Interview

„Tatort“-Darsteller Mark Waschke im Gespräch: „Musik kann mehr als ein Schauspieler“

Der eine Part des Berliner „Tatort“-Duos im Interview über politische Drehbücher, fehlende Themenvielfalt, die Kunst der Debattenführung und seine Leidenschaft für Musik.


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Seit nunmehr zehn Jahren ermittelt Robert Karow – gespielt von Mark Waschke – im Berliner „Tatort“. Wenn er nicht damit beschäftigt ist, Verbrechen aufzuklären, durch den Untergrund der Hauptstadt zu jagen oder in seiner Rolle als Hauptkommissar auch gerne einmal auf unkonventionelle Art Spuren nachzugehen, bespielt Waschke die Theaterbühnen und Kinoleinwände des Landes, ist regelmäßiger Gast bei Lesungen, Hauptakteur seines Soloprogramms oder tritt gar in Multimedia-Performances auf, wie zuletzt in „Die Zeitmaschine“. Dabei sind seine Darbietungen stets von einer gewissen Dringlichkeit, Neugier und Tiefgründigkeit geprägt.

Anlässlich der neuen „Tatort“-Folge „Vier Leben“ (Ausstrahlung am 16. Februar 2025, Das Erste, 20:15 Uhr) sprachen wir mit dem Schauspieler über den Reiz politische Drehbücher umzusetzen, seinem Wunsch nach mehr Themenvielfalt auch abseits der Norm und seiner Leidenschaft für Musik.

ME: Wie sind Sie durch die ersten grauen Wochen des Jahres gekommen?

Mark Waschke: Ich vermisse den klaren, kalten Winter des Januars und bin ein bisschen betrübt, dass es hier jetzt schon wieder kurz Frühling sein soll. Aber im Februar kann man ja wieder sicher sein – spätestens zur Berlinale – dass es matschig und labberig wird. Da freue ich mich schon drauf.

Das Thema Afghanistan findet mittlerweile – zumindest medial – kaum noch Beachtung. Im neuen Fall „Vier Leben“ rückt es ins Zentrum der Ermittlungen. Was war denn Ihr erster Eindruck, als Sie das Skript gelesen haben?

Ich bin sehr von dem Mut und der Lust begeistert gewesen, so einen politischen Thriller zu erzählen. Und zudem ein Thema zu wählen, das zwar nicht mehr ganz tagespolitisch ist, sich aber aus ganz konkreten Ereignissen speist. Und dieses dann mit allen Ambivalenzen aufzufächern und nicht einfach einer Binarität von Gut und Böse zu unterwerfen, sondern zu versuchen, auch die Komplexität des Ganzen darin unterzubringen. Gleichzeitig ist da die Herausforderung, das dann auch in 90 Minuten zu bewältigen. Das ist bei der Buchentwicklung sehr geglückt. Insbesondere die Verkettung der Umstände und die einzelnen Verwicklungen der unterschiedlichen Interessensbereiche so zu zeigen, ohne dass man das schnell abhaken muss.

Jemand hat nach der Premiere gesagt: „Mensch, hättet ihr da mal einen Zweiteiler draus gemacht“ – so wie bei den ersten Folgen von Corinna [Harfouch] und mir. Vom Material her wäre das sicher möglich gewesen. Ich persönlich bin aber beim „Tatort“ wirklich kein Freund von diesem seriellen Erzählen, denn ich finde, das ist gerade die Stärke des „Tatort“. Er kommt am Sonntag und ist auch am Sonntag zu Ende. Und man kann am Montagmorgen darüber reden. Insofern finde ich das – eine Woche vorher – eine sehr gute Einstimmung zur Bundestagswahl. Auch weil es eben kein Film ist, der sagt, das ist jetzt mal ein gut gemeinter „Tatort“ zu dem Thema und dann weiß man hinterher, wie man darüber denken soll. Er reißt eher etwas auf und legt dann den Finger in mehrere Wunden, als dass er meint, sich moralisch irgendwo positionieren zu müssen.

Worin liegt denn für Sie als Schauspieler einerseits der Reiz, aber vielleicht auch eine besondere Herausforderung bei so politisch aufgeladenen Drehbüchern, die eben weit über eine normale Ermittlung hinausgehen?

Das hängt immer vom Format und dem Kontext ab. Wenn ich ein Arthouse-Kinofilm mache, wie „Der menschliche Faktor“, der auf dem Sundance Filmfest lief, dann leider nur in ein paar Kinos sehen war und dann vielleicht irgendwo noch mal bei MUBI oder so gestreamt wird, ist das natürlich ein anderer Kontext, als wenn man einen „Tatort“ macht. Ich finde nach wie vor, die Riesenchance beim „Tatort“ ist, in diesem Rahmen Themen zu verhandeln, die eine gesellschaftliche Komplexität tangieren, wenn da acht bis zehn Millionen Leute zuschauen.

