich, manchmal fast kindlich. Von nun an schufen die Kinks Alben, die mit einer Ausnahme („Percy“, ein Sound track) ihren Stellenwert in der Rockhistorie erlangten. Wenn dabei dann noch Hits abfielen, so war es eher Zufall.
In der verschlafenen Village Green wohnten alle mittelständischen Bürger einer britischen Kleinstadt, die ihre Fotoandenken im „Picture Book“ verewigen, machmal melancholisch „Sitting By The Riverside“ betrieben, sich an den cricketspielenden Walter erinnerten, außerdem gab’s da die verruchte Annabella und die liebliche Monica und schließlich einen Song über die fette „Phenomenal Cat“, mit dem Ray Davies endgültig zu Kinderreimen und -melodien übergegangen war. Und die Kinks stellten eben jenen Verein dar, der die Village Green-Idylle in ihrer Unversehrtheit konservieren wollte. Allerdings, eine Person störte in dieser Idylle, nämlich „Johnny Thunder“, ein Gammler oder Rokker oder was auch immer, der sich nicht in die abgeschlossene Village Green integrieren wollte, und Johnny Thunder tauchte später noch mehrmals auf.
Arthur und Lola
Schärferes Kaliber besaß dann die LP „Arthur“, die über den Niedergang und Verfall des britischen Empire berichtete, so jedenfalls der Untertitel. Ray Davies hatte in dem englischen TV-Film „The Long Distance Piano Player“ mitgewirkt und erhielt von den Granada Televisions Productions den Auftrag, den Soundtrack zu einem neuen TV-Film aufzunehmen. Doch Granada Television lehnte das fertige Werk ab, weil es ihr zu pessimistisch klang. „Arthur“ erzählt nämlich die Geschichte eines jungen, ehrgezigen Mannes, dessen Eltern ihm in kleinbürgerlicher Manier deshalb den Namen Arthur gaben, weil schon Queen Victorias Drittgeborener so hieß. Der mit allen Gaben für ein erfolgreiches Leben ausgestattete Mann wird jedoch von Anfang an frustriert und zurechtgestutzt:
Arthur was born just a piain simple man
In a piain simple working class Position
Though the world was hard
And its ways were set
He was young and he had so much ambition
All the way he was overtaken
By the people who make the big decisions
But he tried and tried for a better life…
Der ehrgeizige Arthur beginnt zu resignieren (Parallelen zu Ray Davies dürften angebracht sein), zweifelt schließlich sogar am englischen Denkmal Winston Churchill und ist am Ende froh, im Reihenhaus Shangri-La mit Pantoffeln vorm Fernseher zu sitzen – er hat es immerhin zur Toilette mit Wasserspülunggebracht:
Now that you’ve found your paradise
This is your kingdom to command
You can go outside and polish your car
Or sit by the fire in your Shangri-La
Here is your reward for working so hard
Gone are the lavatories in the backyard
Gone are the days when you dreamed of that car
You just want to sit in your Shangri-La
Put on your Slippers and sit by the fire
You’ve reached your top and you just can’t get any higher You’re in your place und you know where you are In your Shangri-La…
Wenn man so will, dann war „Arthur“ die erste Oper der Rockmusik, denn „Tommy“ von den „Who“ erschien erst einige Monate später. Nur wurde für die Kinks keine besondere Promotion mehr betrieben, weshalb ihre Plattenverkäufe sanken. Außerdem stellten die Kinks für die Publicity eine unattraktive Band dar, weil es um sie weder Skandale noch sonstwie aufsehenerregende Dinge gab.
1970 veröffentlichte Ray Davies sein nächstes Attentat auf zweifelhafte Zustände und Gewohnheiten. In „Lola Versus Powerman And The Money-Go-Round“ beklagte er die Machenschaften der Musikindustrie, der Verleger in Londons „Denmark Street“, der Manager und Etagenchefs, die den Musikern das meiste Geld abluchsten und nicht einmal die Musik, die sie propagierten und verkauften, selber kannten. Am großen Geldkarussell nahmen nur diejenigen teil, die Macht in Händen hielten, den eigentlichen Ideen- und Musiklieferanten blieb nur so viel zum Überleben. Als weitere Botschaft enthielt das Album die ,Suche nach Freiheit‘, Titel wie „Got To Be Free“ weisen deutlich daraufhin, desgleichen „Apeman“. In wiederum fast kindlicher Form sehnte sich Ray Davies, wie ein Affe auf dem Baum zu leben und sich den Zwängen und der Verantwortung auf dieser Welt zu entledigen. In „Lola“, nach längerer Zeit endlich wieder ein Kinks-Hit, nahm Ray die Bisex-Welle im Rock vorweg, denn Lola spricht wie ein Mann, sieht aber aus wie eine Frau, und all die Bowies und Reeds der Folgezeit konnten sich wegen „Lola“ eigentlich nicht mehr rühmen, Erfinder oder Initiatoren der transsexuellen Masche zu sein. Und all diese Geschichten spielten in der typischen Kinks-Welt, die sich von allen (!) anderen unterschied und schon auf der LP „Something Else“ einen Namen erhalten hatte: „Welcome to DAVIES-LAND“.
