The Hives: Neustart in Mississippi
Haben The Hives einen Pakt mit dem Teufel geschlossen? Warum suchen sie ausgerechnet in Mississippi einen Aus- weg aus der Sackgasse, in die sie sich mit drei Alben manövriert haben? Und ist Nicholaus Arson wirklich "kein Hives-Fan mehr"? Höchste Zeit für einen Studiobesuch.
Es ist eine fast perfekte Geburtstagsparty, zu der wir an einem sonnigen Samstagnachmittag im Mai in Oxford, Mississippi, eingeladen sind: In dem von Bäumen überschatteten Hof des „Sweet Tea“-Studios haben sich die Bandmitglieder der Hives – alle in Poloshirts mit den jeweiligen Initialen auf der Brust – mit dem Produzenten und Studiobesitzer Dennis Herring aufgebaut und singen dem strahlenden Pelle ein Ständchen. Zu großem Applaus trägt der Koch, der The Hives nun schon fast sieben Wochen lang bewirtet hat, eine riesige Torte herbei. Die Aufschrift lautet „Happy Birthday“, darunter steht – zur Freude von Pelle – „Life Is A Highway“.
„Ein Insiderwitz den Song haben wir mit 17 mal aufgenommen“, erklärt er, während er den türkisen Sahneberg aufschneidet. Chris Dangerous ist der Erste, der sich ein Stück abholt. „Ein guter Song“, bemerkt der neuerdings kurzgeschorene Schlagzeuger und singt: „Life is a highway, I’m gonna ride it all night long.“ Pelle schüttelt den Kopf. „Nein, Chris, er ist ziemlich beschissen. Ich hasse diesen Song.“ Niemand widerspricht. Es ist schließlich eine Geburtstagsfeier. Seine Geburtstagsfeier. Dass Pelle an diesem Samstag keineswegs Geburtstag hat, tut dabei nichts zur Sache.
„Die ganze Musikgeschichte, von der wir hier umgeben sind, bedeutet uns viel. Mississippi-Blues war die Musik, mit der wir aufgewachsen sind – einige unserer Väter sind große Bluesfans“, sagt Pelle später, während er einen gigantischen Burger vertilgt, den ihm Bandmanager Joakim am Grill zubereitet hat. „Das ist aber nicht der Grund, warum wir hierhergekommen sind. Ich hab mir nie vorgestellt, dass hier überall nur Schwarze auf ihrer Veranda sitzen und Gitarre spielen. Hier sieht’s nicht mehr aus wie in den 4oer-Jahren. Wir sind hier, weil wir mit Dennis arbeiten wollten. Und der ist eben in Oxford. Aber es war großartig, hier aufzunehmen, weil es fast wie unsere Heimatstadt [Fagersta] ist: klein und nichts los. So gelingt uns die beste Arbeit.“
Obwohl die Band seit Jahren eine feste Große in den USA ist – sowohl Veni Vidi Vicious als auch Tyrannosaurus Hives erreichten die Bülboard-Charts -, kann sie in Oxford völlig ungestört arbeiten. Die mehrheitlich von weißen Amerikanern bewohnte Stadt, die knappe zwei Autostunden südlich von Memphis liegt, ist ein verschlafenes Nest. Die einzige Attraktion ist Rowan Oak, das Anwesen, auf dem William Faulkner gelebt und zahlreiche seiner Bücher geschrieben hat. Die wenigen Kneipen auf dem rechteckigen Marktplatz schließen spätestens um Mitternacht, meist aber senkt sich bereits am frühen Abend eine große Stille über die Stadt. „Nur einmal, da sind Typen vorbeigefahren, die die Köpfe aus den Autofenstern gesteckt und ‚The Hives‘ gebrüllt haben. Das war’s“, sagt Gitarrist Nicholaus Arson zufrieden. Die einzigen anderen Stadtbewohner, die um die Anwesenheit der Schweden wissen, meiden die Band wie der Teufel das Weihwasser sie frequentieren die Kirche, die direkt gegenüber des Studios liegt. „Wir waren da mal drüben“, erzählt Pelle. „Bei den Gottesdiensten wird viel geschrieen. Wir haben danach mit ein paar Gemeindemitgliedern geredet und uns vorgestellt. Als Chris Dangerous seinen Nachnamen gesagt hat, hat eine Frau höflich geantwortet: I think we prefer to call you Chris‘, haha!“