Ich habe selber ein paar „Tatorte“ gesehen, da sage ich, die waren gut gemeint und schlecht gemacht. Wenn man das Gefühl hat, man soll zu einem richtigen Denken erzogen werden. Gerade in diesen Zeiten von Polarisierung und einer aufgeheizten Stimmung, wo man sich – angefeuert durch die sozialen Medien – in politische Debatten hineintreiben lässt, wo man eigentlich gar nicht hin will, weil man sagt: Warum redet keiner mehr über die Ökonomie, sondern nur über irgendwelche Migrationsfragen, wo man sagt, da nimmt einem einer was weg. Ja, weil es um um Gefühle geht. Das haben wir vielleicht oft unterschätzt. Und das ist in der Politik wichtig.

Letztens ist mir eine Oma mit ihrer Enkelin auf der Straße begegnet, die mir beide begeistert erzählt haben, sie gucken immer zusammen „Tatort“. Wo sind diese Orte, wo unterschiedlichste Menschen, unterschiedlichsten Alters zusammenkommen und kurz die politische Klappe halten und sich auf eine Geschichte einlassen und hinterher noch drüber reden können? Das funktioniert nur, finde ich, wenn man genau diese Widersprüche möglichst gut aufreißt, möglichst radikal auch in alle Richtungen formuliert, aber sich vor dem moralischen Beurteilen hütet, was ist nun Gut oder Böse. Ich finde es immer spannend zu sehen: Das Verbrechen ist aufgeklärt, aber die Welt ist nicht wieder in Ordnung. Man sieht nur eher genauer, wie sehr sie in Unordnung ist. Und es werden unterschiedliche Rezepte aufgezeigt, mit der Unordnung umzugehen.

Welchen gesellschaftspolitischen Inhalten würden Sie gerne einmal auf der Leinwand oder im Theater nachgehen, die im öffentlichen Diskurs vielleicht eher eine Randerscheinung sind?

Das ist eine interessante Frage. Es gab für mich die stilbildende Serie „The Wire“ vor ca. zwanzig Jahren. Sie spielt im Drogenmilieu in Baltimore, in der die Arbeit einer Polizeieinheit beleuchtet wird. In der zweiten oder dritten Staffel gingen sie den radikalen Schritt und haben eine ganze Staffel lang nur das Bildungssystem beleuchtet. Der eine von den Bullen hatte die Schnauze voll und ist Lehrer geworden. Man ist da hingegangen, wo die Jugendlichen sind, kurz bevor sie alle straffällig oder drogenabhängig werden und hat geguckt, wie dort die Lehrer an der Front kämpfen. Ich finde im Bereich Bildung so irre, dass die Forschung schon viel weiter ist. Die Bildungsforschung sagt, man braucht keine Hausaufgaben, das bringt nichts. Und Lernen nach Interesse macht mehr Sinn als nach Schulfächern. Aber das sickert nicht ein, weil die Leute da alle zu störrisch sind. Nun würden manche gleich sagen, das gibt für einen Krimi nicht so viel her. Ich finde die Welt aber so spannend. Generell das Thema Bildung und Erziehung. Wie gehen wir mit der Vermittlung von Wissen um? Nicht nur Knowledge im Sinne von analytischem Wissen, sondern auch mit gesellschaftlichem Wissen: Wie man miteinander umgeht, wie man auf seine Gefühle hört, wie man mit seinem Körper umgeht. Wie wird das gesellschaftlich vermittelt oder eben nicht vermittelt.

Einen anderen Bereich, den ich immer unterrepräsentiert finde, ist jener, der ökonomische Fragen aufwirft. Ich finde Fragen von Wirtschaft in der gesellschaftlichen Diskussion kommen zu wenig vor. Wie funktioniert Ökonomie? Wie wird Profit erwirtschaftet? Und man nicht nur gezeigt bekommt, wie verbrecherisch, da einige drauf sind. Ich finde es interessant zu sehen, dass keiner darüber redet, dass die Einkommensunterschiede immer größer werden oder die Klassen immer weiter auseinander driften als noch vor dreißig Jahren. Und man nimmt das als gegeben hin. Man stürzt sich stattdessen auf andere Themen.

Über KI gibt es schon genug „Tatorte“, glaube ich. Eigentlich ist es das krasseste Thema unserer Zeit, das wir alle unterschätzt haben. Das ist eh nicht mehr aufzuhalten. Deswegen nutzt es da auch nicht, noch irgendwelche wütenden „Tatorte“ zu machen. Die Entwicklung der KI werden wir damit nicht aufhalten.

