Supertramp – Die größte Hi-Fi-Anlage der Welt
Die englische Rockmusik der frühen siebziger Jahre überlebt im Exil. Während rund um London die Punks mittlerweile eindeutig die Szene beherrschen, gedeiht der alte, optimistischere Sound jenseits des großen Teichs. Mit Hilfe amerikanischen Geldes und unter Anleitung versierter US-Producer konnten Briten eine lange Hitserie auf die Beine stellen. Paradebeispiel dieser Entwicklung ist natürlich Fleetwood Mac. In deren Kielwasser aber schwimmt seit kurzem auch Supertramp: Nach Jahren, in denen gute Alben in England und in europäischen Ländern nur mäßige Tournee- und Verkaufserfolge brachten, zählt die Band nun plötzlich zu den Topsellern in den USA. In den vergangenen Monaten stand sie dort mit drei Alben zugleich in den Charts; die jüngste Produktion „Even In The Quietest Moments“, aufgenommen auf der „Caribou-Ranch“ in Colorado, wurde bereits vergoldet.“Crisis? What Crisis?“ nannten die Briten – mit ironischem Unterton – 1975 ihre vierte LP. Sie haben Recht behalten – von Krisen keine Spur.
Auch in Deutschland schaffte Supertramp in diesem Sommer einen gewaltigen Sprang nach vorn. Im Juli stand neben dem jüngsten Longplayer auch das schon 1974 veröffentlichte Album „Crime Of The Century“ in der deutschen LP-Hitliste. Gute Aussichten also für die Supertramp-Tournee, die jetzt im September durch die Städte Hamburg, Hannover, Ludwigshafen, Köln, Berlin, Düsseldorf Wiesbaden, Sindelfingen, München, Genf und Basel führt (siehe auch Tourneepläne).
Die aktuelle Besetzung von Supertramp – Roger Hodgson (voc, guitars, keyboards), Bob C. Benberg (drums, percussion), Dougie Thomson (baß), John Anthony HelliweU (sax, woodwinds, vocals) und Richard Davies (vocals, keyboards) – besteht seit Anfang 1974. Sie nahm das Album „Crime of the Century“ auf. Die Platte wurde der erste Erfolg der Gruppe und ist einem gewissen „Sam“ gewidmet. Aus gutem Grund: „Sam“ nämlich, dessen Nachnamen die Gruppe verschweigt, ist ein holländischer Millionär, dem Supertramp einiges verdankt. Rick Davies und Roger Hodgson fanden in ihm den reichen Gönner und Mäzen, der sich die Eitelkeit, eine Gruppe nach oben zu pushen, einiges kosten ließ.
Mit seiner Hilfe organisierten die beiden Freunde, die zuvor schon in mehreren Bands gespielt hatten.ein paar Sessions, aus denen die erste Supertramp-Formation hervorging. Ein Schallplattenvertrag wurde unter Dach und Fach gebracht, ein erstes Album aufgenommen. Die Platte fiel durch, die Band brach auseinander, und Sam hatte 64.000 Pfund in den Sand gesetzt. „Indelibly Stamped“, die zweite LP, verdankt ihre Existenz dann dem Langmut von A&M-Records. Auch dieser Versuch verlief im Sande: „Am Ende hatten wir eine Platte, bei der der Blinde den Blinden geführt hat,“ erinnert sich Hodgson. Wer das Album hört, muß ihm zustimmen: da mischt sich solider Rock („Potter“) mit Dixieland („Friend in need“) und sanften Querflötenpassagen à la Quintessence („Aries“ und „Travelled“) zu einem höchst diffusen Gesamtbild. Was fehlt, ist eine klare musikalische Identität. Frank Farrell (baß), Dave Winthrop (sax, Flutes) und Kevin Currie (percussion) verließen nach diesem zweiten Mißerfolg die Band.
Supertramp war also wieder auf den Nucleus Richard Davies und Roger Hodgson zusammengeschrumpft. Die Zweisamkeit ermöglichte konzentriertes Komponieren, und erstaunt stellte Dougie Thomson, der 1973 zu den beiden stieß, fest: „Als ich sie traf, waren alle Songs von ,Crime‘ schon fertig. Nur: es gab keine Band, keine Anlage‘ und keine Platte.“ Doug, der schottische Bassist, erinnerte sich an einen Freund, mit dem er mal bei einer Jazz-Rock-Gruppe zusammengespielt hatte: John Anthony Helliwell stieß nunmehr für Supertramp ins Hörn und in andere Blasinstrumente.
Ohne Eile erarbeiteten die vier Musiker im Laufe der nächsten Monate ein musikalisches Konzept, dem Supertramp bis heute treu blieb. Ein gutes Beispiel dafür ist der Titel „Bloody Well Right“, auf „Crime Of The Century“ veröffentlicht: Ein einfaches Thema wird von der Orgel oder dem Piano vorgegeben, eine volltönende Gitarre erweitert das Grundmotiv, das Saxophon verschnörkelt es und ein runder Bafi stützt von unten. Die zumeist banalen Lyrics wären fast entbehrlich, hätten sie nicht die Aufgabe, das instrumentale Gefüge der Songs akustisch zusammenzuhalten. „Bloody Well Right“ gewinnt zudem, durch die vokalen Wiederholungen den Ohrwurmcharakter; der etliche Supertramp-Songs auszeichnet und mitentscheidend für den Erfolg der Gruppe wurde.
