The Christians: Soul statt Schelte
Die Christians machten Ernst mit der Nächstenliebe: 1989 anvancierten sie zu Britanniens Benefiz-Band Nr.1. Doch damit ist jetzt Schluß. Das Trio aus Liverpool setzt jetzt wieder voll auf Musik. Henry Priestman (M.) erklärte ME/Sounds Mitarbeiterin Sytvie Simmons den Sinneswandel.
Es gab einen Punkt, da wollten wir unsere neue Platte ALL HUMAN LIFE nennen. Das fanden wir dann aber doch zu schwülstig – The Christians mit ALL HUMAN LIFE. Also entschieden wir uns für COLOUR. Das paßt schon deshalb, weil unsere Musik viel mehr Klangfarben gewonnen hat.“
Henry Priestman, musikalisches Mastermind der Christians, ist mit dem zweiten Album des Trios sichtlich zufrieden: „COLOUR wirkt längst nicht so düster wie unsere Debüt-LP. Das liegt aber nicht nur an der Musik, sondern auch an den Texten, die diesmal nicht so politisch ausgefallen sind. Darüber zu jammern, wie schrecklich Maggie Thatcher ist, scheint uns auf lange Sicht nicht sehr relevant.“
Mit ihren neuen Songs möchten die Christians weg vom Image der Benefiz-Band vom Dienst. Denn seit ihrem erfolgreichen Debütalbum – mit Glanznummern wie „Forgotten Town“ und „Hooverville“ – wirkte die Gruppe auf einem halben Dutzend Singles für wohltätige Zwecke mit. Mal ging es darum, den Hunger in der Welt zu bekämpfen, mal Gewalt gegen Kinder zu geißeln oder Fußball-Opfern zu helfen.
Kein Wunder bei diesem Namen, der noch nicht mal ein Pseudonym ist. Henry Priestman verweist darauf, daß der Familienname seiner Mitstreiter Garry und Russell wirklich Christian lautet. Ihnen blieb genau besehen gar keine Alternative, als sich The Christians zu nennen, mochte Pop-Prediger Cliff Richard über derlei Blasphemie so viel schimpfen wie er wollte.
Das Publikum der Christians aber verstand den Gruppennamen zunehmend auch als religiöses Bekenntnis und soziales Programm. Das blieb nicht ohne Folgen: „Zuletzt hätten wir fünf Benefiz-Kisten pro Woche durchziehen können“, resümiert Priestman und denkt laut über den Sinn von Wohltätigkeitsveranstaltungen nach: „Wir haben uns engagiert, und wir haben es gerne getan. Aber irgendwann überzeugt es niemanden mehr. Außerdem übernehmen die Musiker mit solchen Benefiz-Aktionen die sozialen Pflichten, vor denen sich die konservative britische Regierung schon viel zu lange drückt.“
Für COLOUR wollte Priestman „ein paar aufbauende Songs“ schreiben. „Das ist mir wohl auch gelungen“, meint er rückblickend. Am liebsten aber suhlt sich der „Emotion Junkie“, wie sich Priestman selber nennt, in der großen Tristesse: „Wenn ich traurige Songs höre, kräuseln sich mir vorlauter Wonne die Nackenhaare.“
Das war früher anders: Als Henry Priestman zu den Christians stieß, orientierten sich Garry, Russell und ihr Bruder Roger, der inzwischen eigene Wege geht, noch eher an den rauhen Soul- und R & B-Nummern der frühen Temptations. Mit seinen eigenwillig arrangierten Liedern verpaßte der weiße Songwriter den angestaubten Soul Brothers ein neues Sound-Gewand.
Das Facelift blieb nicht ohne Wirkung: Schon das erste Album der Christians schlug in England ein wie eine Granate. Und prompt präsentierte die Inselpresseder staunenden Leserschaft eine gewagte Parallele: Genau wie die seligen Beatles stammen nämlich auch die Christians aus Liverpool. Doch davon will Priestman nichts wissen: „Liverpool ist eine rauhe Stadt, und die Leute haben einen beißenden Humor – entweder zum Lachen oder zum Heulen. Die Stimmung kann sich urplötzlich verändern. Auf diesem Nährboden können die extremsten Arten von Musik gedeihen – auch die Christians.“