Schließlich wechselten die Kinks 1971 die Plattenfirma, von Pye/Reprise zu RCA, wobei man nie erfahren konnte, inwieweit Ray Davies‘ negative Einstellung zur Musikindustrie dabei eine Rolle spielte beziehungsweise im Vertrag zur Geltung kam. Mit dem nichtssagenden Soundtrack „Percy“ verabschiedeten sich die Kinks von der alten Firma, zugleich trat innerhalb der Gruppe ein Wechsel ein: Nachdem bereits seit „Arthur“ Bassist Pete Quaife durch John Dalton ersetzt worden war, kam nun mit John Gosling ein fünfter Kink, der als Keyboards-Spieler das musikalische Spektrum der Gruppe erweiterte.
Jeder steht im Schaugeschäft, jeder ist ein Star
In Anlehnung an die Beschreibung der Village Green veröffentlichten die Kinks 1971 das Album „Muswell Hillbillies“, wobei der Titel zweierlei bedeutete. Einmal wurden hier in loser Songfolge Leute aus dem Londoner Vorort Muswell porträtiert, aus dem bekanntlich die Kinks stammten, zum anderen wies das Wort „Hillbillies“ darauf hin, daß die Kinks hier vorwiegend amerikanische Stilformen verarbeitet hatten. Einer der eindringlichsten Songs handelte von „Alcohol“, des Durchschnittsbürgers liebster Droge, wo der Abstieg eines einst erfolgreichen Geschäftsmannes bis hin zur Gosse dargestellt wurde.
Das gesamte Album war durchzogen vom Niedergang britischer Lebensqualität, wie dies schon in „Arthur“ der Fall war. Ray beklagte, wie Idylle und Beschaulichkeit einer oberflächlich noch intakten, innerlich aber bereits ausgezehrten Gemeinschaft Zug um Zug versanken. Lebensart, wohl seit jeher eine britische Errungenschaft, wurde zerstört. Insofern ist es auch rechtens, Ray Davies als konservativ darzustellen, Ray wollte diese Lebensart konservieren, das heißt erhalten, nie jedoch könnte man den Musiker als reaktionär bezeichnen.
Doch die Resignation des Ray Davies, der mehr und mehr an Möglichkeiten zur Lösung der Probleme zweifelte, griff immer tiefer. Wohl daher ist zu erklären, weshalb sich der Musiker in Träumereien flüchtete. Schon früher („Sitting By The Riverside“) war dieses Thema aufgetaucht, auf „Muswell Hillbillies“ ebenfalls, hier in Form von „Oklahoma USA“, worin ein Mädchen von großer Filmkarriere träumte. Überhaupt schien sich Ray in seinen Songs der Filmwelt anzunehmen. „Everybody’s In Showbiz, Everybody’s A Star“, das nächste (Doppel-) Album bewies dies. Die erste, im Studio eingespielte Platte war geradezu infiziert von depressiver Stimmung. Ray („Everyday I look at the world from my window“) sang gleich im ersten Song:
Here comes yet another day
Creeping through my window
Drank myself to sleep last night
Beer stains on my pillow
I gotta pull my things together
The night can last forever
Sowohl die Träumereien als auch das Filmthema tauchten in „Sitting In My Hotel“ und besonders in „Celluloid Heroes“ auf, wobei letzterer Song einer der stärksten Kinks-Titel insgesamt ist:
Everybody’s a dreamer and everybody’s a star
And everybody’s in movies, it doesn’t matter who you are…
Und später:
I wish my life was a nonstop Hollywood movie show
A fantasy world of celluloid villans and heroes
Because celluloid heroes never feel any pain
And celluloid heroes never really die…
Dem fast paranoiden Horror dieser Platte konnte man kaum entgehen, auch ein eher lustiger Song wie „Supersonic Rocket Ship“, nochmals ein Kinks-Mini-Hit, änderte da nichts, weil auch er lediglich Flucht aus der realen Welt bedeutete, denn niemand brauchte im Rocket Ship „second class“ zu reisen, niemand brauchte „out of sight“ zu sein. Weniger deprimierend klang natürlich die Live-Platte des Doppelalbums. Vorwiegend mit Material aus „Muswell Hillbillies“ und „Lola Versus Powerman“, dazu „Baby Face“ und der „Banana Boat Song“, zeigten die Kinks, welch perfekte Live-Musiker sie geworden waren, zumal der Sound durch die Bläser der Mike Cotton Combo erheblich verdichtet wurde.
