The Beach Boys – Towncenter Plaza, Santa Fe Springs


Ich schließe die Augen und stelle mir vor, ich liege am Strand. Nein, ich stehe am Strand. Mein Name ist Bob, Bill oder Buff, ich sehe blendend aus. Hinter mir parkt mein Chevy Impala, mit dem ich gerade einen dieser ausländischen Sportwagen verheizt habe. Ha, der Typ ist während der Fahrt ausgestiegen, weil er dachte, er sei stehengeblieben. Ich lache, während ich die Geschichte meinen Freunden erzähle. Ich habe viele Freunde. Und viele Bewunderinnen. Ich zerdrücke die leere Bierdose mit der bloßen Hand, werfe sie weg, nur um Platz für die Wespentaille von Lola (oder Kitty? Candy? Sandy..? Egal…) zu schaffen, die sich nun eng an mich schmiegt. Ich liebe Lola. Aber noch viel mehr liebe ich das Meer. Ich schnappe mir mein Longboard, laufe los und bin schon bald in meinem Element. Ich reite die Welle. Sie bricht hinter mir, über mir, ich bin im Tunnel, ich bin eins mit der Welle. Und die ganze Zeit über höre ich Musik: ‚California Girls‘, ‚Surfer Girls‘, ‚God Only Knows‘, ‚Little Deuce Coupe‘, ‚Fun, Fun, Fun‘, ‚Good Vibrations’… der perfekte Soundtrack für dieses Leben, geliefert von who eise? – den Beach Boys! Ich höre die Songs wirklich, denn die Beach Boys spielen wenige Meter entfernt auf der Bühne. Ich öffne die Augen, sehe auf der Bühne sehr alte Männer mit Hörgeräten und schließe sie sofort wieder. Ich stelle mir vor, wir schreiben das Jahr 1966. Die Beach Boys unter Regie von Brian Wilson spielen einen Gig am Strand von Venice. Neue Songs vom ‚Pet Sounds‘-Album. Songs, die eine wunderbare Melange mit der untergehenden Sonne, dem Bubblebild im Bühnenhintergrund und dem Duft von Gras und Kolitas ergeben. Dennis Wilson schwingt eine halbleere Wodkaflasche, trifft Mike Love am Kopf, es kommt zu Handgreiflichkeiten… ich öffne die Augen wieder. Dennis ist nicht da, der ist längst ertrunken. Brian ist weg. Aber Love, Al Jardine, Carl Wilson und Bruce Johnson stehen auf der Bühne und spulen unermüdlich und mit erstaunlicher Originaltreue und Lebhaftigkeit einen Hit nach dem anderen ab: ‚Barbara Ann‘, ‚Help Me Rhonda‘, ‚Surfin‘ USA’… ich kenne sie alle, ich mag sie alle, aber etwas stimmt nicht. Hier läuft der falsche Film zum Soundtrack. Das hier ist nicht der Strand, das ist ein mieses, neues Einkaufszentrum in einer miesen, neuen, geleckten Gemeinde von L.A., bieder und öd. Um mich herum tanzen keine fröhlichen Menschen im Sand, sondern sitzen geladene Unwichtigkeiten der Gemeinde, die meisten fett & faul oder alt, daß sie kein Surfbrett mehr heben könnten, ohne sich einen Oberschenkelhalsbruch zu holen. Wagt einmal ein übermütiger Grünschnabel (alle unter 60) aufzustehen und zu tanzen, drücken ihn Ordner zurück auf den Schemel. Die Beach Boys empfinden es als ähnlich unangenehm: „Danke, daß alle ihre Großeltern mitgebracht haben“, unterbricht Love den Set nach einer halben Stunde. „Da niemand aufsteht, spielen wir nun ein Medley von Barry Manilow-Songs.“ Es ist deprimierend, die Beach Boys in dieser Umgebung zu sehen, traurig, eine Band, die schöne Musik geschrieben hat, zur Hausband des häßlichen Amerika verkümmert zu sehen. Aber ihre Musik klingt immer noch schön. Und als ich die Augen für den Rest der Show schließe, bin ich wieder am Strand. Bob. Gutaussehend. Mädchen. Surfen…