Swans: Tu mir weh!
Die Gewaltigkeit und Schönheit der enorm einflussreichen New Yorker Band Swans ist auch 30 Jahre nach ihrer Gründung unerreicht. Ein Porträt.
Schmerz ist nicht unbedingt eine musikalische Kategorie. Deshalb gehen auch nur sehr wenige Künstler dahin, wo es richtig weh tut. Michael Gira ist da eine Ausnahme. Er ist im Schmerz zu Hause, sagt Sachen wie: „Sound kann zerstörerisch sein, und du kannst ihm nicht entkommen. Es atomisiert deinen Körper“ – und sagt das nicht nur so daher.
Dass er es genau so meint, hat vor Jahren einmal das Publikum in einem Londoner Club erleben dürfen. Dort installierte Gira eine fürs Stadion bestimmte Beschallungsanlage, drehte alle Regler in den roten Bereich, versperrte die Ausgänge mit Ketten und schaltete die Klimaanlage aus. Als der Lärm losbrach, entstand im Publikum eine Panik. Wer die Bühne berührte, dem wurde auf die Finger getreten. Die Polizei stand hilflos vor den Türen und musste abwarten, bis die akustische Geiselnahme vorüber war. So sind sie, die Swans – finstere Hüter über Schall und Wahn seit 1982.
In ihren erhabensten Momenten klingt diese Musik, als würden Trent Reznor und Blixa Bargeld versuchen, mit Nick Cave als Gastsänger sowie Mogwai und Godspeed You Black Emperor! (für die sie einigermaßen einflussreich gewesen sein dürften) als Begleitband die strahlende Trostlosigkeit von Pink Floyds Animals noch zu toppen. Die wohlfeile und immer etwas hilflose Bemerkung, diese Musik passe „in keine Schublade“ – hier hat sie ausnahmsweise ihre Berechtigung. Nicht nur, weil die Swans in ihrer langen Karriere mal Industrial, mal Doom Metal, mal Art Rock, mal Postpunk, mal Progressive Rock, mal Minimalismus, mal Ambient, mal Fuzz Folk, mal Elektro, mal sogar Weltmusik, immer mal wieder atmosphärische Field Recordings und spukige Spoken-Word-Einlagen spielten und manches davon wie in einer Gummizelle der Genres gleichzeitig. Sondern auch, weil die Gruppe dem kurzlebigen „No Wave“-Genre entsprungen ist. Die Bezeichnung ist einerseits ein Witz auf Kosten des damals aktuellen New Wave, andererseits aber eben auch eine Absage an jede Festlegung auf einen bestimmten Stil.
Mit Sonic Youth teilten sich die frühen Swans einen Proberaum und die Ablehnung jedweder Kompromisse. Und das Mikro (aber auch das Bett) teilte Gira sich mit der Performance-Künstlerin Jarboe (Deveraux), statt eines finsteren Grummelbaritons gab’s so auch ätherischen Gesang zu hören. Die Ambivalenz ihrer Kunst ist freilich schon im Namen enthalten. Schwäne, so Gira, seien majestätisch schöne Tiere mit einem allerdings oft zweifelhaften Charakter.
Während die meisten Menschen ihre Jugend als Idyll vor Augen haben, hat Michael Gira schon früh diesen illusorischen Sehnsuchtsort verloren. Mit zwölf nahm er das erste Mal LSD, später schnüffelte er Klebstoff, brach in Schulen ein. Dem Einfluss seiner alkoholkranken Mutter entzogen, ging er mit dem Vater nach Paris, büchste aus und trampte quer durch Europa, von Griechenland über das kommunistische Jugoslawien bis hinunter nach Israel, wo er für längere Zeit lebte, bevor ihn die Polizei wegen Haschischhandels festnahm – seinen 16. Geburtstag feierte er im Knast. Auf Soundtracks For The Blind, dem atmosphärischen Abschiedsalbum der Swans 1997, sind beide Elternteile zu hören. Der Vater spricht da kurz vor seinem Tod über seine Erblindung, die Mutter in der geistigen Abenddämmerung von Alzheimer über ihr ruiniertes Leben. Keine leichte Kost.
Und doch erblühen in den Lücken und Spalten der musikalischen Steinlawinen, die eben noch brachialst über uns hereingebrochen sind, immer wieder melodiöse Blumen von berückender Schönheit. Ihr größter kommerzieller Erfolg war „Love Will Tear Us Apart“, ein Cover des Klassikers von Joy Division. Er brachte ihnen einen Major-Plattenvertrag mit MCA ein. Obwohl – oder weil – das Album von Dub-Superstar Bill Laswell produziert wurde, verkaufte sich in der Geschichte von MCA nichts schlechter als The Burning World, eine für Swans-Verhältnisse geradezu zutrauliche Platte. Michael Gira machte diesen Schritt damals bewusst, seines ausschließlich männlichen Publikums, bestehend aus „nichts als Junkies und Selbstmordkandidaten“ überdrüssig.
Gira gründete nach dem MCA-Rausschmiss sein eigenes Label, Young God Records, spezialisiert auf experimentelle Musik zwischen Noise und Folk. Der Sound der Swans schwoll in den Neunzigern noch einmal zu orchestraler Wucht an – bevor er 1997 schließlich verstummte. Die Hingabe, mit der Gira jedes Konzert zelebrierte, zehrte an der Substanz. Er entdeckte den Freak-Folk-Jesus Devendra Banhart und veröffentlichte dessen frühe (und beste) Alben, ansonsten vertrieb er sich die Zeit mit Soloprojekten und seiner neuen Band Angels Of Light.
Wenn das so überraschende wie überragende Swans-Comeback 2010 mit My Father Will Guide Me Up A Rope To The Sky schon wie ein Monolith in der Musiklandschaft herumstand, so ist das neue The Seer (Doppel-CD/Dreifach-Vinyl) ein Hochgebirge von einem Album. Schroff, eisig, massiv und – ohne Sauerstoff, Bergführer und beste Ausrüstung – faktisch unbezwingbar. Wer es trotzdem wagt, wird mit Schmerz belohnt. Und Ausblicken so weit und euphorisierend, wie sie die zeitgenössische Rockmusik nicht mehr kennt.