Supersonic Rock’n’Roll Stars Live Forever: Wie Oasis mit „DEFINITELY MAYBE“ die Könige des Britpop wurden
Vor 25 Jahren erschien DEFINITELY MAYBE, das erste Album von Oasis. Der Sturm und Drang der Sex Pistols traf auf die Partywut von T. Rex und die Unangreifbarkeit der Beatles. Ein Manifest jugendlicher Träume von der eigenen Unsterblichkeit und der Erreichbarkeit aller Ziele. Ohne vielleicht und ganz definitiv eines der besten Debüts aller Zeiten. Das hier ist seine Geschichte.
Noel kam gerade von einer USA-Tour zurück, als er am 18. August 1991 The Rain zum ersten Mal sah, im Vorprogramm von Sweet Jesus im legendären Manchester Club „Boardwalk“. Wenig beeindruckt vom Songmaterial der Band („der letzte Dreck“), lautete Noels Einschätzung nach der Show: „Ich steige bei euch ein. Aber: Ich übernehme die kreative Kontrolle und schreibe alle Songs. So werden wir Superstars. Andernfalls verrottet ihr hier in Manchester.“ Nachdem selbst Liam später eingestehen sollte, dass die Rain-Songs, die er mit Bonehead schrieb und die Namen wie „Life In Vain“ und „Take Me“ hatten, „scheiße“ waren, willigte er ein. Noel hatte seinen Spitznamen „The Chief“ weg. Liam sollte sich immerhin noch so viel kreativen Freiraum be- wahren, dass er die Band umbenannte. Auf „Oasis“ kam er, nachdem Noel ein Tourplakat von seinen Roadiereisen in sein Schlafzimmer gehängt hatte. Einer der Venues, in denen er Station machte, war das „Oasis Leisure Centre“ im südwestenglischen Swindon.
Es gab eine Oasis-Version ohne die Gallaghers
Liam war übrigens kein Gründungsmitglied der Band, die Anfang 1991 Gitarrist Paul „Bonehead“ Arthurs, Bassist Paul „Guigsy“ McGuigan und Sänger Chris Hutton, den Liam ersetzte, ins Leben gerufen hatten. Sogar Drummer Tony McCarroll stieg vor Liam ein. Das heißt, dass es eine Oasis-Version ohne die Gallaghers gab. Als sich Oasis 2009 trennten, war längst keins der Urmitglieder mehr dabei. Aber zurück zum Anfang.
Im Mai 1993 erfuhr die Band, dass ein A&R der Plattenfirma Creation, Labelheimat von unter anderen My Bloody Valentine, The Jesus And Mary Chain und Primal Scream, auf Ta lentsuche im Glasgower Club „King Tut’s Wah Wah Hut“ sei. So kratzten Oasis ihr weniges Geld zusammen, mieteten einen Kleinbus und ratterten damit die sechs Stunden in die größte Stadt Schottlands. Nur, um dann erst mal nicht in den Club zu kommen. Niemand hatte dem Türsteher Bescheid gegeben, dass Oasis hier heute spielen würden. Nach einem Handgemenge erkämpfte sich die Band den Eröffnungsslot. Creation-Boss Alan McGee stand zu dem Zeitpunkt schon besoffen an der Theke. Oasis begannen ihr Set mit dem programmatischen „Rock’n’Roll Star“ und McGee fiel fast das Pint aus der Hand. „Der erste Song war großartig“, sagte er, „aber ich war total voll und dachte, dass ich den Song vielleicht nur deshalb so gut fand.“ Dann kam „Bring It On Down“, der vielleicht stürmischste Song im Gesamtwerk der Band. Nach dem dritten Song, „Up In The Sky“, hatte McGee beschlossen, Oasis zu signen.
Als ob sie ihm damit zeigen wollten, auf wen er sich hier einließ, spielten sie als vierten und letzten Song „I Am The Walrus“, ein Cover der Band, die man nicht covern kann, weil sich jeder unweigerlich dran verhebt. Kurz darauf sollte Noel mit den Worten zitiert werden: „Wenn du nicht größer als die Beatles werden willst, dann ist es nur ein Hobby.“ Oasis waren kein Hobby. Und Alan McGee hatte ihnen soeben einen Vertrag über sechs Alben angeboten. Vier Tage später wurde unterschrieben. Um möglichst unbekümmert zu wirken, ließ The Chief seinen künftigen Chef kurz vor der Unterzeichnung wissen, er habe bislang nur sechs Songs im Repertoire. In Wahrheit hatte er bereits um die 50 geschrieben, darunter das größenwahnsinnige, zehnminütige Epos „All Around The World“, das erst vier Jahre darauf ein Nr.-1-Hit werden sollte. Den Rest des Jahres tourte die Band quer durch England, teilweise als Support von St. Etienne und The Verve.
