Talking Heads
Die Talking Heads tanzen wieder mal aus der Reihe: Während inzwischen jede Vorstadt-Combo in Funk- und Tanz-Orgien schwelgt, hat sich das New Yorker Quartett von seiner Funk-Formation getrennt und will mit kleiner Besetzung zu den spartanischen Wurzeln zurück. David Byrne erklärt, warum...
David Byrne ist ein nervöser Mensch. Er klebt an seinem Stuhl wie ein Schüler, den der Direktor zu sich gerufen hat- Dabei dreht er seinen markanten Kopf in fahrigen Bewegungen und vermeidet es um jeden Preis, seinem Gegenüber ins Gesicht zu sehen.
Er hält sich derzeit in London auf, um ein einstündiges Video für das neue vierte Programm im britischen Fernsehen zu drehen.
„Es ist im wesentlichen ein Mitschnitt unseres letzten Wembley-Auftritts, Herbst letzten Jahres. Dazwischen habe ich aber anderes, fremdes Material geschnitten, Bilder, Landschaften, Industrie- Anlagen.“
Die Talking Heads haben ihr neues Album wieder im Quartett eingespielt. Keine Big-Band-Formation mehr, sondern wieder die verwundbare Band aus New York mit dem hypersensiblen Sänger. Wird diese Band auch die nächsten Touren bestreiten?
„Ich bin noch nicht sicher. Einerseits war ich sehr zufrieden mit der letzten Tour, mit dieser Euphorie auf der Bühne, andererseits muß sich jetzt etwas ändern“
SPEAKING IN TONGUES, die in Kürze erscheinende neue LP, erinnert stellenweise weniger an die Talking Heads, die dem großen Publikum bekannt sind, als an die zerbrechlichen Songs der ersten LP, das nunmehr sechs Jahre alte Album TALKING HEADS 77, eine der klassischen New-Wave-Platten.
„Ich sehe das auch so. Nachdem wir unser Live-Doppel-Album zusammengestellt hatten, wurde uns klar, wie gut einiges von dem war, was wir damals machten. Wir hatten uns einfach immer geradeaus weiterentwikkelt und völlig vergessen, womit wir angefangen haben. Wir hatten etwas verloren, während wir etwas anderes hinzugewonnen haben. Wir hatten an Frische und Simplizität verloren, an Schnelligkeit. Deswegen haben wir bewußt die Entscheidung getroffen, diesen Geist wiederzuerwecken, ohne das aufzugeben, was wir in der Zwischenzeit gelernt und entwickelt hatten.“
SPEAKING IN TONGUES erscheint zunächst in limitierter Auflage in einem Cover, das der amerikanische Pop-Künstler Robert Rauschenberg, zeitweilig der kommerziell erfolgreichste Künstler der Welt, entworfen hat und das – sehr teuer und aufwendig wie es ist – die Platte zu einer kostspieligen Angelegenheit für Sammler machen wird. Einige Wochen später kommt dann die normale Auflage mit einem David-Byrne-Gemälde in den Handel und wird auch zum normalen LP-Preis zu haben sein.
“ Vor einem Jahr habe ich Robert Rauschenberg kennengelernt. Wir hatten die Idee, ein Plattencover zu entwickeln, das den Charakter der Platte verändert, sie anders erscheinen läßt.
Rauschenberg hat jetzt eine reine Plastik-Verpackung entworfen, verschiedene Plastikscheiben, eine davon ist die LP, mit bestimmten kleinen Eindrucken, die beim Drehen der Scheiben Farbveränderungen ergeben. Sehr hübsch, aber Jerry und ich haben uns die Hacken abgelaufen, bis wir jemanden fanden, der das industriell herstellen konnte.“
Wie bist du auf Rauschenberg gekommen?
„Ich mag die Art, wie er Bilder und andere Materialien kombiniert, auch wie er mit Fotografien arbeitet. Er ist ein guter Monteur, er beherrscht die Kunst, scheinbar gegensätzliche Dinge zusammenzubringen, „
Was durchaus an das erinnert, was David Byrne als Solist, aber auch die Talking Heads immer als stilistisches Prinzip verfolgt haben. SPEAKING IN TONGUES gefällt, weil einfachste Liedchen mit tnckreicher Produktion ver bunden werden, die neuesten Produktions-Novitäten ein Mandolinen-Solo begleiten.
