„Temp Music“: Deshalb wird Filmmusik immer langweiliger
„300“ hat sich musikalisch bei einem anderen Film bedient, auch in „Thor“ und „Mad Max: Fury Road“ wurde dreist kopiert. Komponisten ärgern sich darüber, dass ihre Kompetenz immer weniger gebraucht ist.
Danny Elfman hat die sogenannte Temp Music („Temp“ für „Temporary“) als „the bane of my existence“ bezeichnet – als etwas, das sein gesamtes Schaffen verneint und bedroht. Es ist nicht lange her, da saß Elfman, einer der wenigen Stars unter den Komponisten, mit Kollegen vor der Kamera und ließ seiner Wut über die „Temporäre Musik“ freien Lauf: Sie hindere ihn an seiner Arbeit, schränke seine Kreativität und die seiner Kollegen ein.
Temp Music ist einer der Gründe, warum in unserer Zusammenstellung der besten Film-Scores nur so wenige Filme aufgelistet sind, die nach der Jahrtausendwende gedreht wurden. Sie ist der Grund, warum die Filmmusik in vielen großen Produktionen so austauschbar klingt, obwohl Geld für die Elfmans und Desplats dieser Welt da ist und sogar ausgegeben wird. Temp Music ist vielleicht einer der furchtbarsten Trends, auf den die großen Studios jemals aufgesprungen sind.
Eines der prominentesten Beispiele für den Einsatz von Temp Music ist der Film „300“. Zack Snyder hat während des Schnittes seines Films offensichtlich das Stück „Victorius Titus“ von Elliot Goldenthal gehört. 1999 landete es auf dem Soundtrack von „Titus“ mit Anthony Hopkins. 2006 hat Snyder seine Zeitlupenorgie „300“ in einer Szene passend zu der Melodie geschnitten. Normalerweise soll diese „temporär“ genutzte Musik später in der Postproduktion durch ein Stück des engagierten Komponisten ersetzt werden. Doch Zack Snyder wies seinen Musiker Tyler Bates an, „Victorius Titus“ nahezu komplett zu kopieren, aber einige Noten zu verändern, um einen Plagiatsvorwurf zu vermeiden. Immerhin war die Szene schon perfekt auf die Melodie geschnitten. Wozu also eigene Klänge hinzufügen?
Bates gehorchte und schrieb das Stück „Returns A King“, das allerdings zu offensichtlich zu nah an der Vorlage aus „Titus“ war. Warner Bros. musste sich später öffentlich bei Oscarpreisträger Goldenthal entschuldigen. Ein bislang einmaliger Fall: Die meisten Score-Kopien, die durch Temp Music entstanden, rutschen einfach so durch oder wurden unter Ausschluss der Öffentlichkeit zugegeben und wahrscheinlich auch vergütet.
Offiziell stillschweigend hingenommen: „Thor“ klaute bei „Transformers“, „Drive Angry“ bediente sich bei „Inception“. Der viel- leicht enttäuschendste Fall: Ausgerechnet George Miller, dessen „Mad Max: Fury Road“ mit Oscars für technische Leistungen und Postproduktion überhäuft wurde, wies seinen Komponisten Junkie XL an, sich bei dem Marvel-Film „The Return Of The First Avenger“ zu bedienen. Wenn in einer Verfolgungsjagd Motorräder über den von Charlize Theron gesteuerten Truck „War Rig“ springen, hört man Klänge aus einem anderen Film.
Zeitdruck und Faulheit
Die Plage Temp Music ist dem modernen Produktionsprozess geschuldet. Bereits während des Drehs geht es dank digitaler Tech- nik in den Schnitt, da hätte Danny Elfman noch nicht die erste Note aufs Papier gebracht. Und im Schnitt lassen sich Cutter und Regisseur musikalisch eben so lange von ähnlichen Filmen inspirieren, bis sie im schlimmsten Fall der Meinung sind, eine völ- lig neue Komposition könne unmöglich zu ihrem Film passen – zumal fast finale Szenen aufgrund der möglichen Ideen der Musiker noch einmal geschnitten werden müssten, was die Einhaltung von Deadlines nicht erleichtern würde.
Bei YouTube und in Filmforen ist eine regelrechte Jagd auf Temp Music ausgebrochen: Stücke werden verglichen, übereinandergelegt, verschiedene Spuren werden isoliert. Das Ergebnis: Vor allem bei Blockbustern wird geklaut und kopiert – und die Scores solcher Filme, bei denen aus Zeitdruck, Faulheit oder mangelnder Kreativität mal wieder Hans Zimmers „Mombasa“ aus„Inception“ verfremdet wurde, sind mit dem letzten Ton gleich wieder vergessen. Oder erinnert sich jemand etwa an eine Melodie aus „Mad Max: Fury Road“?