The Dead 60s gehen auf Distanz zu ihrer Heimatstadt
„Die muss man liue sehen“, wird gerne über Bands geschlaumeiert, deren Platten nicht ganz so gut sind, die aber dann auf der Bühne doch die supergeile Rockshow™ veranstalten. Als ob die supergeile Rockshow™ in der Lage wäre, einen schlechten Song in einen guten zu verwandeln. Man muss The Dead 60s nicht unbedingt live sehen, aber es hilft – rudimentäre Repertoirekenntnis vorausgesetzt – beim Verständnis der Band aus Liverpool. An diesem Sommerabend im eher luftig gefüllten Atomic Cafe‘ in München geht es nicht um die supergeile Indie-Rockshow, wie so oft an diesem Ort, sondern um Musik. Sänger und Gitarrist Matt McManamon agiert wie ein Berserker. Untergrößten Anstrengungen verzerrt er das schwitzende Gesicht zu einer Fratze. Bassist Charlie Turner wankt wie ein unter Hospitalismus leidendes Tierziellos über die Bühne und starrt dabei Löcher in die rauchgeschwängerte Luft. Ben Gordon wirkt an der Gitarre wie ein Psychiatriepatient, dem eine Überdosis Valium verabreicht wurde. Wenn er ans Keyboard wechselt, bedient er mit seinen langen Fingern die Tasten wie ein verrückter Magier in einem Akt der Beschwörung. Und Schlagzeuger Bryan Johnson sitzt in höchster Konzentration hinter seinem Instrument. Ab und zu kippt diePunk-Pop-Dub-Party, und die Dead 60s veranstalten eine hübsche Soundkakophonie mit schweren Dub-Effekten, Feedback und übersteuerten Gitarren. Das kann dann schon mal fünf Minuten dauern.
Am Tag danach urteilen Matt McManamon und Charlie Turner über ders Konzert. „It was cool!“ Die Plattenfirma hatfürdie Interviews eine hippe Bar im hippen Münchner Glockenbachviertel angemietet, motiviert von der Hoffnung, nach ein paar Anfangsschwierigkeiten aus den Dead 60s vielleicht doch noch die neuen Kaiser Chiefs machen zu können: Im Mai 2005 wurde das Debüt zuerst in den USA veröffentlicht, weil dort die Singles der Band im College-Radio gespielt wurden. Freilich konnten sich alle Nichtamerikaner das Album übers Internet besorgen. Was offensichtlich auch jeder getan hatte, bis es im September „offiziell“ in Europa erschien – mit überarbeitetem Cover, veränderter Tracklist, Remixen und neu aufgenommenen Songs. Die zeitgleich veröffentlichte Vinylversion enthielt jedoch die US-Fassung des Albums. Fehler im Presswerk. Diese Konfusion war nicht unbedingt förderlich für die Karriere der Dead 60s. Ebensowenig wie die Idee, den Song „Ghostfaced Killer“ als Titelmelodie der Edgar-Wallace-Verarsche „Neues vom Wixxer“ zu verwenden. Die Band selber scheint das alles nicht zu interessieren, solange sie Musik machen kann. Das zweite Album Time To Take Sides haben die Dead 60s in New York aufgenommen mit Produzent David Kahne (New Order, The Strokes). Ein Signal, auf Distanz zu gehen zu ihrer Heimatstadt.
„Das erste Album war so sehr mit Liverpool uerbunden, dass wir Jetzt etwas anderes tun wollten“, sagt Turner. „Wir mögen New York. Wir mussten aus Liverpool heraus, um einen anderen Blickwinkel zu bekommen.“ Die neue Liverpool-Szene existiert offenbar sowieso nur in der romantischen Vorstellung der Medien, die zwanghaft am Erfinden von Szenen und Phänomen sind. Turner: „Es ist eher eine Ansammlung von Sands. Alle machen verschiedene Sachen.“ McManamon: „Wenn jemand in einem Magazin über Liverpool schreibt, dann lässt er über Nacht eine Szene dort entstehen. Die Leute lesen das und glauben es. Liverpool hat traditionell sehr viele Musiker, und es gibt viele gute Bands. Aber ich würde nicht von einer Szene sprechen.“
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