„Ich hoffe, es klingt nicht allzu durcheinander“, sagt Byrne und sieht ein paar Sekunden auf den Fußboden. „Was ist eigentlich aus der Fun-Boy-Three-LP geworden, die ich produziert habe? Ist sie schon raus 9 „
Nun, das ist sie wohl – und WALTING, deren Produktion überhaupt nicht an das erinnert, was David Byrne als Producer der B-52s zustande gebracht hat, erfreut sich zumindest bei Kritikern allgemein großer Beliebtheit.
„Sie wollten mich nicht als Produzenten im alten Sinne, der Stücke verbessert oder Ideen hinzufügt, wie das bei den B-52s der Fall war Sie wollten mich als offenes Ohr, und diese Rolle habe ich ebenso gerne gespielt. Ich bewundere Terry Halls Talent, Stones erzählen zu können, ganz klare simple Stories. Ich könnte das nicht. „
Davids Texte entwickeln sich immer weiter fort von den persönlichen Bildern und Geschichten, die er auf den ersten Talking-Heads-LPs erzählte, hin zu einer sehr konstruierten, poetischen Arbeitsweise: „Da ist auch der Zusammenhang zwischen dem Cover von Rauschenberg und dieser Platte. Ich liebe die Idee, ganz normale Bilder zu nehmen, klassische Situationen, Images. Stereotypen und sie zu vermischen, so daß sie ein klein wenig verfremdet werden.
Meine Art zu schreiben, Texte zu schreiben, ändert sich permanent. Am Anfang entnahm ich alle Ideen persönlichen Erfahrungen und auch persönlichen Gefühlen, die ich dann übertrieben habe. Und im Laufe der Zeit wurden die Texte immer abstrakter. Auf der letzten Platte hatten die Texte nur noch mit anderen Menschen zu tun. Ich war nur noch ein Interpret, lieh meine Stimme. Ich betrachtete eben nur die Welt und nicht mehr mich selbst.
Jetzt, bei SPEAKING IN TONGUES, kommen mir die Texte wie Träume vor, deren Bedeutung ich selber noch nicht ganz entschlüsselt habe. Es hat wahnsinnig lange gedauert, diese Texte zu organisieren und aufzubauen, aber ich weiß noch nicht ganz, was sie eigentlich sollen.“
Früher war David Byrne die Talking Heads. Er war Komponist und Texter aller Songs, er sang sie, er stand in der Mitte. Nachdem heute die anderen Mitglieder Erfolge als Solo-Künstler verbuchen konnten Gerry Harnson mit seinem Solo-Album „THE RED AND THE BLACK, Tina und Chris mit diversen Hits des Tom Tom Club), liest man plötzlich auch nicht mehr „All songs written by David Byrne“ auf dem Cover, sondern erfährt, daß alle Talking Heads die Musik geschrieben hätten, und David lediglich die Lyrics alleine verantwortet „Im Prinzip schreibe ich auch heute noch die Musik, aber auf eine andere Art und Weise. Früher schrieb ich einen Song – und die Gruppe spielte ihn. Heute haben alle irgendwelche Ideen, die ich dann koordiniere und zu einem Song zusammenschweiße. Jeder macht seine Tapes, und die müssen dann organisiert werden. Jeder ist also auf seine Art ein Komponist, aber ich bin der Songwriter.“
SPEAKING IN TONGUES ist die erste Platte der Talking Heads seit fünf Jahren, die einzige außer der ersten, die nicht von Brian Eno produziert wurde (“ Wir mußten es einfach mal alleine versuchen. Einfach sehen, ob wir es auch selber können. „).
Was sicher auch mit der Emanzipation der anderen Gruppenmitglieder zu tun hatte, denn Eno war vor allem Davids Mann.
„Wir wollten, daß es wie eine Band klingt, nicht wie die Arbeit eines einzelnen Künstlers, das war sehr wichtig.“
Hat euch die Big-Band-Besetzung Angst gemacht, hattet ihr Angst aufgefressen zu werden?
