THE CHRONIC
Am 11. August wurde HipHop 40 Jahre alt. Sagt zumindest Kool DJ Herc, der an jenem Tag im Jahr 1973 eine Party schmiss, bei der aus alten Funkplatten die neuesten Breaks wurden. Wer verstehen möchte, wie aus dieser Stadtteilfete die noch heute einflussreichste Strömung der Popkultur erwachsen konnte, fragt aber nicht Herc oder einen der anderen Großwesire der Old-School. Sondern: Ahmir „Questlove“ Thompson.
Thompson hat 48 000 Tweets verfasst, wegweisende Alben von D’Angelo und Common produziert, aus Versehen Neosoul erfunden und das Berufsbild Bandmitglied im HipHop am Leben erhalten. Davon, und von vielem mehr, erzählt er auf den 288 Seiten von „Mo‘ Meta Blues: The World According to Questlove“. Strukturell ist das Buch ein beispielloser Verhau. Es gibt Listen, Unterlisten, Monologe, E-Mail-Protokolle und Fußnoten des Roots-Managers Richard Nichols. Es gibt sehr kurze Kapitel und sehr lange Exkurse über J Dilla und den ewigen Widerpart bei den Roots, Black Thought. Was die Erzählung zusammenhält, ist Thompsons unprätentiöser Tiefsinn, seine schonungslose, nie exhibitionistische Ehrlichkeit sowie seine Gabe, selbst in scheinbar nichtigen Details den größeren Zusammenhang zu sehen. Rollschuhfahren mit Prince, Rumalbern mit Jimmy Fallon, Rudelbumsen mit Tracy Morgan – das Anekdotische dient nie dem Selbstzweck, sondern der Kontextualisierung und der Idee, jenen Ehre zuteil werden zu lassen, denen Ehre gebührt. Kein Wunder, dass das Buch mit einer Referenz an A Tribe Called Quest endet, der schlausten und vermutlich besten Rap-Band aller Zeiten.
In der Welt von Questlove kann eine vergessene B-Seite oder eine fehlerhaft gedruckte Plattenhülle genauso wichtig sein wie eine Rede von Obama oder der Tod von Michael Jackson. Weil beide erst durch ihre Beziehung Bedeutung erlangen. Und noch mehr dadurch, dass Thompson sie aufschreibt.