Die Art wie die Stücke gewoben sind, verbietet von vornherein den Einsatz allzu souveräner Perkussion und Trommelarbeit. In dem Kalifornier Bob C. Benberg (eigentlich: Siebenberg) fand die Gruppe dafür einen versierten, aber zurückhaltenden Drummer. So war Supertramp komplett und konnte 1974 darangehen, das neugewonnene Konzept im Studio zu verwirklichen.
Nach all den Anlaufschwierigkeiten entpuppten sich die Musiker nun als rechte Glückspilze. Ihre Plattenfirma setzte ihnen nicht nur sehr großzügige Termine für die Fertigstellung von „Crime of the Century“, sondern bezahlte auch den renommierten Producer Ken Scott. Die Zusammenarbeit mit diesem Profi kann man nur unter dem Stichwort , „Perfektionismus“ zusammenfassen. Bis hin zur Covergestaltung, deren Symbolik gemeinsam mit einigen Textstellen der Platte vage auf gesellschaftspolitische Gefahren hinweist, bemerkt man die Disziplin, mit der an diesem Album gearbeitet wurde. Die Frucht dieser Arbeit war eine Top-Ten-Single („Dreamer“) in Großbritannien, ein paar gute Kritiken und halbwegs befriedigende Absatzzahlen für den Longplayer.
Wenn man sich die Platte eingehend anhört, fällt allerdings auf, daß Supertramp hier ein technisches und nicht unbedingt ein kreatives Meisterwerk gelungen ist. Der Saxophonist der Band hat dies unlängst vielleicht aus Versehen zugegeben: Supertramps Musik könne man getrost als „Sophistico-Rock“ bezeichnen. Der Haken dabei: „sophisticated“ heißt nicht nur „weltoffen, intellektuell“, sondern auch „verfälschend, unecht“. Diesen Einwand machten auch amerikanische Kritiker geltend, als sie Supertramps angeblich so eigenständigen Sound als „aneinandergereihte, abgewetzte Klischees“ bezeichneten. Wer will, kann hierfür auf allen ihren Platten Belege sammeln: da gibt es Geräuschcollagen, die an Pink Floyd erinnern, symphonisch aufgemachte Stellen, die den Moody Blues etwas zu nahe stehen, Keyboardsätze mit charakteristischen Trommelbreaks, wie Yes sie nicht besser spielen könnten, ein mit Echohall aufgemotztes Saxophon, durch den Phaser gepreßte Stimmen, die der Gruppe Audience ein wenig zu viel verdanken. Häufig meint man, Procol Harum, dann wieder Genesis oder sogar Traffic zu hören. Das plagiatorische Element dieser Musik ist, bei allem Wohlwollen, nicht zu überhören.
Originär ist hingegen zumindest die Umschlagidee für „Crisis? Waht Crisis?“ – ein Mann sonnt sich ungerührt vor dem Hintergrund einer verkommenen Industrielandschaft. Das Rückcover macht klar, was gemeint ist: die Gruppe aalt sich inzwischen am Strand von Kalifornien und nimmt die wirtschaftliche Krise Englands, die ihren musikalischen Niederschlag im Punkrock findet, nur aus der Ferne wahr. What Crisis? Die Platte selbst ist noch gefälliger und sauberer arrangiert als ihr Vorgänger. Geigen füllen unauffällig kompositorische Löcher, raffinierte Studiotechnik (auch die nennt man in Amerika „sophisticated!) glättet die eher unschönen Stimmen der beiden Sänger Davies und Hodgson. Einzelne Stücke braucht man nicht hervorzuheben: wer Supertramp mag, dem gefallen sie alle. „Der Welt größte Hi-Fi-Anlage“ nennt die Band ihre sündhaft teure Anlage, die es ihr ermöglicht, den Klangeindruck der Platten auf der Bühne exakt zu reproduzieren. Das akustische Vergnügen, daß Supertramps Liveauftritte bereiten, half der Gruppe ihren 1975 noch frischen Ruhm weithin zu bestätigen. „Wer eins unserer Konzerte besucht, ist überzeugt“, behauptete die Band selbstbewußt in einem Interview. Der Erfolg scheint ihr recht zugegen. Die unlängst erschienene Platte „Even in the Quietest Moments“ zeigt auch eine kompositorische Entwicklung: „From Now On“ und „Fool’s Overture“ sind ermutigende Anzeichen dafür, daß sich die Gruppe allmählich von ihren Vorbildern emanzipiert. Geblieben allerdings ist die beispielhafte produktionstechnische Perfektion, der manchmal schon klinisch reine Schliff der Arrangements. Supertramp hat nicht nur, sondern ist wohl auch die größte Hi-Fi-Anlage der Welt.