„Wir sind zunächst mit acht Mann ins Studio gegangen, und das Ergebnis war grauenvoll, das reine Chaos. Bei einer Big Band ist es einfach für den einzelnen zu schwierig zu wissen, was gerade passiert. Bei einer Tour ist das was anderes: Die Songs sind vorher festgelegt, jeder hat sein Arrangement und seine Freiräume, aber für die Studio-Arbeit ist es unmöglich.
Bei der ersten Tour mit der großen Besetzung hatte es auch Spaß gemacht, einige Dinge nicht festzulegen und der Improvisation zu überlassen. Aber das hörte sich für das Publikum nicht so toll an wie für den Musiker. Bei der zweiten Big-Band-Tour haben wir alles festgelegt -und das kam beim Publikum viel besser an. Wir fühlten uns sicherer und konnten uns mit mehr Enthusiasmus in die Musik stürzen.“
War dann die Periode eurer diversen Solo-Projekte eine menschliche Notwendigkeit?
„Ich glaube schon. Wir brauchten eine Pause. Und es war eine gut genutzte Zeit, wir werden das wieder machen. Ich habe Projekte laufen, die mit den Talking Heads und dieser Art Musik nichts zu tun haben, keine Songs.
Diese Phase half uns auch herauszufinden, was eine Talking-Heads-Platte ist und welche Art von Ideen nicht zum Konzept paßt. Daß die Talking-Heads-LPs Song-Platten bleiben sollen, und daß ich der Sänger bleiben werde. Vorher gab es immer die Möglichkeit zu sagen: ,Warum soll Tina nicht einen Talking-Heads-Song singen?‘ Heute ist klar, daß wenn Tina einen Song singt, der Platz dafür der Tom Tom Club ist – und daß ich meine Instrumental-Kompositionen älleine realisiere. „
Der Einfluß schwarzer Musik war früher deutlicher bei den Talking Heads. Man könnte die Abwesenheit dieser Einflüsse und Elemente auf SPEAKING IN TONGUES für eine Reaktion gegen die gegenwärtige schwarze Mode bei weißen Bands deuten, doch David Byrne ist kein Stratege, der für oder gegen etwas Musik macht:
„Ich glaube, das hat eher mit unserer Rückbesinnung auf das erste Album zu tun. Trotzdem soll die Platte sehr rhythmisch klingen. Sie soll auf jeden Fall als Tanzplatte verstanden werden. Das ist außerdem notwendig in Amerika. Wir werden dort nicht im Radio gespielt, weil wir für die schwarzen Stationen zu weiß und für die weißen Stationen zu schwarz klingen. Wir verkaufen alle unsere Platten über Diskotheken. „
Was auch für Deutschland gilt. Trotzdem sind die Talking Heads in Europa weitaus erfolgreicher als in Amerika, jedenfalls so lange sich an der dortigen Radio-Situation nichts ändert.
„Die Amerikaner wollen nicht mehr nur noch Springsteen und Styx hören. Deswegen fangen jetzt auch die weißen Stationen an, mehr Tanzmusik zu spielen, allgemein neueren Sachen zugänglicher zu sein. Was bedeutet, daß englische Bands und auch Gruppen wie wir eine Chance bekommen. Es ist verrückt, jedes Jahr aufs neue über solche Sachen nachdenken zu müssen.“
Ist es nicht überhaupt verrückt, jedes Jahr ein Album zu konzipieren, Touren zu organisieren und Verträge zu erfüllen?
„Ja, sehr verrückt, aber irgendwie ist es eine angenehme Art, seinen Lebensunterhalt zu verdienen, oder?“
David Byrne lacht: „Früher war der Druck nicht so groß, weil wir nicht so viel zu verlieren hatten, weil wir niemand waren. Heute wäre es schon schlimm, wenn wir einen Flop landen würden.“
Chris Stein, der mit Blondie ungefähr zur selben Zeit angefangen hat wie die Talking Heads, aber noch schneller Erfolg hatte, dann allerdings im letzten Jahr einige massive kommerzielle Niederlagen hinnehmen mußte, hat diese Sache eigentlich recht gefaßt aufgenommen und sich anderen Projekten gewidmet. Wie würde David Byrne reagieren, wenn eine großangelegte Tour plötzlich nicht mehr zu realisieren wäre, weil nicht genügend Tickets verkauft werden?
„Ich wäre bestimmt nicht gefaßt. Ich würde irgendetwas Radikales unternehmen, wenn es dazu kommen sollte.“