Niemand stört sich daran, dass Pelle seinen Geburtstag um vier Tage vorverlegt hat, um nicht im Flugzeug nach Schweden feiern zu müssen. Mit großem Ernst geht man noch einmal die Trinkordnung für den Abend durch. „Sechs Einheiten sind vereinbart“, sagt Pelle. Die Menge hat er „schriftlich in einer E-Mail an alle“ kommuniziert. Obwohl er nach eigenem Ermessen „bescheiden“ war, da am nächsten Tag gearbeitet werden muss, lässt er Bier nicht gelten. „Ich habe schon an harte Sachen gedacht. Es kann Schnaps sein, oder ein Gin-Tonic zum Beispiel: beides eine Einheit.“
Als The Hives zwei Stunden später auf die Bühne des kleinen Pubs „Proud Larry’s“ kommen, ist offensichtlich, dass ein Großteil der festgelegten Alkoholration bereits abgearbeitet ist. „Ich muss zugeben, dass ich ziemlich betrunken bin“, ruft Pelle, „aber es ist mein Geburtstag! Sing it! Sing ‚Happy Birthday Pelle!'“
In dem vollen Club, der den Sänger bereitwillig hochleben lässt, finden sich ein paar Hardcore-Fans, die zehn Stunden mit dem Auto aus Chicago angereist sind. Die große Mehrheit der knapp 400 Gäste aber bilden College-Kids aus Oxford, von denen längst nicht alle wissen, wer The Hives sind. Von der Show haben sie durch die örtliche Zeitung erfahren – der ungewöhnliche Eintrag im Veranstaltungskalender („Multiple Sclerosis Walk“, „Community Bike Ride“, „Book Signing: Judge Mike Mills“, „Live: Swedish Punkband The Hives“) hatte sich schnell herumgesprochen.
Für die Band ist der Auftritt der erste seit Monaten. Nicholaus Arson ist kurz vor der Show „ungewöhnlicherweise wahnsinnig nervös“ geworden – seine Performance aber beeinträchtigt das nicht. Allein beim Opener, der USA-Premiere des neuen „Bigger Hole To Fill“, wirken The Hives noch ein wenig rostig. Ab dem zweiten Song läuft die Maschine wie geschmiert: Die Band zelebriert jedes Riff, jeden Drumroll und jeden Break wie die Entzündung des olympischen Feuers, und Pelle peitscht ohne Pause die Zuschauer auf. „Dieser Laden ist super, nur leider ist die Bühne nicht groß genug für mein Ego“, verkündet er mit glänzenden Augen, klettert auf die Box, befördert mit einem Wisch ein gutes Dutzend Bierflaschen auf den Boden und singt eine Weile in gebückter Haltung direkt unter der Clubdecke. „Der nächste Song ist unfassbar gut. Er handelt von mir“, kräht er und beugt sich so weit ins Publikum, dass ein paar Mädchen in der ersten Reihe seine Hosenträger schnalzen lassen. „Manche Leute sagen, das sich ein Arschloch bin – aber es ist keine Prahlerei, wenn man nur die Wahrheit sagt.“ Kaum jemand in „Proud Larry’s“ hat an diesem Abend kein Strahlen im Gesicht. Als die Band nach den frenetisch gefeierten Hits „Two Timing Touch And Broken Bones“ und „Abra Cadaver“ nassgeschwitzt nach draußen stolpert, um sich einfach mitten auf die Straße zu legen, ist sie sofort von einer Horde Fans umringt. Pelle wird so ausgiebig von Fremden umarmt, dass ihm irgendwann ein leichtes Unbehagen ins Gesicht geschrieben steht. Es ist die Polizei, die schließlich das Spektakel beendet: Mit Megaphonen fordert sie die Auflösung der Versammlung – NOW!“ „Bei Menschenaufläufen ist Ärger vorprogrammiert-da gibt es immer Schlägereien“, erklärt einer der Beamten.
