The girl can’t help it: Mit der „Girlie Show“ fällt Madonna wieder mal aus allen Rollen


LONDON. Es begann nicht gerade vielversprechend, das vielbeschworene Live-Comeback. In Erinnerung an die letzte Tour, wo selbst das .logging im Hyde Park einen Mob von Paparazzis mobilisierte, wurden diesmal Bobbies und Bouncers en masse vor ihrem Hotel postiert. Aber nachdem schon am Flugplatz niemand Madonnas Existenz würdigen wollte, verloren sich auch vor dem Hotel gerade mal drei einsame Fans.

Wer nun hämisch auf das finale Karriere-Desaster gewartet hatte, erlebte eine schwarze Stunde: Madonnas erste „Girlie Show“ im Wembley Stadion war so rasend schnell ausverkauft, daß umgehend die zweite anberaumt wurde — und das sind immerhin 72.000 Zuschauer pro Tag.

Und selbige ließen sich die Stimmung auch nicht vom widrigen Medienzeitgeist vermasseln. Enttäuscht waren allenfalls die, die eine „Greatest Hits“-Packung erwartet hatten. Das musikalische Programm besteht mehrheitlich aus den Songs von „Erotica“, die allerdings in eine Vielzahl von optischen Madonna-Inkamationen zerlegt wurden. Mal verwandelt sie sich in Marlene Dietrich, komplett mit germanischem Akzent, mal in die Unschuld vom Lande, mal in den männerfressenden Vamp, mal in die Senora von der Isla Bonita. Die „Girlie Show“ ist eine fast schon kabarettistische Revue all jener Frauenrollen, in die sie im Laufe der Jahre geschlüpft ist; die peitschenschwingende Domina, die ihre letzte Tour dominierte (und die im Vorfeld des kurzfristig abgesagten deutschen Konzertes die CSU auf die Barrikaden trieb), ist dabei nur ein Teil des Image-Mosaiks.

Daß die Musik in diesem Kabarett-Konzept absolut sekundär ist, beweisen nicht nur die braven Beats und schalen Grooves: Wird auf der Bühne, die wie eine klassische „Music Hall“ wirkt, Platz für das choreografische Feuerwerk gebraucht, werden die armen Musiker auf fahrbaren Podesten einfach weggeschoben. Auch ein Statement.

Von der musikalischen Dürftigkeit einmal abgesehen, ist die „Girlie Show“ indes ein Show-Spektakel der Sonderklasse.

„Schockierende Szenen“ orten anderntags denn auch nur noch die Boulevardzeitungen, dies nun mal nicht mögen, wenn sich Männer betatschen oder Madonna einen kleinen Scherz über Oralsex macht.

Das Londoner Publikum, überwiegend Twens, ist jedenfalls begeistert. Selbst die Presse-Reaktionen sind mehrheitlich positiv. Nur die Tits & Ass-lastige „Sun“, die — seit das Skandalbuch „Sex“ ihre ach so zarten Moralgefühle schockierte — eine verbissene „Madonna ist tot“-Kampagne fährt, findet ihre Meinung prompt bestätigt. „Sad, bad, mad… the worsi gig I’ve ever seen“ lautet die Schlagzeile am nächsten Morgen.

Der Kritiker war eindeutig im falschen Konzert. Man mag Madonna Humorlosigkeit und Größenwahn, Zynismus und Berechnung vorwerfen — doch eines ist ihre geniale Selbstinszenierung mit Sicherheit nicht: langweilig.