Taylor Swift: Die Königin kommt nach Deutschland – Ihre Story, ihr Leben, ihre Tour


Der größte Popstar des Planeten kommt nach Deutschland: Taylor Swifts Auftritte sind die Höhepunkte des deutschen Konzertsommers. Alle (außer Donald Trump und Kanye West) lieben Taylor Swift: Millionen von Swifties, deren Eltern und mittlerweile sogar Indie-Fans. Eine märchenhafte Karriere, die vor 15 Jahren nicht vorherzusehen, aber vielleicht zu ahnen war. Unser Autor erinnert sich an eine Begegnung mit einem talentierten Teenager.

Weniger Verpackungsfokus, mehr Musik

Am 21. Februar 2009 hängt ein trüber Himmel über Berlin. Minusgrade, Schnee fällt, hauptstadttypisches Schmuddelwetter. Doch in einem Luxushotel am Potsdamer Platz versucht der Unterhaltungskonzern Universal einen neuen Stern zum Strahlen zu bringen. Der Branchenriese präsentiert der deutschen Presse eine gewisse Taylor Swift, eine 19-Jährige, die außerhalb der USA noch weitgehend unbekannt ist, aber gerade die Country-Hochburg Nashville aufmischt und als potenzielle Nachfolgerin der aktuell regierenden Genre-Königin Shania Twain gefeiert wird. Doch von Country ist an diesem Tag in Berlin nicht die Rede, zumindest wenn es nach dem Willen der Plattenfirma geht. Im deutschen Infotext zu Swifts zweitem, in den USA bereits Monate zuvor erschienenen und zum Hit avancierten Album FEARLESS wird das Wörtchen „Country“ vollkommen vermieden. Die internationale Version des Albums ist um drei Stücke des in Europa eher ignorierten Debüts TAYLOR SWIFT ergänzt worden, einige Songs wurden mit Blick auf den Popmarkt neu abgemischt. Sie hoffe doch sehr, sagt Swift beim Gespräch, „dass die Leute nicht so sehr auf die Verpackung achten, sondern lieber auf die Musik“.

Diese Hoffnung, das wissen wir heute, sollte sich erfüllen. And then some, wie der Amerikaner so sagt. 15 Jahre später ist der Teenager aus dem Hotelzimmer am Potsdamer Platz der größte Popstar des Planeten, ja vielleicht aller Zeiten. Sie setzt Milliarden um, sie bricht Rekorde, die einst Elvis Presley, die Beatles oder Michael Jackson gesetzt haben, sie sammelt die Grammys wie andere Briefmarken – und gilt doch auch als begnadete Lyrikerin und Storytellerin, die auf diesen Umstand im Titel ihres Albums THE TORTURED POETS DEPARTMENT anspielt. Die seit März 2023 laufende „Eras“-Tour ist die Konzertreise mit dem höchsten jemals erzielten Umsatz – und dass Swift 2024 auch in drei Städten hierzulande Station machen wird, ist der Höhepunkt des deutschen Konzertsommers.

„Es gab und gibt keinen Masterplan“

Swift ist ein Phänomen. Sie ist Dauerthema in den Klatschspalten, aber ihr Schaffen wird auch an Universitäten und bei wissenschaftlichen Kongressen erforscht und analysiert. Die Harvard-Universität bietet in diesem Frühjahr einen Kurs „Taylor Swift and Her World“ an. Sie ist Hassfigur und abgöttisch geliebter Star, das Ausmaß ihres Ruhms nimmt bisweilen groteske Züge an. Viele Millionen Swifties halten sie für ihre beste Freundin und überziehen ihre – mittlerweile nur noch wenigen – Kritiker:innen mit Shitstorms. Das „Time Magazine“ kürte sie für das wahrlich bewegte Jahr 2023 vor Politiker:innen und Wirtschaftsbossen zur „Person des Jahres“. Ja, sogar US-amerikanische Präsidentschaftskandidaten fürchten ihren Einfluss. Es wäre gelogen, zu behaupten, ich hätte diese sagenhafte Karriere an diesem Februartag 2009 kommen sehen. Niemand hat diesen Aufstieg prophezeit, niemand hat ihn vorhergesehen, niemand geplant, nicht einmal Taylor Swift selbst. „Ich gebe zu, von außen mag das so aussehen, aber es gab und gibt keinen Masterplan“, hatte Swift damals gesagt. „Ich bin, so leid es mir tut, einfach nur ich selbst.“ Aber als ich an diesem Tag wieder ins nasskalte Berliner Winterwetter trat, hatte ich das sehr bestimmte Gefühl: Aus der wird mal was Großes. Aber so groß?