Preservation Act und eine „Seifenoper“
Die auf „Everybody’s In Showbiz“ gezeigte Depressivität schien akuten Hintergrund besessen zu haben. Ray fühlte sich durch die zweiseitige Rolle als Kritiker der Musikindustrie auf der einen und zugleich Teil dieser Industrie auf der anderen Seite völlig überlastet. Am 17.7.73 erklärte er daraufhin bei einem Konzert im Londoner White City Stadium seinen Rückzug aus dem Showgeschäft mit der Begründung, er sei „fucking sick with the whole thing“. Nicht nur das Musikbusiness, auch private Schwierigkeiten hatten ihm zugesetzt, seine Frau hatte ihn mitsamt der beiden Kinder verlassen, der Grund: Die zahlreichen Verpflichtungen des Künstlers sowie die ausgedehnten Tourneen ließen ihm kaum mehr Zeit für ein Familienleben. Die Ehe wurde kurz später geschieden.
Ray jedoch kehrte bald wieder ins Geschäft zurück. Die gesamte Rockpresse bedauerte den Rücktritt inniglich, zusätzlich war das Bestehen der Kinks ohne Ray Davies wohl zum Scheitern verurteilt gewesen, also machte der Künstler in einer Art Trotzreaktion weiter, nun mit noch mehr Verpflichtungen als zuvor. Ray gründete eine eigene Plattenfirma, schuf ein Tournee-Büro, einen Musik-Verlag und richtete ein eigenes Studio ein (das Konk-Studio in London). Dann änderten die Kinks ihre Besetzung. Mit den Bläsern Laurie Brown, Alan Holmes und John Beecham erweiterten sie sich zum Oktett und nahmen in dieser Besetzung die LP „Preservation Act 1“ und das Doppelalbum „Preservation Act 2“ auf. Zusammen ergab dies eine aufwendige und für eine Theateraufführung konzipierte Story, mit der Ray wiederum massive Sozialkritik übte. Die relativ komplizierte Handlung lautete etwa so: In einer total korrupten Welt regiert der Oberkapitalist Flash, umgeben von Gangstern und Nutten, einen Staat, dessen Bewohner gleichgeschaltet sind. Nur einige behalten ihre Individualität, etwa Johnny Thunder zählt zu „One Of The Survivors“, desgleichen der Tramp (gleich Ray Davies), der alles melancholisch von abseits oder hinter dem Fenster beobachtet. Institutionen wie die Kirche, hier symbilisiert im Vikar, haben sich untergeordnet. Dann taucht Mr. Black auf, sammelt eine Volksarmee, stürzt Flash und seine Bande, um nach guten Ansätzen in eine faschistische Regierung auszuarten. Black versteht sich als Hüter von Gesetz, Ordnung und Moral – das Volk erscheint als willenlose Schafherde, die am Ende mal wieder betrogen worden ist. Pessimismus regierte also auch auf den „Preservation“-Alben.
Mit der 1975 erschienenen LP „Soap Opera“ (was soviel wie rührselige Boulevard-Komödie bedeutet) stellten die Kinks erneut ein Konzept-Album vor. Das Thema waren wieder die kleinen Leute und deren träumerische Flucht aus dem Alltag. Der Middle-Class-Bürger Norman hält sich für einen Star, will erst Maler, dann Astronaut, Fußballer, schließlich Rocksänger sein. Die Ehefrau klärt ihn auf: „You’re not a star, Norman.“ Ausnahmsweise endet diese LP mit einem versöhnlichen Schluß: Norman will sich dem grauen Alltag stellen.
Schön und gut, endlich eine Kinks-LP mit Happy End, mit einigermassen optimistischem Inhalt, der vielleicht die Fans zu neuerlicher Blickwendung auf die Kinks veranlaßt. Dessen ungeachtet kann „Soap Opera“ aber nicht den deprimierten Ray Davies verwischen, der gerade in pessimistischen Songs seine besten, weil treffendsten Aussagen tätigte, zum Beispiel, wenn der von den ‚Errungenschaften‘ unseres Jahrhunderts frustrierte „20th Century Man“ folgendes behauptet:
Ain’t got no ambition, I’m just disillusioned
I’m a twentieth century man but I don’t wanna be here.
My mama said she can’t understand me
She can’t see my motivation
Just give me some security,
I’m a paranoid schizoid product of the 20th century.