Auch wenn es an dem Abend bei sechs Einheiten nicht geblieben ist – die Band ist am nächsten Tag pünktlich um 12 Uhr im Studio anzutreffen. Der Auftritt ist kein Gesprächsthema mehr, er ist abgehakt. Dass die fünf Musiker noch immer den Adrenalinrausch der Konzerte genießen, ändert nichts daran, dass sie als Band in eine Sinnkrise gerutscht sind. So wenig Zweifel Pelle, Nicholaus, Matt, Chris und Vigilante noch immer daran haben, dass The Hives als Liveband am besten als kompromisslose Punkrock-Kapelle funktionieren, so unklar ist 2007 die Marschrichtung im Studio. Nachdem man „drei Alben mehr oder weniger genau auf dieselbe Art aufgenommen“hat, wie Chris Dangerous es ausdrückt, hat sich bei einigen Bandmitgliedern Frust breitgemacht. Einfach weiterzumachen wie bisher, war offenbar keine Option, am allerwenigsten für Nicholaus Arson. Der Gitarrist, der beim Songwriting die wichtigsten kreativen Impulse gibt, hat laut Produzent Dennis Herring sogar geäußert, „kein Hives-Fan mehr“ zu sein. „Zu mir hat er das nicht gesagt“, meint Pelle, als wir ihn um Aufklärung bitten. „Aber ich weiß, was er meint. Ich glaube, er hat sich eingesperrt gefühlt in dieser Band. Er hat mehr noch als ich auf Veränderung gedrängt.“ In welche Richtung es weitergehen könnte, hatten The Hives selbst nicht klar vor Augen. Die Band, die über Jahre verkündet hatte, sich nach drei Alben auflösen zu wollen, war in einer Sackgasse angekommen. Um kreativen Input zu erhalten, hat man nun erstmals Vorschläge von namhaften Produzenten eingeholt. „Wir hatten das Gefühl, dass alles ein bisschen zu einfach ging – immer das Gleiche…“, meint Pelle. „Irgendwann weißt du einfach, was du gut findest, wie und in welchem Studio man das umsetzt. Uns hat jetzt interessiert, welche Ideen von anderen Leuten kommen würden. Es war das erste Mal, dass wir das Selbstbewusstsein hatten, Außenstehende in den Prozess einzubeziehen.“ Die Arbeit begann mit dem Bloc-Party-Produzenten Jacknife Lee in London. Da der allerdings „andere Verpflichtungen hatte“ auf diese Wortwahl scheinen sich alle geeinigt zu haben -, beendete man die Zusammenarbeit nach nur einem Song („Hey Little World“).
Die nächste Station war Miami: Obwohl Pharrell Williams laut Pelle The Hives „wie eine Rockband klingen“ lassen wollte, produzierte er zwei durchaus ungewöhnliche Songs: „Well Alright!“ ist ein zurückgelehnter Titel mit 60s-Feeling, „Woo-hoo“-Chorsätzen und einem überraschend langsamen Mittelteil. Für „T.H.E.H.I.V.E.S.“ hat der Starproduzent mit der Band einen trockenen Funkbeat erarbeitet, zu dem Pelle einen nicht immer ganz richtigen Falsetto-Gesang beisteuert. Dass der Songaufbau bei dem Titel keinem herkömmlichen Schema folgt, war für Produzent Dennis Herring, der schließlich den Großteil des Albums in seinem Studio in Oxford, Mississippi, aufnahm, inspirierend: „Pharrell arbeitet ganz anders. Er baut einen coolen Teil an den nächsten, und wenn ein Song genug coole Teile hat, dann ist er fertig. Das fand ich sehr interessant. Ich bin auch längst nicht mehr der Meinung, dass die Strophe-Refrain-Strophe-Refrain-Struktur heute noch die attraktivste ist – auch nicht aus kommerzieller Sicht. Die Leute haben das jetzt zu lange gehört. Nur Dynamik ist wichtig: Spannung-Entspannung, das hat es immer gegeben. Das Schema aber kann durchaus variieren.“
Der Erfolg gibt Dennis Herring recht: Das von ihm produzierte Modest-Mouse-Album We Were Dead Before The Ship Even Sank, dessen Single „Dashboard“ völlig ohne klassischen Refrain auskommt, war eine höchst überraschende Nummer 1 in den amerikanischen Billboard-Charts. Die Aufnahmen waren in Oxford über einen Zeitraum von sieben Monaten entstanden und keineswegs immer harmonisch verlaufen. „Dennis treibt Leute in den Wahnsinn“, sagte Modest-Mouse-Sänger Isaac Brock. „Er hat mich so weit gebracht, dass ich überzeugt war, ihn umbringen zu müssen. Ich dachte ernsthaft, dass ich mich der Polizei stellen muss, weil ich ihn mit meiner Gitarre totschlagen werde.“
