STRIPES


Sie nennen sich Stripes, weil sie alle eine Vorliebe für gestreifte Kleidung haben. Und sie nennen sich „New Wave“-ßand. Weil sie aus Hagen kommen. Denn Hagen, das ist für sie der New Wave-Nabel der Bundesrepublik. Also muß ein Gespräch mit der Band zwangsläufig in eine mehr oder weniger fruchtbare Diskussion um diesen in jüngster Zeit übermäßig strapazierten und mißbrauchten Begriff münden. Denn die Stripes gehören vielleicht zu den Opfern eines trendprogrammierten Marketings. Die Rambiers aus Hagen legten sich vor einigen Jahren einen draufgängerischen Dr. Feelgood-Appeal zu und nannten sich New Wave-Band. Heute, 1980, da dieser Begriff schon fast absurd klingt, wird er gedankenlos weiterbenutzt von Bands, die sich im Grunde nur der Attribute bedienen, die vor zwei oder drei Jahren im Rahmen der „Neuen Welle“ erfunden wurden. Jetzt sind Stilmittel wie Pogo-Gitarren nichts Revolutionäres mehr, sondern etabliert. Mehr noch: Bands, die heute noch nicht über die frühe Hardcore-Phase des Punk hinausgekommen sind, verrennen sich in einem hoffnungslosen Anachronismus. Vor drei Jahren lachte man über die letzten langmähnigen Plateausohlen-Freaks; die Schießbudenfiguren von morgen sind die immer noch kettenbehängten Zwirbelköpfe… Und was hat das alles mit den Stripes zu tun? Sie klammern sich dankbar an ihre rettende Schublade, die da heißt New Wave. Rainer Kitzmann,ehemaliger Ramblers-Roadie und Songschreiber/Gitarrist der Stripes, hat seine Basislektion zwar gelernt, nämlich: Als die Rockmusik zu aufwendig wurde, kam die Punkbewegung, die alles vereinfachte. Virtuosität zählte nicht mehr, nur noch das Feeling war angesagt. „Charakteristisch für New Wave ist doch das Fehlen langatmiger Soli und das Erfinden neuer Sounds“, erklärt er. Richtig. Von erfinden ist hier die Rede. Und wer ein Erfinder ist, darf das, was er fabriziert, auch als „neu“ verkaufen. Aber die Stripes sind keine Erfinder. Neue Sounds kennen sie von Platten, die ihnen Produzent Andy Kirnberger vorspielte. Platten von irgendwelchen englischen Gruppen halt, die Namen haben sie nicht behalten. Bands wie die Gang Of Four oder die Pop Group sind ihnen kein Begriff. Auch zur wirklichen deutschen New Wave, wie Mittagspause, Hansa-plast oder DAF, bei denen wirklich nach neuen Klangvorstellungen gearbeitet wird, haben sie keine Beziehung. Nena, süße 19 Jahre und Frontmädchen der Stripes: „Was habt Ihr nur immer mit Eurer Mittagspause.“ Nena begreift auch nicht, warum wir so hartnäckig über den Begriff New Wave streiten. Zusammen mit Rainer sitzt sie uns gegenüber, entwaffnend unbeleckt vom Geist der englischen New Wave-Frauen wie Siouxsie, Poly Styrene oder anderen Sängerinnen, die durchaus ihren kritischen Geist in Szene setzen und ihre Sexualität dabei versachlichen. Nena ist ein unbefangener Teenager mit einer reizvoll ungeschliffenen Stimme. Mit ihrem frischen noch ziemlich unverdorbenen Auftreten gewinnt sie sofort beim Publikum; statt cooler, professioneller Anmache bringt sie noch verspielte Koketterie auf die Bühne. Während die anderen lässig die Rock’n’Roll-Profis markieren, ist sie immerhin die einzige, die gesteht, daß ihr die Arbeit im Studio schwerfällt. Rainer schreibt die Songs, Nena vermittelt sie. Wäre sie nicht dabei, könnten die Stripes möglicherweise einpakken. Frank Röhler (Baß) und Rolf Brendel (Schlagzeug), beide 19, und Rainer als Gitarrist besitzen gemeinsam nicht das Charisma, was eine gute Band ausmacht. Daran ändert auch nichts, daß sie mit Michael Maus noch einen zusätzlichen Gitarristen engagierten. Der geht zwar redselig und extrovertiert in seiner neuen Rolle als Rockmusiker auf. Überzeugt, daß Hagen die neue Metropole der deutschen Rockmusik sei. Aber auch ihm steht die große Bewährungsprobe noch bevor. Zur Zeit ist Andy Kirnberger mit der Band im Studio,um die erste LP vorzubereiten, die Anfang Herbst erscheinen soll. Die Debutsingle, „Ecxstasy“, wies die Stripes als poppige Newcomer mit erfrischendem Elan aus. „Ecxtasy“ entpuppte sich auch auf der Bühne als die überzeugendste Komposition. Der Rest ist Durchschnitts-Pogo mit simplen Rock’n’Roll-Einflüssen. Vor drei Jahren hätte man sie vielleicht ,,Punks“ genannt, damals wäre auch der Begriff New Wave nicht unbedingt fehl am Platze gewesen. Aber 1977 hätte womöglich ein etablierter Schallplattenkonzern wie die CBS nicht im Traum daran gedacht, so etwas unter Vertrag zu nehmen. Wie einst die Ausläufer der sogenannten ,Psychedelic“-Phase oder des „Underground“ noch Jahre später gierig von spät aufgewachten Produktleuten für diese endlich tolerierten Schubladen angeheuert wurden, so überschlagen sich die Firmen mittlerweile in der Präsentation von Bands, die ihren „Neue Welle“-Stempel aus dritter oder vierter Hand beziehen. Schließlich hat auch der etablierte Handel sich daran gewöhnt. Bands wie die Stripes gehören eher zu den Opfern der berühmten Trend-Maschinerie. Ein Produzent versucht, sie ausgeliehenen Schablonen anzupassen, denn noch sind sie flexibel und kaum eingefahren. Wenn die Musiker genügend Substanz besitzen, um sich von der Vorgabe zu emanzipieren und eine eigene Kreativität zu entwikkeln, haben sie vielleicht Zukunft. Je weiter sie sich von ihrem schützenden Dunstkreis in und um Hagen entfernen, je öfter sie spielen (ein paar Sommerfestivals sind eingeplant), desto eher werden sie lernen, ihre Position einzuschätzen. Wenn sie nicht aufpassen, sind sie jedoch eins, zwei, drei die Teenieband für gehobene Ansprüche. Doch solange sie noch sagen „der New Wave“, dies unreflektiert als ewig gültige Stil-Definition benutzen und die optische Umsetzung von Musik allein mit Psychedelic in Verbindung bringt, haben sie allerdings wenig Chancen, ins ernstzunehmende Lager aufgenommen zu werden. Gabriele Meierding