Schon damals war Taylor Swift eine extrem selbstsichere Künstlerin, die sehr gern geduldig erklärte, welche Mühe es einer jungen Frau kostete, im von – heute würde man sagen – toxischer Männlichkeit dominierten Musikgeschäft die künstlerische und
geschäftliche Kontrolle zu behalten. Wie schwer es gerade in Nashville war, eigene Songs zu eigenen Bedingungen aufzunehmen, um damit dem Country die vollkommen neue Zielgruppe junge Frauen zu erschließen. Wie sie die damals noch in den Kinderschuhen steckenden sozialen Medien nutzte, um die Gatekeeper zu umgehen und direkten Kontakt mit ihren Fans aufzunehmen. Swift mag damals noch vornehmlich über ehemalige Boyfriends und Bad-Hair-Days gesungen haben, aber wer mit ihr sprach, konnte es ahnen: Swift war ganz und gar nicht das naive Blondchen, für das sie in den Jahren darauf und überraschend lange gehalten wurde. Noch 2022 unterstellte ihr der gewiss nicht bescheuerte Damon Albarn, sie würde ihre Songs nicht selbst schreiben.

Doch Swift wusste schon als Teenie sehr genau, was sie wollte – und sie hatte die nötige Durchsetzungskraft. Bald würde sie nicht mehr mit ihrem Idol Shania Twain konkurrieren, sondern mit der ebenfalls von ihr verehrten Madonna. Die sprach im vergangenen Jahr ihrer Nachfolgerin als Königin des Pop das denkbar größte Lob aus, indem sie Swift mit sich selbst verglich: „Sie hat eine Meinung und sie hält sich nicht an Konventionen. In dieser Hinsicht ist sie wie ich.“ Darüber kann man jetzt stolpern. Swift hält sich nicht an Konventionen? Verkörpert sie nicht – gerade im Gegensatz zur beständig provokanten Madonna – das brave Mädchen von nebenan, die ideale Schwiegertochter, die beste Freundin? Ja, aber Swift hat diese Klischees immer wieder gebrochen. Nicht so offensiv und laut wie Madonna, aber doch deutlich und entschieden. Schon in ihren ersten Songs beging sie den Tabubruch, nicht nur ihr Leben als Inspiration für ihre Songs zu verwenden, sondern auch die Vornamen ihrer ehemaligen Flammen und verflossenen Freunde zu nennen – vom unbekannten Drew aus „Teardrops On My Guitar“ bis zu dem an John Mayer gerichteten „Dear John“. Später engagierte sie sich für LGBTQ-Rechte und positionierte sich 2018 sogar – gegen den Rat ihres Umfelds, das Angst vor einem Karriere-Selbstmord hatte – offen gegen eine ultrakonservative, von Donald Trump geförderte republikanische Kandidatin. Der damals amtierende US-Präsident verkündete daraufhin, er möge Swifts Musik nun „25 Prozent weniger“. Swift konnte zwar nicht verhindern, dass Marsha Blackburn für Tennessee in den Senat einzog, aber sie hatte zehntausende junge Menschen dazu gebracht, sich für die Wahl registrieren zu lassen – und verkaufte trotzdem sogar noch mehr Platten.

Heute hat Swift noch sehr viel mehr Fans, ihr Einfluss hat sich potenziert – und er könnte sich schon sehr bald auf die Weltpolitik auswirken. Denn es ist ein offenes Geheimnis in Washington, dass die Demokratische Partei und der vor allem bei jungen Wählern wenig beliebte Amtsinhaber Joe Biden hoffen, dass Swift noch rechtzeitig vor der kommenden Präsidentschaftswahl ihre Unterstützung erklärt. Etwas, was die Republikaner fürchten, vor allem, seit sie mit dem Football-Star Travis Kelce liiert ist und nun ein noch größeres, männlicheres, konservativeres Publikum erreicht. Die Rechtsaußen in der US-amerikanischen Politik wittern gar eine Verschwörung, für sie ist Swift eine Agentin der aktuellen Regierung und die Verbindung mit Kelce ein großer Plot, Biden an der Macht zu halten – eine Verschwörungstheorie, die auch vom Murdoch-Sender Fox propagiert wird. Nun ist nicht zu erwarten, dass ein 54-jähriger Pittsburgh-Steelers-Fan auf die Empfehlung eines Popstars hin Biden statt Trump wählen wird. Aber sollte Swift ihre 282 Millionen Follower auf Instagram und ihre 85 Millionen auf X auffordern, unbedingt zur Wahl zu gehen, könnten wohl tatsächlich ein paar entscheidende Teenager und Twens mobilisiert werden, die sonst am Wahltag zu Hause geblieben wären.