In den Wahnsinn hat Dennis Herring The Hives nicht getrieben, wohl aber hat er sie an ihre Grenzen geführt. Mit stiller Disziplin hat er über Wochen fast ohne Pause an dem Album gearbeitet. An manchen Tagen hat er mit gezielten Vorschlägen in den kreativen Prozess eingegriffen, an anderen war er lediglich bei der Umsetzung von Ideen behilflich. In der Sonntagnacht, die wir mit The Hives im Studio verbringen, stellt der Produzent mit der Band den Song „You Dress Up For Armageddon“ fertig. Pelle schlägt vor, den Strophen einen wuchtigen Tambourine-Schlag „als eine Art zusätzliche Snare-Drum – für mehr ‚attack'“ hinzuzufügen. Während er mit Dennis Drumcomputer aus verschiedenen Jahrzehnten anstöpselt, blättern Chris Dangerous und Matt Destruction stumm in Magazinen. Nicholaus Arson schläft in einem Sessel, obwohl Pelle schon bald in voller Lautstärke „Handclap“-Sounds testet. „Welche Funktion hat eigentlich der ‚Humanize‘-Knopf?“, fragt er. „Macht er den Sound einfach ein kleines bisschen… besser?“ „Er manipuliert den Beat minimal, damit er nicht mehr ganz mechanisch gerade ist“, klärt ihn Dennis auf. „Ach. Das brauchen wir nicht“, beschließt Pelle. „Oder?“
Bis der Sound ausgewählt, aufgenommen und eingebaut ist, vergeht eine gute Stunde. Als das Ergebnis abgehört wird, kommt plötzlich Leben in Chris. „Ich hob noch eine Idee für das Schlagzeug“, sagt er und trommelt einen schnellen, treibenden Beat auf die Tischplatte. Wieder vergeht viel Zeit, bis der richtige Klang gefunden ist: Dennis befestigt zunächst einen Schellenring mit Gaffertape auf einem Drehstuhl. Nach einigen Probeaufnahmen wird der Ring an eine Wand im Flur geklebt und schließlich ganz entfernt. Bei dem perfekten Take, der im finalen Mix zu einem nicht unbedeutenden Element von „You Dress Up For Armageddon“ geworden ist, trommelt Chris wie ein „Stomp“-Akteur im Stehen auf die nackte Blechwand. Zufrieden mit sich und seiner Arbeit, schlägt er mit einem Grinsen als Eintrag für das CD-Booklet vor: “ Chris Dangerous -Drums 2.0″; Pelle nickt: „Okay. Aber bei mir steht dann: ‚Howlin‘ Pelle Almqvist – Some Next Level Shit‘.“
Es ist lange nach Mitternacht, als The Hives die Arbeit beenden und Pelle vier fertige Songs vorspielt. Der Überbegriff lautet noch immer Rock’n’Roll mit dem überdrehten Show-Punk der letzten Alben aber hat das neue Material nur noch wenig zu tun. Das Gesamtkonzept von The Black And White Album „soll mehr wie ein Greatest-Hits-Album funktionieren“, erklärt Pelle: „Wir wollen kein homogenes Album machen. Bei einer Best-Of-Compilation ist auch immer Material aus verschiedenen Phasen vereint, das in den unterschiedlichsten Studios aufgenommen wurde. Daran wollten wir uns orientieren.“
The Hives werden also tatsächlich eine neue Richtung einschlagen. Das ist eine Überraschung.
pelle: Wir haben bei der letzten Platte schon ziemlich viel Zeug aufgenommen, das sehr ungewöhnlich für The Hives war. Allerdings kam fast nichts davon auf die Platte. Nur „Diabolic Scheme“ und „A Little More For Little You“ klingen etwas anders. Dieses Mal wollen wir mehr von dem sonderbaren Zeug benutzen.
Mein Eindruck ist, dass viele Hiues-Fans eure Konzerte wesentlich lieber mögen als die Platten. Seid ihr musikalisch bisher nicht weit genug gegangen?
Pelle: Das glaube ich nicht. Man muss verstehen, dass unsere Platten immer genau so geworden sind, wie wir das zu der Zeit wollten.
Das behauptet ihr immer, aber …
Pelle: Warum sollte es nicht so sein?
