Sugarcubes
Genau eine Woche zu früh landete das isländische Anarcho-Kollektiv in Deutschland, um sich so richtig heimisch zu fühlen: Den Wintereinbruch verpaßten sie knapp. Dennoch stürmte das Quintett aus dem eisigen Norden auf die Bühne, als sei es ein Heim-Spiel. Doch schon bei den ersten Lauten wurde klar, daß es alles andere als ein heimeliger Abend werden sollte: Frontmann Einar platzt in einen irritierenden Brunftschrei des isländischen Paarhuf-Rentieres hinein und schon bricht die Band mit Brachial-Gewalt los. Drei, vier Songs lang reagiert das Publikum in der sardinendosenmäßig vollgestopften Theaterfabrik stark irritiert, nur zögernd erklingt verhaltener Applaus.
Das Gewitter aus wüsten Indianer-Trommeln, ungeraden Takten, schrillen Gitarrenriffs und funky gehacktem Bass, das sich jeder Stil-Schublade frech entzieht, wäre für normale Ohren sicher schnell unerträglich geworden. Doch die Sugarcubes haben mehr zu bieten, als schräge Musik: Björk, die Kinderfrau. Ein Troll im Bühnenmittelpunkt, stimmlich zwischen Debbie Gibson und B52. Sie bricht im hektischen Wechselgesang mit Einar die polare Eisdecke zwischen Band und Publikum.
Als scheinbar naives Eskimo-Mädchen, das in ihrem Samt-Strampelanzug aussieht, als käme es gerade von einem Kindergeburtstag, entpuppt sie sich als die ideale Projektionsfläche unterdrückter Sexual-Phantasien.
Doch Björk läßt sich nie wirklich in die Rolle des kleinen Iglu-Sexmonsters drängen, vermeidet konsequent alle Anzüglichkeiten, bricht mit zackigem Indianer-Tanz jeden Anflug von Lovesexy und steht dadurch am Schluß tatsächlich als das da, was sie immer schon sein will: eine hervorragende neue Stimme in der bizarren Rock-Landschaft.
Doch auch ihr Sanges-Partner Einar, zwischendrin an Mundharmonika und Trompete präsent, findet den Kontakt zum Publikum. Kein Wunder, denn seine Großmutter stammt aus Schwaben und so kann er in einigermaßen verständlichem Deutsch die Songs ansagen.
Die Sugarcubes sind fast schon ein Fall für Sielmanns „Expeditionen ins Tierreich“. Eine ebenso seltene wie fremdartige Gattung, vergleichbar allenfalls mit den Spitzmaul-Erdhörnchen auf den Galapagos. Anarchie ist also offensichtlich doch machbar, wenn auch nur auf so abgeschiedenen Eilanden wie Island. Dort gedeiht, was in wärmeren Gefilden neuerdings für Furore sorgt.