„A really smart businesswoman“

Ob Swifts Einfluss auf die Präsidentschaftswahlen tatsächlich dermaßen groß sein könnte, ist bei Politanalysten zumindest umstritten. Unbestritten ist ihre wirtschaftliche Macht – und das betrifft nicht nur die Einnahmen, die sie selbst generiert, sondern auch die Kollateralumsätze, von denen alle profitieren, die mit ihr in Kontakt kommen. Wie einst König Midas, scheint alles, was Swift berührt, zu Gold zu werden. „A really smart businesswoman“ zu sein, bescheinigte ihr die Freundin und Kollegin Kellie Pickler schon, als Swift in ihrer Heimat noch nicht einmal legal Alkohol trinken durfte. Eine Einschätzung, die Swift seitdem immer wieder bestätigt hat. Die Entscheidung, ihre ersten sechs Alben neu aufzunehmen, um sich die von den Plattenfirmen verkauften Rechte neu zu sichern, galt zuerst als größenwahnsinnig. Doch das Projekt, mit dessen Komplettierung durch die letzten beiden Rerecordings in diesem Jahr gerechnet wird, ist längst als einer der genialsten Schachzüge in der Geschichte des Geschäfts mit populärer Musik etabliert. Und dass Swift und ihr Team beim Vertrieb des Konzertfilms zur „Eras“-Tour die üblichen Verleiher übergingen, sicherte nicht nur ihr und den Kinos höhere Einkünfte, sondern könnte die gesamte Filmverleihstruktur umkrempeln.

Ende 2023 schätzte das „Forbes Magazine“, Swift sei 1,1 Milliarden Dollar schwer. Zu solchem Reichtum ist zuvor noch nie ein Künstler oder eine Künstlerin allein mit Musikverkäufen und Auftritten gekommen. Sogar Olivia Benson, eine von Swifts drei, allesamt nach Figuren aus TV-Serien und Filmen benannten Katzen, soll dank Auftritten in Werbung und Musikvideos ein Vermögen von 97 Millionen Dollar besitzen – jedenfalls, wenn man Websites glaubt, die sich mit solch seriösen Themen wie dem Reichtum von Haustieren beschäftigen. Sicher ist immerhin, dass Olivias Besitzerin märchenhafte Umsätze garantiert – und das nicht nur für sich selbst. Als Swift 2022 MIDNIGHTS herausbrachte, verkrafteten das die Server von Spotify nicht, der Streamingdienst wurde kurzzeitig lahmgelegt – und zehn Songs des Albums stellten die Top Ten der US- Charts, womit Swift einen Rekord des bisherigen Streaming-Königs Drake brach. Seit Swift mit Kelce zusammen ist und dessen Auftritte mit den Kansas City Chiefs gelegentlich im Stadion verfolgt, schalten 53 Prozent mehr weibliche Teenager Übertragungen der National Football League (NFL) ein als früher. Die Consulting-Firma Apex Marketing schätzt, dass Swift der NFL einen zusätzlichen Umsatz von 331,5 Millionen Dollar beschert hat – und das war vor dem Super Bowl im Februar. Das Endspiel, das die Chiefs gewannen und nach dem das Celebrity-Paar auf dem Spielfeld knutschte, war dank des Swift-Effekts die meistgesehene TV-Sendung in der US-Geschichte.