Es gibt immer Grenzen bei der Umsetzung eines Plans. Man erreicht nie 100 Prozent.
pelle: Klar. Es kann nicht immer alles perfekt werden. Aber wir haben schon stets die Art von Platte gemacht, die wir machen wollten. Das letzte Album ist eben total intensiv geworden. Ich muss zugeben, dass sie einen auf gewisse Weise sogar ermüdet.
Was ist deine persönliche Meinung? Haben The Hiues musikalisch bisher ihr volles Potenzial erreicht?
Pelle: Nein. Sonst brauchten wir ja keine Platte mehr machen. Damals hatten wir aber einen anderen Ansatz, wir wolltenja solche Punk-Alben machen. Ich betrachte das nicht als Prozess, bei dem wir immer versagen, weil wir einen Schritt hinterher sind. Damals war damals. Und jetzt gehen wir eben einen neuen Weg.
Eigentlich hast du immer angekündigt, The Hives nach drei Alben aufzulösen. Werdet ihr jetzt die Rolling Stones eurer Generation?
Pelle: (lacht) Für mich gibt es in der Tat nur zwei Möglichkeiten: Entweder bist du die Sex Pistols oder die Rolling Stones. Die Sex Pistols zu sein, haben wir schon 1999 verpasst. Jetzt müssen wir ewig weitermachen.
Früher war dir die Vorstellung, als 50-jähriger noch „Howlin‘ Pelle Almquist“ zu sein, ein Graus. Jetzt denkst du dir: „Ach, mal sehen…?“
Pelle: Nein, nein. Ich dachte: Es wird traurig, wenn wir das nicht mehr machen können, weil wir schlecht geworden sind. Nicht, dass ich nicht gewollt hätte, (lange Pause) Ich will den Rest meines Lebens Howlin‘ Pelle Almqvist sein. Man muss irgendwann auf andere Art gut sein. Ach, ich weiß auch nicht. Die Show, die wir hier in Oxford gespielt haben – in meinen Ohren haben sich sogar die alten Songs richtig gut angehört. Wir haben also unser Verfallsdatum noch nicht erreicht, denke ich. Ein bisschen Zeit müssten wir schon noch haben. Es ist nur schwer, jemanden zu finden, der dir sagt, wenn du scheiße bist. Es macht ja so viel Spaß. Ich muss gestehen, dass aufzuhören schwerer ist, als wir dachten.
Im Dezember 2005 hast du gesagt, dass das nächste Album „sehr in Richtung Punk“ oder „sehr in Richtung Pop“ gehen könnte. War ein Pop-Album wirklich im Bereich des Möglichen?
pelle: Das kommt darauf an, wie man Pop definiert. In der Welt der Hives bedeutet Pop etwas anderes als in der Welt von Leuten, die sich Euro-Disco anhören. Alles ist relativ. Wir hatten eben viel mehr Zeug, das auf eine offensichtliche Weise mehr melodisch war. Aber das hat uns ja nie besonders gefallen. Wir waren auch nie Beatles-Fans. Wenn du eine Melodie und Akkorde hast, und dann singst du über die Akkorde, dann ist das die Methode, mit der die Beatles ihre Songs geschrieben haben. Hm – wie erklär ich das?
Hat es was mit deiner These zu tun, dass niemand merkt, wie großartig die Popsongs der Misfits sind, weil die Musik so lo-fi und geschrammelt ist?
Pelle: Genau! Und auf der anderen Seite gibt es das Beatles-Zeug… Nein, nicht nur die Beatles. Ich kann denen nicht alles in die Schuhe schieben. Aber wenn du so einen Song mit Melodie und Akkorden hast, dann kannst du ihn auf verschiedenste Art spielen – der Grund, warum dir der Song gefällt, ist immer noch da.
Ganz anders bei Musik, bei der es eher um ein Gefühl geht. Songs der Rolling Stones kann keine andere Band so spielen, dass es genau so gut wäre.
Was ist mit „Beast Of Burden“ von Bette Midler?
Pelle: Ja, das ist fantastisch! Und ganz was anderes. (lacht) Das ist kein Cover, sondern eine Neuinterpretation. Aber du verstehst, was ich meine. Wenn wir sehr melodische Sachen machen, dann langweilen wir uns oft selbst dabei. Man kann nicht so viel reinpacken.
Man könnte ja mehr auf Emotionen gehen.
Pelle: (Pause) Ich finde viele unserer Sachen sehr emotional. Aber es kommt natürlich darauf an, welche Emotionen man sucht. „Glücklich“ und „wütend“ sind keine akzeptierten Emotionen im Rockjournalismus. „Enttäuscht“ und „traurig“ – das zählt.
