Sufjan Stevens, Berlin, Passionskirche
Engelsmusik vorm Kirchenaltar im Cheerleaderkostüm. Endlich, erstmals ist Sufjan Stevens auf Tournee – nicht allein mit seinem Banjo, sondern einer achtköpfigen Kapelle, den Illinoisemakers. Offenbar ist es ihm wirklich ernst mit seinem Projekt, jedem US-Bundesstaat ein eigenes Konzeptalbum zu widmen. Wie zuvor schon seine Platte über Michigan ist auch come on feel the illinoise politisch nicht einzuordnen, weder rechts noch links. Erst als die Band in grellen Cheerleader-Uniformen auf die Bühne stürmt, mit dikken Puscheln wedelt und das sitzende Publikum aus dem Staunen nicht mehr herauskommt, leuchtet ein: Stevens‘ goldener Mittelweg ist ein milder, nachsichtiger, ironischer Patriotismus:“It’s part of the act/The 50 States/ Pack up your bags/It’s never too late“, singt die Band im Chor, bevor sie sich mit der nötigen Hingabe an eine Live-Übersetzung der fein ziselierten Vielschichtigkeiten des Albums macht.
Flügelhorn, Glockenspiel, Triangel und Trompete klingen zwar nicht immer zusammen und stets schludriger als auf Platte. Aber erstens steht den komplexen Suiten das Skizzenhafte überraschend gut. Und zweitens ist da ja dieser extrem gut aussehende Sufjan Stevens, wie er tastend durch sein Set spaziert, mal hierhin, mal dorthin, als müsse er einen Sack akustischer Flöhe hüten. Selbst die endlosen Ansagen über „wissenswerte“ lokalhistorische Details der von ihm besungenen Ortschaften zum Pling-Plong der Gitarre, die er gleichzeitig stimmt, sind frei von falschem Pathos.
Nur das Publikum – mit verdächtig hohem Pärchenanteil – scheint fest entschlossen, sich das bittersüße Leiden an der Welt nicht verleiden zu lassen, schon gar nicht von diesem Spaßvogel, dem zuvor die Wut eines Conor Oberst und die Flamboyanz eines Rufus Wainwright abgedichtet wurde. Umgefallene Bierflaschen kann man lange rollen hören, so leicht und licht stehen stolze Kompositionen wie „Jacksonville“ oder „Vito’s Ordination Song“ im Raum. Ihr Zauber wirkt so flüchtig, als müsse er beim kleinsten Lufthauch verfliegen – und imprägniert uns stattdessen für die nächsten Wochen mit einer heiteren Gelassenheit, die bleibt.
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