Ich sage selber immer, mich interessiert nicht der Krimi primär, sondern die Art und Weise, wie die Menschen zusammenleben und sich in der Stadt organisieren – sich aushalten oder eben nicht aushalten. Gerade in einer Stadt wie Berlin. Ich finde die unterschiedlichen Formen des Zusammenlebens sehr interessant. Das ist die kleinbürgerliche, ganz normale Familie, wie es sie in der westdeutschen Provinz gibt. Das ist aber auch offene, polyamore Beziehung, wo zwei Paare zusammen vier Kinder haben. Und selbst die Kinder schon anders mit dem Thema Beziehung umgehen, als zum Beispiel ihre Großeltern. Und wie das auch durchaus miteinander kollidiert.

Bei aller Offenheit darf man nicht vergessen, dass in manchen Gegenden dieses Landes nicht nur queeres Leben attackiert wird, sondern auch alles Leben, das Dinge in Frage stellt, wie zum Beispiel die Monogamie. Das habe ich schon oft in Interviews gesagt. Ich finde es so absurd, dass wir das alles nicht infrage stellen. Die Zweierbeziehung und dass man dann in ein Haus zieht usw. – das ist relativ neu in der Menschheitsgeschichte. In Deutschland gibt es das noch nicht mal seit 100 Jahren. Es geht darum, dass man mal zeigt, dass es auch ganz andere Lebenswelten gibt. Und die funktionieren genauso gut – oder eben genauso schlecht.

Haben Sie das Gefühl, dass solche Stoffe schlichtweg nicht existieren oder einfach der Mut fehlt, diese Themen umzusetzen? Werden die Zuschauer:innen unterschätzt?

Es fällt mir schwer, das so pauschal zu verurteilen, weil das immer eine Diskussion ist, die konkret mit den Redaktionen oder Produktion zu tun hat. Generell finde ich aber, es ist durchaus auch im öffentlich-rechtlichen Bereich viel mehr drin.

Ich spüre in vielen Momenten, sogar manchmal am Theater, eine Zurückhaltung, weil auch dort der ökonomische Druck immer größer wird. Im öffentlich-rechtlichen Raum gibt es den ja eigentlich gar nicht. Deswegen fragt man sich, warum hören die Verantwortlichen bei der Planung und Entwicklung nicht mal auf ihre eigene Intuition? Auf ihre Bedürfnisse, was sie selber für Filme machen möchten? Sondern haben zu oft im Hinterkopf, wie sie selber meinen, dass andere das denken, wahrnehmen und rezipieren können. Gerade für Erzählweisen, die die normale narrative Ebene ein bisschen aufbrechen, ohne dass man gleich sagt, das ist jetzt aber wahnsinnig experimentell. Diese Formen des Erzählens funktionieren woanders – auf YouTube etc. – total gut. Es gibt allgemein eine gewisse Scheu, die ich nicht verstehe, weil ich glaube, das man mit dieser Art der Erzählung ja durchaus eine Verbindung zum Zuschauer herstellen könnte. Man sagt, die jungen Leute haben gar keine Aufmerksamkeitsspanne mehr, lesen keine Bücher und sind es nur noch gewohnt sich eine Minute zu konzentrieren. Ich glaube, dass man sie an das narrative, ausführlichere Erzählen heranführen kann. Eben mit anderen Erzählweisen, indem man ein paar Impulse aus deren Welt ruhig übernimmt.

Ich bin ein Freund von sehr langen Einstellungen und auch von viel Stille. Ich persönlich mag Filme, wo kaum etwas passiert. Aber ich mag es auch, wenn wie bei „Vier Leben“ auch mal richtig hart geschnitten wird. Oder es eine Verfolgungsjagd gibt. Auch hierbei spielen Emotionen eine Rolle. Man kann die Themen anders setzen, wenn man nicht nur vom Kopf her denkt, sondern guckt, was macht das mit einem? Was macht das mit den Körpern? Wir wissen im Leben intuitiv ganz oft, wie es richtig geht und machen es dann doch nicht, weil wir uns rational ausbremsen. Bei der Entwicklung von Stoffen ist das manchmal auch so. Eigentlich ist es oft so klar, wie man es machen könnte oder müsste. Warum machen wir es dann nicht einfach so?

