„The Favourite“-Kritik: Für diese Versuchsanordnung gibt es 10 Oscar-Nominierungen
The Madness of Queen Anne: Yórgos Lánthimos hält uns den Spiegel vor – und lacht sich kaputt, wenn wir schmunzeln müssen.
Melden, wer sich an die wunderbare Szene in Buñuels „Das Gespenst der Freiheit“ erinnern kann! Dort treffen sich Herrschaften der feinen Gesellschaft abends, um sich rund um eine Tafel auf Kloschüsseln zu setzen – wer Hunger hat, verabschiedet sich aufs stille Örtchen, wo man für sich etwas essen kann. Dieses Gespenst der Freiheit, wenn wir es einfach mal so nennen wollen, zieht sich auch wie ein roter Faden durch die surrealen Sittenkomödien des Griechen Yórgos Lánthimos. Er ist besessen von der willkürlichen Natur des Regelwerks, dem sich die Gesellschaft unterwirft, um funktionieren zu können.
Regeln, Regeln, Regeln. In seinem „Dogtooth“ drohten sich Kinder in Hunde zu verwandeln, falls sie es wagen sollten, ihr Heim zu verlassen. In „The Lobster“ sahen sich Singles mit der Bedrohung konfrontiert, in Tiere verwandelt zu werden, wenn es ihnen nicht gelingt, binnen 45 Tagen einen neuen Partner zu finden. Und in „The Killing of a Sacred Deer“ drohte schließlich ein Außenseiter, das Gefüge einer Familie zu zerstören, wenn sie sich nicht seinen Anweisungen unterwerfen. Menschen sind in Lanthimos’ perversen Versuchsanordnungen keine Individuen.
Eine grausame Schlammschlacht
Sie sind Hüllen, deren Bewegungen davon abhängen, was ihnen von anderen gesagt wird – Science-Fiction als Freakshow. „The Favourite“ unterscheidet von den bisherigen Filmen dieses cleveren Agent Provocateurs, dass Lánthimos nicht nach einem eigenen Drehbuch arbeitet und die Science-Fiction erstmals in der Realität angekommen ist, ohne ein kleines bisschen weniger Freakshow zu sein. Am Hof der verrückten Königin Anne regiert nämlich der Wahnsinn – und macht nach Gutdünken die Regeln!
Annes Köper und Geist, man kann es mühelos auf Wikipedia nachlesen, sind nach 14 Fehlgeburten und dem frühen Tod der drei geborenen Kinder zermürbt: Um ihre Gunst beginnt ein irrer Zweikampf zwischen einer seit Kindesbeinen engen Vertrauten, die de facto auch die Staatsentscheidungen trifft, und einer Hausangestellten, der alle Mittel recht sind, um sich das Vertrauen der Regentin zu erschleichen. Was sich entwickelt, ist eine an schierer Grausamkeit nicht zu überbietende Schlammschlacht, die ein Aufbäumen des Matriarchats inmitten blasierter Schnösel wäre, wenn sich die beiden Frauen nicht so vehement gegenseitig bekriegen würden.
Für alle Beteiligten ist der Film ein Triumph: Olivia Colman, Rachel Weisz und Emma Stone waren nie besser als in diesem begnadeten Mix aus Kubrick, Ken Russell und Greenaway mit einem ätzenden Humor und grenzenlosen Hass auf Obrigkeit und Aristokratie, wie er aus dem Kino seit den 70ern eigentlich schon verschwunden war.
„The Favourite“ startet am 24. Januar bundesweit in den Kinos. Den Original-Trailer zum Film könnt Ihr Euch direkt hier anschauen.