The Cure live in Berlin: Oma ist die Beste!
Die erste Tour der ehemaligen Gruftrockband nach acht Jahren sorgt auch in Berlin für Begeisterung: Fünf teiltoupierte Herren um den genialen Rotschlund Robert Smith zeigen sich in der Berliner Mercedes-Benz-Arena in Hitgeber-Laune und die schlenkert sich dankbar um den Verstand.
Früher war mehr Robert auf so einem Cure-Konzert. Da wippten die Besucher am Pissoir neben oder am Würstchenstand vor einem in ihren spitzen Schuhen, beäugten sich kritisch gegenseitig, spielten ihr gruftiges Cosplay, da kannte man diesen Begriff noch gar nicht. Im Jahr 2016 aber geht eigentlich nur noch Robert Smith als Robert Smith da hin. Und auch wenn er im Gesamtbild – zum Lippenstift-Fresser-Schlund und den explodierten Haaren das Doppelkinn, Halskette, sackartige Klamotte – inzwischen aussieht wie seine eigene, exzentrische Großmutter: Ihm kann das nix. Der Mann ist längst eine wandelnde Rock-Ikone. Die schluffigste, knuffigste aller Rock-Ikonen. Und durch so eine Ikone hindurch strahlen eben immer auch die alten, glanzvollen Bilder.
Was dieser umjubelte Abend des 18. Oktober 2016 in der ausverkauften Riesengarage am Spreeufer aber deutlich macht: Obwohl das Image, das der 57-jährige Bob Eigenbrötler aus dem englischen Südosten von sich geschaffen hat, so übermächtig erscheint, feiert das Auditorium in über zweieinhalb Stunden, sagenhafte 33 Songs lang, vor allem seine Musik.
The Cure spielen in Berlin bis zur Hälfte des Konzerts schon ihre größten Hits
Leicht gemacht wird das den Menschen dadurch, dass seine Band, die eher konservativ geschätzt 150 Stücke aus ihrem Repertoire auf dem Kasten hat und immer wieder überraschende Wendungen in ihre Setlists einbaut, schon bis zur Hälfte des Programms ihre größten Hits rausstellt. „In Between Days“, „Friday I´m In Love“ (mit fliegenden Herzchen im projizierten Animationsfilmchen, später gibt es auch noch Sonnenuntergang, Wolkenhimmel, Kerzengeflacker und doch kann die visuelle Show weitgehend überzeugen) „Boys Don´t Cry“, „Pictures Of You“ mit seiner schwer zu fassenden, königlichen Klimax, „High“, „Lovesong“ und der nahezu perfekte Gitarrenpopsong „Just Like Heaven“ heißen die Lieder 8 bis 14! Welche Mehrzweckhalle würde sich da nicht um den Verstand schlenkern?
Das kann natürlich nicht ewig so weiter gehen. Mit dem quälenden „One Hundred Years“ von der Schwarzes-Loch-Platte PORNOGRAPHY (Kriegs- und Katastrophenbilder auf der Leinwand) und der wieder ausgegrabenen 84er-Kakophonie „Give Me It“ ziehen uns The Cure noch vor der ersten Zugabe auf ihre schwarze Seite. Und ein paar zähere Elego-Rock-Nummern der 90er und 00er demonstrieren, dass dem Meister der sich gegenseitig umgarnenden Melodielinien sein Weberhandwerk später nicht mehr so einfach von der Hand ging (auch das neue, unveröffentlichte „It Can Never Be The Same“ hat als Cure-Versatzstücke-Stück eher B-Seiten-Qualität).
Seine Stimme macht Robert Smith einzigartig
Der sumpfige Sound, in dem vor allem immer wieder komplette Keyboardlinien untergehen, trägt auch nicht dazu bei, dass dieses konzentrierte Aufschichten von Geräuschen noch mehr Grund zum Jubeln gibt. Dafür scheint sich Robert Smith aber immer weiter frei zu singen, traut sich noch mehr Höhen und Dynamik zu. Und dieses Jaulen, Jammern, Krähen, Klagen, die wunderbar albernen „Tu-Tu-Tus“, die er überall hinein singt wie ein übermütiges Kind, bleiben eine so große Lust! Seine Stimme macht ihn einzigartig.
Nach dem finalen Kracher „Why Can´t I Be You?“ – Stichwort: Übermut – spricht Smith doch noch einen dritten oder vierten ganzen Satz, verspricht bewegt ein Wiedersehen, und nimmt dann linkisch an der Bühnenkante entlang tapsend das tosend laute Dankeschön entgegen: Oma bleibt einfach die Beste!