(THE) ARCADE FIRE
Merge/Vertigo Berlin/Universal
Hatte ich schon von meiner bisher einzigen persönlichen Begegnung mit Régine Chassagne von Arcade Fire erzählt? Nein, oder? Es war vor mehr als sieben Jahren im „Feierwerk“ in München. Um genau zu sein: am 22. Mai 2005. Mehmet Scholl, einer der wenigen Fußballspieler, die mit einem guten Musikgeschmack gesegnet sind, war auch im Publikum. Mit zwei mir unbekannten Schönen. Während des Konzerts rüttelte Scholl öfters wie ein Äffchen an einem komischen mannshohen Absperrgitter an der linken Seite der Bühne. Und irgendwann goss eine der mir unbekannten Schönen den Inhalt eines halbvollen Weißbierglases – Inhalt mutmaßlich: Weißbier -über den Kopf des damals 34-jährigen schon-Ex-Nationalspielers. Oder war es umgekehrt? Wurde das Weißbier über dem Kopf der Schönen vergossen? Von Mehmet Scholl? Er jedenfalls nahm es belustigt auf. Aber das tut hier überhaupt nichts zur Sache. Das „Feierwerk“ ist ein eher kleiner Club, und Arcade Fire waren damals eine eher kleinere Band. Aus diesem Grund waren die nicht wenigen Musiker der Band gezwungen, nach dem Auftritt selbst die Instrumente und die Backline abzubauen. Sie waren sozusagen ihre eigenen Roadies. Das muss man sich mal vorstellen: Win Butler und Régine Chassagne, heute Mitglieder der größten „Indie“-Band der Welt, eine, bei der „die sozialen Netzwerke“ schon beim Hauch der Ankündigung eines Pupses verrücktspielen, packen selbst ihre Instrumente ein und kommen dabei ins Schwitzen. Ich hatte die „Arcade Fire EP“ „im Gepäck“, und wie ich Régine Chassagne da so stehen sah auf der kleinen Bühne, wie sie ein Keyboard in einem Keyboard-Case verstaute, oder vielleicht war es auch ein Mikrofonkabel, das sie zusammenrollte, ging ich auf sie zu und erkundigte mich nach ihrer Bereitschaft, mir das Cover der EP zu signieren. Diese signalisierte sie sofort und äußerst freundlich. Neben der Widmung und dem Autogramm versah sie die Plattenhülle auch noch mit einem Strichmännchen. Was mich sehr gefreut hat. Auf dem Rücken der „Arcade Fire EP“ ist der Bandname fälschlicherweise als „The Arcade Fire“ angegeben. Seitdem ich das bemerkt hatte, ordne ich in meiner iTunes-Bibliothek alle Musik der Band wider besseres Wissen unter dem Namen „The Arcade Fire“ ein. Weil der Bandname mit dem bestimmten Artikel über eine Wucht verfügt, die dem Arcade Fire ohne Artikel abgeht. Aber auch das tut hier überhaupt nichts zur Sache.
Die Sache ist nämlich die: die 12-Inch „Reflektor“ (Merge), die auf dem Höhepunkt einer schon ziemlich auf den Keks gegangen seienden Guerilla-Marketing-Kampagne in „ausgewählten“ Plattenläden am 9.9. ab 9 Uhr (abends) zu kaufen war. Zunächst einmal: Arcade Fire scheinen, auch wenn sie überhaupt nicht so wirken, über Humor zu verfügen. Das Cover der Maxi, die auf dem imaginären Label „Sono Vox“ erscheint, ist der imaginären Band „The Reflektors“ zugeschrieben. Das Backcover listet 14 Songs und erweckt somit den Eindruck, dass diese Maxi eine LP ist. Man hat ja nur wenige Pfifferlinge gegeben auf das neue Album von Arcade Fire. Von wegen: Was kann da denn schon noch kommen? Und: James Murphy hat REFLEKTOR produziert. Vermutung: Wie üblich in solchen Fällen von Produzent-arbeitet-mit-relativ-artfremder-Band-zusammen, wird man auf dem Album davon wahrscheinlich hören: genau nichts. Aber „Reflektor“ klingt dann tatsächlich wie ein Song von LCD Soundsystem, der ein bisschen auf den pathetischen Putz haut -ob die anderen Songs des Albums auch so klingen, oder eher nach business as usual, war zum Redaktionsschluss dieser Rubrik noch nicht bekannt. Dieser Song (mit dem Instrumental auf der B-Seite) zumindest ist eine (siebeneinhalbminütige) Folk-Disco-Prog-Symphonie mit Conga-Disco-Beat und Acid-Gezwitschere; mit schönen Zwiegesängen von Win Butler und Régine Chassagne, die hier eher wie von Holy Ghost! erzeugt klingen als von der Indie-Kelly-Family aus Kanada. Das ist natürlich alles saudick aufgetragen und irgendwann gibt auch noch David Bowie seinen pathetischen Senf dazu. Aber es ist schon ziemlich gut. Man kann das natürlich auch ziemlich scheiße finden. Lesen Sie dazu die Kolumne von Dirk Peitz auf Seite 93.
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