The Best Of Foo


Album für Album sind die Foo Fighters zu einer der größten Bands der Welt geworden. Sänger Dave Grohl übt jetzt genau den Job aus, an dem sein ehemaliger Kollege Kurt Cobain zerbrach. Um sich vor dem drohenden Wahnsinn zu retten, musste Grohl für seine neue Platte wieder von vorn anfangen.

David Eric Grohl wischt sich die Tränen aus dem schweißnassen Gesicht. Hinter ihm sitzt sein bester Freund Taylor Hawkins. Ungläubig starrt der Drummer auf das, was sich da vor ihm abspielt: 172.000 Arme recken sich ihm und seiner Band entgegen. Die Foo Fighters stehen an diesem 7. Juni 2008 am Ende zweier ausverkaufter Shows im Londoner Wembley-Stadion, dem größten Stadion, das man als Musiker in Europa bespielen kann. Grade eben waren noch Jimmy Page und John Paul Jones mit auf der Bühne. Die Led-Zeppelin-Legenden spielten zusammen mit ihren wohl größten Fans „Rock And Roll“ und „Ramble On“. Grohl denkt kurz darüber nach. Ihm wird schwindlig. Er flüchtet nach vorn, stürzt sich in den letzten Song des Abends, „The Best Of You“. Es ist der Höhepunkt seiner Karriere. Mit Nirvana war er dabei, als Kurt Cobain die Welt verändert hat. Damals war er allerdings lediglich der Schlagzeuger – ein brillanter, aber eben jemand, der die Hymnen eines anderen spielt. Heute steht er im Mittelpunkt, heute sind es seine Songs. Doch als er von der Bühne trottet, nistet sich Angst in ihm ein, beginnt sich die immer gleiche Frage in seinem Kopf zu drehen: Was kann jetzt noch kommen?

Vorerst hat Grohl keine Zeit, auf die Suche nach Antworten zu gehen. Bis Jahresende muss er noch spielen. 2009 lenkt er sich dann mit dem Allstar-Projekt Them Crooked Vultures ab. Wieder spielt er mit John Paul Jones. Allmählich gewöhnt er sich an seinen neuen Status als Superstar. Dann steht anlässlich des 15. Bandgeburtstages die Veröffentlichung der ersten Foo-Fighters-Werkschau an. Für Greatest Hits nimmt die Band zwei neue Songs auf. Als Produzent entscheidet sich Grohl für Butch Vig, für den Mann, mit dem er fast zwanzig Jahre zuvor Nevermind aufnahm. Grohl entdeckt, dass er in die Vergangenheit reisen muss, um eine Idee von seiner Zukunft zu bekommen. Die Zusammenarbeit fühlt sich gut an. So gut, dass Vig für die Produktion des nächsten Albums der Foo Fighters, Wasting Light, verpflichtet wird. Pat Smear, Livegitarrist von Nirvana und ehemaliger Foo Fighter, gehört wieder zur festen Besetzung. Für einen Song, „I Should Have Known“, kommt Krist Novoselic vorbei und spielt Bass. Näher kann man einer Nirvana-Reunion nicht kommen.

Sechzehn Jahre lang hat Grohl alles versucht, dem übermächtigen Schatten Cobains zu entkommen. Kaum ist ihm das in Wembley gelungen, schart er so viel Nirvana wie möglich um sich. Er weiß, dass sich jeder Journalist drauf stürzen wird. Und er weiß nur allzu gut, wie sehr ihn die nicht enden wollenden Fragen nach Nirvana in den vergangenen Jahren verunsichert und auch verletzt haben. Aber er provoziert sie trotzdem. Weil er nun mal mit seinen alten Freunden spielen will. Weil ihm die Welt da draußen so egal sein muss, wie irgendwie möglich. Wenn dir 86.000 Menschen deine Lieder entgegengesungen haben, dann musst du eine Tür zur Außenwelt zumachen, sonst verlierst du den Verstand.

Grohl will wieder auf die Reise. Mit den Foo Fighters. Wohin sie gehen wird, kann er noch nicht sagen, als er die Reise antritt. Doch nach wenigen Metern ist er schon am Ziel: in der Garage seines Hauses in Los Angeles. Er räumt ein paar Kinderspielzeuge aus dem Weg und richtet sich hier ein kleines Studio ein. Zwar hat er bereits eins: Der State-of-the-art-Komplex „Studio 606“ liegt nur wenige Autominuten entfernt. Doch genau den zu überwinden, mit all seinen Computern und Hightech-Gerätschaften, ist die Herausforderung, die Grohl jetzt braucht. Das neue Album wird komplett mit analogem Steinzeit-Equipment aufgenommen. Bis zum Post-Mastering fährt kein Rechner hoch.

