Tangerine Dream


Im Ausland, speziell in Großbritannien, kassiert Tangerine Dream nun schon seit geraumer Zeit ausgewachsene Erfolge: Die Alben der Berliner Band steigen stets hoch in den Hitparaden, und in ihren Konzerten brandet überall Jubel. In Deutschland hielt sich der Zuspruch dagegen bislang in Grenzen, kletterten die Verkaufszahlen der Tangerine Dream-Platten nur zögernd in die Höhe. In diesem Tagen allerdings bahnt sich offenbar eine Trendwende an. Zum ersten Mal glauben Konzertveranstalter an die Zukunft der Gruppe und holen sie in die ganz großen Hallen zwischen Hamburg und München: Ein Traum, so scheint es. bekommt endlich Flügel. ME-Mitarbeiterin Ingeborg Schober nahm sich die am 20. Oktober angelaufene Deutschland-Tournee zum Anlaß, sich mit den Tangerine Dream-Musikern Edgar Froese. Peter Baumann und Christoph Franke zu unterhalten.

ME: Peter, wie steht’s bei euch eigentlich mit dem Kontakt zum Publikum?  

Baumann: Wir haben jetzt das Gefühl, daß wir sehr gern direkt und konkret den Leuten sagen wollen, was wir meinen, während wir früher relativ wenig Kontakt und für uns allein ein Klangerlebnis hatten. Vielleicht haben wir aber auch dadurch den Boden vorbereitet für die jetzt angebrochene Zeit, wo wir das Handwerkszeug kennen , mit dem wir umgehen wollen und somit direkt zu den Leuten kommen können. Und gerade, wenn du weißt, daß die nächste LP, bevor sie veröffentlicht ist, schon 100000 Stückverkauft, dann ist das ein ganz anderer Ausgangspunkt als früher, wo wir nicht mal daran dachten, nur ein Stück zu verkaufen.

ME: Wie stellt ihr euch denn einen besseren Kontakt vor? Euer Publikum zeigt doch ganz bestimmte Verhaltensweisen, versinkt in eine „weihevolle“ Stimmung!

Froese: „Ich erinnere mich da nur an eines dieser Kirchenkonzerte letztes Jahr in England. Du mußt dir mal vorstellen, vier- bis fünftausend Leute sitzen da in einem Ding drin, und du willst anfangen zu spielen und du hörst nichts! 5000 Leichen…. das ist jetzt keine Abwertung, die haben das ernst gemeint, die waren so voll drauf. Und trotzdem… kannst du dir vorstellen, daß du am liebsten nach vorne gegangen wärst und losgeschrien hättest?

Wenn du das aber machst, und das verdammt ehrlich und ernst meinst, die Leute nicht verscheißern willst, sondern nur in dem Moment sagen willst „Leute, so ist das nicht gemeint!“, auf der anderen Seite natürlich willst, daß die Leute leise sind, das ist so paradox. Aber diese Leichenschauhausatmosphäre ist furchtbar, die ist tödlich!“

Baumann: Ich find’ die sehr stimulierend!

Froese: Ich find’ die manchmal zum Ankotzen!

ME: Könnt ihr das alles nicht durch eine Art Bühnenshow auflockern?

Froese: Ich hoffe, daß man in irgendeiner Form, die noch nicht konkretisierbar ist, aus sich herausgeht. Daß bestimmte Dinge vom Bewegungsablauf her anders sind.

Franke: Mehr Dinge für die Augen.

ME: Peter, meinst du, daß man eure Musik analysieren kann?

Baumann: Nein, sie geht über das allgemeine Begreifen völlig hinaus, nicht ohne Grund. Versuch erst gar nicht, das Ding zu analysieren. Das ist einfach so, das muß einfach so sein, das soll so sein.

ME: Wenn man also unter dieses Gespräch einfach Amen schreibt, dann gibt es 1000 Interpretationen…

Froese: Aber 99,9% sind falsch. Nach der Kirchentour im letzten Jahr kann ich das nur sagen… ME: Was passiert denn eigentlich, wenn ihr an euren Synthesizern sitzt?