Es heißt immer wieder, die Gesellschaft hätte die Fähigkeit verloren, einen offenen Diskurs zu führen. Als Kulturschaffender setzen Sie sich in Ihrer Arbeit mit kritischen Themen und vielfältigen Meinungen auseinander. Worüber möchten Sie nicht mehr diskutieren? Bei welchem Thema geht Ihnen dagegen nie der Atem aus?

Ich würde das in beide Richtungen schreien, nämlich sowohl in die, die sich darüber aufregen, als auch diejenigen, die sagen, man muss es unbedingt machen: Ich bin es müde, übers Gendern und so etwas zu diskutieren. Wer sagen möchte Fernsehzuschauerinnen und -zuschauer, der kann das doch sagen. Und wer einfach nur liebe Zuschauer sagt, der soll das auch sagen können, ohne dass er gleich jemanden diffamiert. Ich finde es immer schwierig, sich in diese Opferhaltung zu begeben und von anderen einzufordern, sie mögen einen doch bitte unbedingt anders behandeln, damit man sich selber nicht als Opfer fühlt. Ich finde, da kann man selber für sich Verantwortung übernehmen. Worüber ich nie zu wenig reden kann, ist: Wo hängt das Private mit dem Politischen zusammen und umgekehrt? Dass man sein gesellschaftliches Wesen nicht nur erfährt und begreift, wenn man den Müll trennt und die Bi-Bananen statt die von Chiquita kauft, sondern begreift, dass die Art und Weise, wie wir miteinander umgehen auch rückwirkend auf die Art der politischen Debattenführung Einfluss hat.

Wie hören wir uns wirklich zu? Wie versuchen wir einander erst einmal vollkommen zu verstehen, bevor wir uns gleich wieder auf den Kopf hauen und sagen, das ist falsch, falsch, falsch. Wie hängt das Kleine mit dem Großen zusammen? Wie halten wir Widersprüche aus? Das in einer Debatte konkret zu machen, das finde ich entscheidend. Wo man merkt, ich sag jetzt mal, ich bin pro Palestine, Leute, aber ich bin auch absolut pro Israel. Können wir uns bitte einfach mal zuhören? Außerdem geht es hier gerade viel mehr um uns und nicht um die anderen. Was heißt es denn, wenn man mit zwei, drei Wahrheiten im Körper herumlaufen kann und sich selber aushält? Dann kann man die anderen doch vielleicht auch aushalten. Aber dafür braucht es eine Bereitschaft, sich wirklich aufeinander einzulassen. Das heißt nicht, dass man bestimmte Kämpfe nicht kämpft.

Wenn ich an das denke, was da kürzlich im Bundestag passiert ist, bin ich selber noch im Schock und weiß auch noch nicht, wie ich damit in meinem privaten Leben umgehen werde. Es gibt bei alldem natürlich Grenzen. Ich bin bereit, mit Leuten zu diskutieren, die Nazis wählen. Aber ich habe wirkliche Schwierigkeiten, mit Nazis zu diskutieren. Da sehe ich keinen Sinn drin. Aber es sind eben auch nicht alles Faschisten, die die Faschisten wählen. Und mit denen möchte ich versuchen, im Gespräch zu bleiben, damit sie das nicht mehr tun.

Was für Musik begleitet Sie denn vor einem Dreh bzw. am Set? Oder ist Musik eher etwas, das Sie in Ihrer Freizeit genießen?

Schöne Frage! Das ist tatsächlich sehr unterschiedlich. Ich habe in den letzten Jahren manchmal Playlisten angelegt für jeden Film, den ich mache. Es gibt da so eine Robert-Karow-Playlist. Es gibt ein paar Songs, die funktionieren für mich immer, um in die Rolle reinzukommen. Da kann ich jetzt aber nicht verraten, was das ist. [lacht]

Zuletzt habe ich am Set Ambient-Drone-Sachen gehört, um ein bisschen runterzukommen. Ganz lange Stücke mit sehr schweren Frequenzen und wenig Beats. Und bei einem anderen Film habe ich dann sehr harten Techno gehört oder bin ich auf 70er-Jahre-Sachen gekommen, wie T. Rex und David Bowie und solches Zeugs. Musik tut schon sehr gut. Sie macht das Rationale ein bisschen weicher und all das, worüber ich vorher gesprochen habe, ein bisschen möglicher im Körper. Ja, Musik kann mehr als ein Schauspieler. Musik kann direkt ins Herz treffen.

Und der Schauspieler plappert zwanzig Minuten rum und trifft dann doch nicht das Herz, sondern kurz daneben. [lacht]

Ein Tag ohne Musik ist …?

Ein unmöglicher Tag. Selbst wenn ich keine Musik höre, spüre ich die Klänge und die Geräusche um mich herum als etwas, was mich beflügelt und mir das Herz öffnet.