„Wir mussten zurück zu unserem Ursprung, um weitermachen zu können“, sagt Grohl. „Wir mussten wieder Fehler machen dürfen, weg von all der ProTools-Perfektion. Wir haben auf Band aufgenommen und Band ist sehr ehrlich: Du kannst im Nachhinein nichts ausbügeln. Das hört man dem Album auch an, es ist sehr direkt und ungeschliffen.“ Grohl fläzt auf einer Couch, schüttelt sich die Hausschuhe von den Füßen und wirkt sehr entspannt. Neben ihm räkeln sich die beiden anderen Gitarristen seiner Band, Chris Shiflett und Pat Smear. Tags zuvor stellten sie in Berlin ihr neues Album und ihren ersten Film vor, „Foo Fighters – Back And Forth“. Die Dokumentation beginnt mit Grohls Kindheit und endet mit den Aufnahmen von Wasting Light. Dazwischen spricht Grohl mit geröteten Augen über sein erstes Telefonat mit Cobain nach dessen erstem Selbstmordversuch und muss Kritik von seinem ehemaligen Bandkollegen William Goldsmith einstecken, den er bei den Aufnahmen zur zweiten Foo-Fighters-Platte The Colour And The Shape rausgeekelt hatte. Der Film beantwortet viele Fragen: Wie schlimm war es um den bandinternen Alkoholismus wirklich bestellt? – Mit zehn Shots auf dem Weg zur Bühne ging der Abend erst los. War das Verhältnis der Bandmitglieder immer schon so brüderlich wie heute? – Nein, Bassist Nate Mendel konnte Taylor Hawkins lange Zeit nicht ausstehen. Was trieb eigentlich Pat Smear so, nachdem er die Foo Fighters verlassen hatte? – Er vermisste sie, schmerzlich. Trotz aller Antworten, die der Film gibt, lädt die Band am Tag nach der Präsentation zum Gespräch.

Warum tun Sie sich einen Pressetag wie den heutigen überhaupt an?

Dave Grohl: Weil wir euch Journalisten herausfordern wollten! Ihr stellt uns seit Jahren dieselben Fragen. Mit dem Film haben wir sie alle beantwortet und jetzt müsst ihr euch neue überlegen!

Ich versuche, mein Bestes zu geben, The Best Of Me. Herr Grohl, Sie haben einmal eine Band mit einer Beziehung, Aufnahmesessions mit Sex verglichen. Herr Smear, Herr Shiflett, wie war es für Sie, für dieses Album immer ins Bett von Dave Grohl springen zu müssen?

Chris Shiflett: Dave wollte immer oben sein, das hat mich echt angepisst! (lacht)

Pat Smear: Ich war nur besorgt, dass wir Daves Familie zur Last fallen könnten.

Grohl: Quatsch, wir lieben euch. Für mich waren die Aufnahmen natürlich ideal, allein schon das allmorgendliche Aufräumen. Diese stumpfe, repetitive Arbeit war Meditation für mich. Das brauchte ich nach all dem Wahnsinn. Herrgott, vor zwei Jahren wurde in meiner Heimatstadt Warren, Ohio sogar eine Straße nach mir benannt.

Mit Ihrem neuen Album haben Sie sich von all dem Wahnsinn zurückgezogen, sich eingenistet und einen Schutzwall um Ihre Sicherheitszone herum errichtet.

Grohl: Und von dieser Festung aus bombardieren wir nun die Welt mit unserem heftigsten und besten Album.

Zum ersten Mal zieren Ihre Gesichter das Artwork eines Foo-Fighters-Tonträgers. Eine Demonstration neu gefundener Selbstsicherheit?

Grohl: Ja, und ein Bekenntnis zum Altern. Ich bin jetzt 42, Pat ist 51. Mein Bart wird grau, meine Schamhaare werden grau … Wir sehen nicht perfekt aus und das Album klingt auch nicht perfekt. Der Verzicht auf digitale Nachbearbeitung macht es fast unmöglich, perfekt zu klingen. Das wollten wir mit dem Cover zeigen. Wir stehen zu unseren Schwächen.

Sie haben das Album Monate vor Veröffentlichung live aufgeführt und Fans sogar dazu ermutigt, Kameras mitzunehmen – ein weiterer Befreiungsschlag gegen die Welt da draußen mit Ihrer nervösen Musikindustrie?

Grohl: Wird die Welt untergehen, wenn Amateurmitschnitte unserer unveröffentlichten Songs im Internet kursieren? Weiß der Himmel. Ich möchte mich nicht mehr mit unnötigen Sorgen herumschlagen. Die Platte ist fertig, die Leute wollen sie hören und wir wollen sie ihnen zeigen. So einfach ist das. Jemand gab mir mal den Rat, meinen Tag zu dehnen, so viel Licht wie möglich mitzunehmen, bis die Dunkelheit einbricht. Daher kommt auch unser Albumtitel. Ich werde kein kostbares Licht mehr verschwenden und mich nicht stattdessen mit finsteren Gedanken abplagen.

Ein von Ihrem legendären Kaffeekonsum alarmierter Arzt gab Ihnen neulich aber auch den dringenden Rat, weniger Kaffee zu trinken, weniger produktiv sein zu wollen. Das käme einer Verkürzung Ihres Tages gleich.

Grohl: Der Typ ist auch so jemand, über den ich mir keine Gedanken mehr machen möchte. (lacht) Oder sagen wir es so: Ich habe eine zweite Meinung eingeholt.

Konzertkritik S. 105, Albumkritik S. 83