Baumann: Es passieren Dinge, so wie damals Hendrix sein Wah-Wah langsam aufmachte, solche Dinge passieren auch bei uns. Auch dieselben musikalischen Empfindungen. Selbstverständlich hat es Jahre gedauert, aber es ist so. Du weißt, wann du’n Scheiß spielst und wann wesentliche Dinge, das haste drin. Wir benutzen diese Sythesizer hauptsächlich für Sounds und Soundformen, und bei uns sind die Töne wahnsinnig wichtig. Wir wissen auch, wenn wir von A-Moli auf D-Dur wechseln. Diese Sachen stehen auch sehr im Vordergrund.

ME: Was habt ihr für eine physische Beziehung zu euren Instrumenten? Ist das so wie bei einer Gitarre?

Froese: Da ist nur ein optischer Unterschied, ob du jetzt mit dem Baß oder der Gitarre auf der Bühne herumhüpfst oder ob du vor den Tasten sitzt, meinetwegen auch vor Knöpfen, und du bist unheimlich konzentriert. Dir zittern die Hände, dir läuft der Schweiß von der Stirn, du bist also absolut auf 99, das ist auch ein physisches Erlebnis, obwohl das niemand da unten wahrnimmt. Oder du bist dauernd bemüht aus irgendeiner Verkrampfung zu kommen, das sind alles physische Erlebnisse.

Franke: Du wirst ausgequetscht wie eine Zitrone. Denn du hast immer das Feedback zu dem, was du machst. Gleichzeitig, während du drehst, drückst und hörst. Du wartest ja nicht 5 Minuten lang und dann passiert etwas!

ME: Würdet ihr sagen, daß ihr euch zunächst in technischer Hinsicht weiterentwickelt habt und daß der musikalische Fortschritt dann folgte?

Baumann: Nein, es ist genau umgekehrt. Der Schwerpunkt liegt auf der musikalischen Ebene. Wir haben nicht im Traum an einen Synthesizer gedacht, als wir anfingen Musik zu machen. Edgar hat mit der Gitarre und auf einem Echolot gespielt, ich auf einer Orgel, die’s an jeder Straßenecke zu kaufen gibt, Christoph auf seinen Trommeln. Dann haben wir alle möglichen Dinger gehabt, eine Zither, einen Schneebesen, Erbsen im Sieb. Und alles aus dem Bewußtsein heraus, was du mit diesen Dingen machen kannst und was du machen willst, sind wir immer mehr in Richtung Synthesizer gekommen.

ME: Seht ihr euch als Avantgarde-Gruppe?

Froese: Ich kann dir nur eine Sache erzählen. Das war hier in einer Galerie in Berlin, da führte John Cage sein Stück „Silence“ auf. Das heiß t also Ruhe. Und im Nebenraum hatten sie so Aktions-Geräte aufgebaut. Ich war mit meinem Sohn da, und der ist natürlich dauernd ‚rumgetrampelt, da hat dann einer von Nebenan gemeint: „Führen Sie doch bitte Ihren Sohn raus! Hier ist ein Vortrag!“ Da sagte ich: „Gute Nacht, Avantgarde!“ ME: Von Edgar ist schon ein drittes Solo-Album erschienen. Von dir, Peter, wird demnächst das erste folgen. Heißt das, daß ihr jetzt als Einzelgänger hervortreten wollt?

Baumann: Wir haben auch in den Anfangszeiten versucht, einzelne Persönlichkeiten herauszustellen, weil wir tatsächlich die Sache in den Mittelpunkt stellen. Das war für uns ein wirklich wichtiger, intensiver Lernprozeß. Du kannst aber drei Chinesen, die vor dir stehen, auch nicht unterscheiden, und so ist es auch mit unserer Musik im Augenblick.

ME: Wie ist eure jetzige finanzielle Situation, was habt ihr für eine Einstellung zum Geld? Froese: Der Geldbeutel übt Einfluß aus auf die Form der Musik. Das hat gar nicht mal so viel mit unehrlich oder so zu tun. Du willst dich artikulieren, und ein Kind lernt auch auf dem Kinderfahrrad fahren und eines Tages sitzt es im Auto.

Baumann: Ich glaube nicht, daß das Geld eine wirklich so große Rolle gespielt hat in dieser Gruppe. Der größte Ausgabeposten – die Instrumente – ist parallel mit den Einkünften gestiegen, und im Grunde genommen leben wir nicht viel besser als früher…

Froese: … sondern haben eine bessere Möglichkeit, Produktiosmittel einfacher anzuschaffen. Aber es hat sich an der ursprünglichen Idee, zusammen Musik zu machen, nichts geändert.