Im Sommer betraten sie erstmals ein Studio. McGee buchte sie in das Monnow Valley Studio im walisischen Monmouth. Hinter den Reglern saß Dave Batchelor, der schon mit Classic Rockern wie Nazareth und Dr. Feelgood aufgenommen hatte. Die Band ging die Sache gleichermaßen naiv wie selbstsicher an. Noel: „Ich sagte zu Dave: ‚Ich will wie ein Flugzeug klingen, das gerade abhebt.‘ Und Dave sagte: ‚Aha, du möchtest also einen Yamaha-9-60-Backwards-Flange-Loop?‘ Es galt also entweder ihm und seiner Nüchternheit oder mir und meiner Verrücktheit zu folgen. Aber ich hatte das Sagen.“ Und Noel beschloss, die Zusammenarbeit zu beenden. Nur die mit Batchelor entstandene Version von „Slide Away“ sollte es aufs Album schaffen. Zusammen mit Noels Inspiral-Carpets-Kumpel Mark Coyle zog die Band in das Sawmills Studio in Cornwall, dem Südwestzipfel Englands. Dort arbeiteten sie in Abgeschiedenheit, fernab aller Versuchungen. „Es gab gar keine Möglichkeit für Dummheiten“, sagt Bonehead. „Du konntest den nächsten Pub nur mit einem Boot erreichen. Und wenn du das letzte Boot zurück versäumt hattest, musstest du kilometerweit durch die Nacht irren.“ Die Band riss sich also am Riemen – was den Aufnahmen erstaunlicherweise nicht gut tat. Irgendwie wollte sich das ungestüme Element der Gruppe nicht einfangen lassen.
Die Platte war so aggressiv wie ein tollwütiger Hund
Das mochte auch damit zusammenhängen, dass Coyle noch nie zuvor eine Band produziert hatte. McGee rief den erfahrenen Mixer Owen Morris zu Hilfe. „Ich wollte, dass die Band so heavy wie nur irgend möglich klingt“, sagt Morris. „Ich hatte die Schnauze voll von der ganzen von Maschinen produzierten Dance-Musik der Zeit. Ich wollte Gitarren, laute Gitarren!“ Morris remixte das ganze Album, ließ viele Spuren, vor allem die mit Gesang, nochmals aufnehmen und übernahm schließlich auch das Mastering, im Studio von Johnny Marr. „Ich weiß noch, wie erschrocken Marr war, als er die Aufnahmen hörte“, sagt Morris. „Er konnte nicht glauben, dass wir etwas so Offensives abgeben wollten. Er hielt mich für einen Idioten, der nicht weiß, was er tut. Hör dir zum Beispiel dieses Rauschen am Anfang von ‚Cigarettes & Alcohol‘ an: Das hätten die Smiths nie gebracht.“ Morris hatte die Platte aggressiv wie einen tollwütigen Hund gemacht. Zunächst musste der noch angeleint in seiner Hütte vor sich hin knurren. Oasis machten vorerst aber auch ohne ihn Schlagzeilen.
Bereits im Februar 1994 hatten sie ihren ersten Skandal, als Liam auf einer Fähre nach Amsterdam festgenommen wurde. Er hatte zusammen mit Guigsy die Bord-Bar zerlegt und wurde daraufhin in einen Raum gesperrt, in dem ihm eine Matratze zum Ausnüchtern und ein Eimer zur Verrichtung der Notdurft genügen mussten. Die Band wurde nach Hause geschickt. Das Konzert in Amsterdam fand nie statt. Noel, obwohl er sich damals ebenso wenige Rauschpausen wie sein Bruder gönnte, schüttelte über solche Vorfälle immer den Kopf. Er wollte mit Songs punkten. Nach einem White-Label-Release einer Demoversion ihres „Columbia“, mit der schon etwas Aufmerksamkeit erregt wurde, erschien am 11. April 1994 die Debütsingle „Supersonic“. Sie erreichte Platz 31 in den UK-Charts. Keine der folgenden 28 Singles der Band sollte auch nur ansatzweise wieder so tief charten. Noel wollte sich der Welt eigentlich mit „Bring It On Down“ vorstellen. Als er aber während der Aufnahmen zu diesem Stück über einen Rhythmus von Guigsy und Bonehead eine Melodie summte, kam Tony Griffiths von der befreundeten Liverpooler Band The Real People herein und setzte Noel darüber in Kenntnis, dass hier gerade ein eindeutiger Hit entstünde. Der „NME“ beendete seine freudesprudelnde Rezension mit der Feststellung, es sei unausweichlich, dass Oasis Stars werden würden.