Sven Väth
Manche halten ihn für einen Scharlatan, andere für einen Schamanen des Digital-Zeitalters. Tatsache ist, daß Sven Väth nicht nur Deutschland erfolgreichster DJ ist, sondern im Ausland bereits als Popstar gefeiert wird. DJ-Kollege Michael Reinboth verbeugt sich.
DJ Sven Vath ist der einzige Popstar, den wir haben. Westernhagen. Grönemeyer, BAP -— sie alle mögen in Deutschland ihre Gemeinde haben, im Ausland sind sie Nobodys. Ihnen allen — mit Ausnahme von Nina Hagen — fehlt die Aura, der Kult, das Exzentrische, das sie zum Popstar internationalen Formats macht.
Sven Väth hat es. Sven Väth ist Underground, Overground, ist eine Kultfigur und gleichzeitig ein kulturelles Phänomen, das unlängst gar der „Spiegel“ mit einer großen Story würdigte. Väth operiert auf einem Street-Level, er ist anfaßbar, aber inzwischen auch ein bißchen unnahbar geworden. Mittlerweile braucht er auf manchen Raves einen Leibwächter — sofem das ein Kriterium für Pop-Ruhm ist. „Da gab es schon immer Leute, die nenen“, meint er. Das mit den süßen Teenies hat er inzwischen auch im Griff, „obwohl es jede Nacht schwer ist, wenn da so’n tolles junges Ding steht, mich anschaut und sagen will: ,Ach nimm mich doch mit‘.“
Das mit dem Popstar kannte er schon mit 22. Da hatte er weltweit mit „Electrica Salsa“ drei Millionen Platten verkauft und tourte unter dem Namen „Off“ als Nummer 1 in Spanien, Italien und (mit zwei Jahren Verzögerung) auch in Brasilien. Credibility erreichte er dadurch nicht, lernte dafür aber die hohe Schule des Entertainments. Heute schreibt der englische NME über den halbgelernten Bauschlosser aus Obertshausen: „He is definitivly the star of European Techno.“ Und der Melody Maker rubrizierte Väth unter die zehn schrägsten Vögel der Gegenwart.
Wenn man ihn 30 Meter über 10.000 Ravern thronen sieht, seine Arme wie ein Prediger ausbreitend, wenn man beobachtet, wie Tausende ihm ihre Arme entgegenstrecken., zu ihm aufschauen, bis er ihnen wieder den Beat gibt, dann ist das eindrucksvoller als jedes Madonna-Konzert. Väth ist nicht nur der erfolgreichste deutsche DJ, sondern mitlerweile genauso gefragt in England, Amerika, Tokyo, Sydney. „Accident In Paradise“ ist die erste DJ-LP, die weltweit veröffentlicht wird. Er ist der erste deutsche Popstar, von dem es demnächst ein Computerspiel geben wird und dessen Video für den MTV-Video Award nominiert wurde. Auf einer Sylvester-Party letztes Jahr in einem Ski-Ort zahlte man ihm für zwei Stunden Auflegen 15.000 Mark. Und ganz nebenbei betreibt Väth mit Eye-Q, Harthouse und Recycle Or Die drei erfolgreiche Dance-Label.
Wer glaubt, daß bei Techno nur ledernackige Skinheads zu 150 bpm stampfen, hegt völlig daneben. Sven zieht die unterschiedlichsten Leute an. Er selbst ist jedem gegenüber offen, denkt positiv und nimmt sich die Zeit, alles intensiv zu erleben. „Ich bin immer 100% dabei.“ Er tanzt, wenn er auflegt — und das macht kaum ein DJ. „Techno ist body-music“, sagt Sven. „Es gibt immer Leute, die denken, ich produziere mich da, ich reiße ’ne Show, aber das bin ich, das ist das, was ich fühle.“
Sven wäre heute nicht Sven, würde er sich nur produzieren. Er hat Türen zunächst in seinen und dann in den Gefühlen anderer Leute geöffnet und meditative Kräften freigesetzt. Drogen, sagt er, da hätte er alles genommen, aber sie hätten ihn weder beeinflußt noch beindruckt. Deswegen würde er auch raten: Laßt die Drogen, erkennt das Natürliche, erkennt die Grenzen, erkennt euch selbst.
An Staatgrenzen hat er allerdings immer Schwierigkeiten, auf Grund seiner meist rotunterlaufenen Augen und herausstechenden Adern an der Schläfe. „Als sie mich neulich an der italienischen Grenze blöd fragten, ob ich Drogen nehme, sagte ich: ‚Natürlich nehme ich Drogen, aber doch nicht mit über die Grenze‘.“
Wenn Väth mit bloßem Oberkörper Musik auflegt oder — wie auf der „Loveparade“ — auf dem höchsten Truck als Techno-Häuptling thront, wirkt das nie peinlich. Er selbst sagt von sich, daß er schon immer ein Pausenclown war, der Leute unterhalten will. Aber Väth kann auch andächtig sein. Auf seiner Geburtstagsparty vor wenigen Wochen im Frankfurter „Omen“ sind alle seine Freunde angereist. Sie haben ihm ein Streichquartett zum 28. Geburtstag geschenkt, denn das paßt auch zu ihm.
Im Anschluß geht Sven an die Plattenspieler -— und das Publikum kreischt. Kritiker sagen: Naja, es gibt bessere DJs. Manche halten ihn für affektiert und seine Platten für unglaublich belanglos. Väth tangiert das nicht. Er lebt den DJ, den Zeremonienmeister, den Prediger ohne Worte, den Missionar des Trancezustandes. Goa, Indien, Tibet -— einmal im Jahr schöpft Väth dort drei Monate lang Kraft, tankt Natur und inspiriert sich. „Für mich gibt es keine Trennung zwischen Privatleben und Beruf, ich nehme mir nur diese drei Monate, in denen ich mich um Seele, Geist und Körper kümmere. Das muß reichen, um neun Monate am Stück zu powern.“
Jemand der sich neun Monate verausgabt, der jeden Tag auf Achse ist, zwischendurch in Studios produziert, dann frühmorgens bis in die Mittagsstunden auf Afterhour-Parties ohne Gage auftritt, jemand der im „Omen“ nur mit Sauerstoffflasche auftreten kann, der muß verrückt sein. Oder besser: Der muß beseelt und ein Missionar sein. Einer der den Leuten etwas sagen will. Etwa das: „Archaisch-minimale Musik und Technohouse sind —- abgesehen davon, daß Ersteres meist religiös motiviert ist -— dasselbe. Monotonie ist das Vehikel zu Trance. Trance ist das Loslassen der Ratio.“ Väth ist ein Schamane im Digitalzeitalter.