Magst du so was nicht in der Musik?
Pelle: Hm. Ich will es so ausdrücken: Nicht mal zehn Prozent der Leute, die traurige Songs schreiben, machen ihre Sache gut genug. Wenn jemand Trauer oder Enttäuschung ausdrücken will, dann klingt er meistens wie ein heulsusiger Arsch. Oder er versucht, mehr Gefühle vorzugaukeln, als er eigentlich hat. Und ich hasse nichts mehr als das. Vielleicht kann das die Gefühle eines Zwölfjährigen ansprechen. Bei mir klappt das fast nie. (lacht) Aber es geht ja auch anders – dich berührt doch auch, wenn Otis Redding oder Ike & Tina Turner „l’ve Been Loving You Too Lang“ singen…
Pelle: Klar, ich mag diese Sachen. Und jetzt haben wir ja auch Balladen, die in diese Richtung gehen. Aber …
Aber ihr werdet sie uns wieder vorenthalten?
Pelle: Das weiß ich noch nicht. Die Auswahl muss einfach eine super Platte ergeben. Ich versuche nur Folgendes zu sagen: Es kotzt mich an, dass 90 Prozent der Platten, die veröffentlicht werden, deine Gefühle ansprechen sollen, (zerknirscht) Es geht immer nur um gebrochene Herzen – ich liebe dies, ich liebe fuckin‘ das, bla bla bla. Es ist der einfachste Weg, weil es jeder macht und weil diese Schlüsselreize etabliert und akzeptiert sind: „Hey, lass uns über den gleichen Scheiß singen, über den seit 50 Jahren gesungen wird. Dashaut schon irgendwie hin.“
„Broken Hearts Are For Assholes -so drückte es Frank Zappa 1979 in dem gleichnamigen Song aus. Das fertige Album, an dem die Band noch bis Mitte September in Schweden gearbeitet hat, enthält wieder keine Ballade. Trotzdem ist The Black And White Album ein mutiger Schritt. Das vierte Album der Hives bricht so deutlich mit der Tradition, dass es im Universum der Band den Beginn einer neuen Zeitrechnung markiert: Es ist dynamischer – das Energieniveau ist nicht mehr durchgängig am Limit -, stilistisch breiter und musikalisch anspruchsvoller als die Alben davor. Befremdlich ist lediglich die konservative Entscheidung, mit „Tick Tick Boom“ ausgerechnet den einzigen „klassischen“ Hives-Song der Platte als Single zu veröffentlichen. Pelle, mit dem wir kurz vor Veröffentlichung des Albums noch einmal sprechen, klärt auf: „Das wollte die Plattenfirma so. Wir selbst haben keine so gute Hand bei der Auswahl von Singles, also haben wir uns gefügt.“ Tatsächlich ist der für gewöhnlich überaus selbstbewusste Sänger noch etwas unsicher, wie die Fans auf die neuen Songs reagieren werden. „Kommerziell gesehen, war es wahrscheinlich nicht die beste Entscheidung“, mutmaßt er. Dass The Hives auf The Black And White Album nicht mehr mit jedem Song einschlagen wie eine Bombe, macht sie nicht nur interessanter, es macht sie auch verletzlicher. Ganz besonders manifestiert sich das in Pelles Gesang: Um seinen Vocals eine lässige, direkte und intime Qualität zu geben, wurden auch schlampig intonierte Passagen nicht ausgebessert. „Weißt du, manchmal fallt es mir schwer, mir das anzuhören“, sagt Pelle. „Aber alle Produzenten waren immer ganz wild auf den ersten Take – sie wollten dem Gesang eine fast schluderige Qualität geben. Und die Agenda war dieses Mal, den Produzenten zu vertrauen.“ Als er eine Weile darüber nachdenkt, kehrt plötzlich doch wieder seine Selbstsicherheit zurück.
„Außerdem mochte ich schließlich auch immer Sänger, die falsch gesungen haben“, sagt er bestimmt, „das hat ja auch was Cooles.“ Und – egal ob man die neue Richtung, die die Band musikalisch eingeschlagen hat, mag oder nicht – bei der Einschätzung dessen, was cool und was nicht cool ist, haben The Hives in den letzten zehn Jahren wenig Fehler gemacht.
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