Die „Eras“-Tournee ist die erste in der Geschichte der Popmusik, mit der mehr als eine Milliarde Dollar eingenommen wird. Am Ende dürfte Swift wohl Tickets für mehr als zwei Milliarden Dollar verkauft haben. Die sonstigen Konsumentenausgaben, die am Rande der Konzerte generiert werden, werden allein in den USA auf mehr als vier Milliarden Dollar geschätzt. Der dazugehörige Film ist der umsatzstärkste Konzertfilm aller Zeiten vor Michael Jacksons „This Is It“. Eine Geldmaschine, die im Juli auch Deutschland besuchen wird. Die Tickets für die jeweils zwei Stadion-Auftritte in Hamburg und München sind ebenso schon seit Monaten vergeben wie die für die drei in der Arena des Fußball-Zweitligisten Schalke in Gelsenkirchen. Die Ruhr Tourismus GmbH schätzt, dass die drei Swift-Konzerte der Region 30.000 zusätzliche Übernachtungen bescheren.

Alle lieben Taylor, seit dem Lockdown-Album FOLKLORE und der Zusammenarbeit mit Bon Iver und Aaron Dessner von The National sogar Indie-Publikum und -Kritik. Doch einen festen Platz hat sie vor allem im Herzen von sehr jungen, jungen und mittlerweile mit ihr erwachsen gewordenen Frauen und deren Müttern. Die stellen weiterhin die große Mehrheit der Abermillionen Swifties, die jede Äußerung, jeden Auftritt, jeden Song auf Bezüge zu ihrem eigenen Leben durchforsten – und nach versteckten, rätselhaften Hin- und Querverweisen, sogenannten „easter eggs“, aus denen sich Swift und ihre Fans einen Spaß machen.

Dank dieser direkten Kommunikation mit ihren Fans über ihre Texte und die sozialen Medien, aber unter Ausschluss der konventionellen Medien, ist Taylor Swift zum perfekten Popstar geworden für eine Zeit, in der sich die Fronten verschoben haben. Einst verlief die Trennlinie zwischen den Generationen: Die Alten waren konservativ und rückwärtsgewandt, die Jungen progressiv und liberal. Nun, das bestätigen Studien, verläuft diese Kluft nicht mehr zwischen Jung und Alt, sondern zwischen Männern und Frauen – und das in Ländern weltweit, in den USA genauso wie in Deutschland oder Polen, Südkorea oder China.

Diesen Frauen gibt Taylor Swift eine Stimme – mit ihren Songs, aber auch durch ihr Privatleben, das sie in diesen Songs offensiv verarbeitet. Sie ist eine kinderlose 34-Jährige mit wechselnden Liebesbeziehungen, die Essstörungen und mentale Probleme erlebt hat – eine prototypische moderne, junge Frau mit alltäglichen Problemen, die sich ganz selbstverständlich als Feministin definiert und sich solidarisch erklärt mit LGBTQ. Ein Lebensentwurf, für den sie spätestens durch die misogynen Angriffe von Kanye West zum Postergirl wurde. Wie sie aus der daraus folgenden Krise sogar noch gestärkt herausfand, zeigt „Miss Americana“.

In der Dokumentation wird aber nach nahezu zwei Jahrzehnten an der Spitze der große Absturz prophezeit – von jemandem, der es wissen muss: Taylor Swift selbst. „Wir leben in einer Gesellschaft, in der Frauen im Unterhaltungsgeschäft auf dem Elefantenfriedhof verscharrt werden, wenn sie 35 werden“, sagt sie in „Miss Americana“. „Die Künstlerinnen, die ich kenne, haben sich 20 Mal öfter neu erfunden als ihre männlichen Kollegen. Sie mussten, denn sonst hätten sie keinen Job mehr. Sich ständig neu erfinden, ständig neue Facetten seiner Persönlichkeit finden, die die Menschen aufregend finden. Sei neu für uns! Sei jung für uns! Aber auf eine neue Weise und nur so, wie wir es gut finden! Erfinde dich neu, aber so, dass es uns tröstet und für dich eine Herausforderung ist! Lebe eine Geschichte, die wir interessant genug finden, dass wir unterhalten werden, aber nicht so schräg ist, dass uns unbehaglich wird!“

Wenn das jemand schaffen kann, diesen 35. Geburtstag zu überstehen, das popkulturelle Verfallsdatum entscheidend zu verschieben, dann ist es wohl Taylor Swift. Denn dermaßen relevant zu bleiben in der Postmoderne der Popmusik mit ihren vielen verschiedenen Blasen, über einen solch langen Zeitraum die gesellschaftlichen und kulturellen Fragmentierungen zu überwinden, wie sie das geschafft hat, das schien eigentlich unmöglich. Mal sehen, ob die ewig Unterschätzte uns noch weiter überraschen wird.